Kälbergesundheit

auf dem Prüfstand

Bettina Kristof

Während auf das Wohl von Kühen zunehmend geachtet wird, wird die Aufzucht von Kälbern vielerorts leider noch vernachlässigt. Dabei wäre gerade das besonders wichtig – denn die Kälber von heute sind die Milchkühe oder Mastrinder von morgen.

Für eine gute Kälbergesundheit sind viel Pflege, ein opti­males Stallmanagement und beste medizinische Versorgung ausschlaggebend. Dieser Mehraufwand lohnt sich allemal, denn er führt zu einer Win-win-Situation: Gute Kälbergesundheit bedeutet hohes Tierwohl und gleichzeitig bessere Leistung und höheren Ertrag.

Zum spannenden Themenbereich Kälbergesundheit und Prophylaxe von Infektionskrankheiten interviewten wir Univ.-Prof. Dr. Thomas Wittek, Diplomate ECBHM, Leiter der Klinischen Abteilung für Wiederkäuermedizin an der Vetmeduni Vienna.

Durchfallerkrankungen treten bei Kälbern besonders häufig auf und führen oft sogar zum Tod des Tiers. Was sind die Ursachen dafür?
Ursächlich sind für die meisten Durchfallerkrankungen bei Kälbern infektiöse Faktoren ausschlaggebend. Wir finden dabei eine breite Vielfalt an Viren, Bakterien und Einzellern, die ätiologisch infrage kommen. Zudem ist es so, dass einige Erreger altersassoziiert auftreten: Ein neugeborenes Kalb erkrankt eher an einer viralen Infektion, beispielsweise mit dem Rotavirus, während bei älteren Tieren im zweiten oder dritten Monat vermehrt Einzeller wie verschiedene Eimerienarten vorkommen. Durchfälle bei Kälbern werden zumeist nicht durch Monoinfektionen, sondern durch multiple Infektionen verursacht. Neben den Krankheitserregern, die für die meisten Durchfälle verantwortlich sind, gibt es weitere Faktoren, die das Geschehen negativ beeinflussen können. Dazu gehören Fütterungsfehler, aber vor allem auch Faktoren, die das Management und die Haltung der Tiere betreffen.

Diese können dazu führen, dass sich die Erreger verbreiten können, und gleichzeitig das Immunsystem der Kälber schwächen. Auch eine mangelhafte Kolostrum­versorgung kann eine Ursache dafür sein, dass das Immunsystem schwach ist und nicht entsprechend auf die Erreger reagieren kann. Wenn man einen Betrieb beurteilt, muss man daher neben der Diagnostik der Erreger unbedingt auch auf die Faktoren im Management und bei der Fütterung schauen, um Einflüsse zu identifizieren, die den Krankheitsverlauf möglicherweise beeinflussen.

Was macht Diarrhoe bei Kälbern so gefährlich?
Die meisten Todesfälle bei Kälbern mit Durchfall gibt es deshalb, weil ein massiver Flüssigkeitsverlust entsteht. Die Dehydrierung wirkt sich auf das Herz-Kreislauf-System aus. Erkrankte Kälber verlieren durchaus zehn bis zwölf Prozent an Flüssigkeit und außerdem Puffersubstanzen. Dies führt zu einer Übersäuerung des Organismus und wirkt sich auf verschiedene Organfunktionen aus. Das sind die wesentlichen Gründe, warum Kälber schwer erkranken und auch sterben. Eine Sepsis ist seltener als angenommen, teilweise sind es bakterielle Toxine, die in den Kreislauf übertreten – aber vor allem der Flüssigkeits­verlust ist gefährlich. Deshalb ist die Diagnostik wichtig, um zeitgerecht eine Therapie einzuleiten. Wir fokussieren stark darauf, dass wir die Diagnostik weiter verbessern und damit eine wirksame Behandlung durchführen können.

Wie gehen Sie bei der Diagnostik vor?
Eine Bestimmung der Erreger ist immer dann zwingend notwendig, wenn es sich um ein Herdenproblem handelt. Bei einem einzelnen erkrankten Tier kann man darauf eventuell verzichten, aber wenn das Thema Diarrhoe im Herdenmaßstab an Bedeutung gewinnt, braucht man sowohl für die Therapie als auch für die Prophylaxe eine ätiologische Diagnostik. Dafür gibt es auch Point-of-Care-Tests, also Schnelltests, die direkt am Tier durchgeführt werden. Diese sind hilfreich, sie haben aber keine gleich hohe Aussagekraft wie eine labordiagnostische Untersuchung. Die klassische Laboruntersuchung ist zwar zuverlässiger, hat aber den Nachteil des Zeitverzugs, weil die Probe in ein Labor geschickt werden muss. Wenn man einen Schnelltest verwendet, hat man das Ergebnis nach wenigen Minuten. Ein sehr guter Weg ist es, beide Tests zu kombinieren. Zu beachten ist, dass eine Reihe von Bakterien sowohl in Kotproben gesunder Kälber als auch als Ursache von Durchfällen auftreten kann. Der alleinige Nachweis der Bakterien ist daher nur von geringem diagnostischem Wert; es ist weiters notwendig, die Toxine respektive die Fähigkeit zur Toxinbildung zu beurteilen.

Werden Kälber bei Durchfall auch mit Antibiotika behandelt?
Antibiotika sind nur bei Bakterien – in Ausnahmen auch bei Einzellern – wirksam. Es hängt also einmal von der Diagnose ab, ob Antibiotika eingesetzt werden sollten. Dazu kommt, dass im Darm kaum ein ausreichender Wirkspiegel der Antibiotika erreicht werden kann. Selbstverständlich gibt es Kälber mit Durchfall, bei denen Antibiotika indiziert sind: Bei Fieber zum Beispiel kann eine antibiotische Therapie sinnvoll sein, um eine Sepsis zu behandeln oder zu vermeiden. Es ist aber keinesfalls so, dass Durchfall beim Kalb generell mit Antibiotika behandelt werden muss. Das muss basierend auf den Befunden der klinischen und labordiagnostischen Untersuchungen fallweise entschieden werden.

Welche anderen Behandlungsmöglichkeiten gibt es, wenn Kälber an Diarrhoe erkrankt sind?
Das Wichtigste ist der Flüssigkeitsersatz, oral oder bei stark erkrankten Tieren auch intravenös. Des Weiteren muss man die verloren gegangenen Puffer über die Tränke oder eine intravenöse Applikation ergänzen. Eine entsprechende Energieversorgung ist auch ganz wesentlich, weil kranke Tiere einen höheren Umsatz haben und viel Energie brauchen, um gesund zu werden. Manche Landwirte entziehen den Kälbern die Milch – das ist unbedingt abzulehnen! Eine unterstützende Therapie mit entzündungshemmenden Medikamenten, Vitaminen und Mineralien sowie mit schleimhautschützenden Stoffen, etwa Huminsäurepräparaten oder Tees, fördert die Heilung.

Wenn in der Diagnostik ein Krankheitserreger festgestellt wird, gegen den Wirkstoffe zur Verfügung stehen, ist auch eine ätiologische Therapie möglich. So haben wir zum Beispiel gegen Eimerien wirksame Arzneimittel, gegen Viren hingegen stehen uns jedoch keine Medikamente zur Verfügung; über die Anwendung von Antibiotika haben wir ja bereits gesprochen.

Wann sollte der Tierarzt/die Tierärztin gerufen werden?
Generell ist es so, dass bei Durchfall schnell gehandelt, also der Tierarzt möglichst rasch gerufen werden sollte. Der Darm hat grundsätzlich eine hohe Fähigkeit zur Regeneration und das Immunsystem des Tiers bekämpft den Erreger. Man sollte sofort reagieren, denn dann kann man oft eine schwere klinische Krankheit vermeiden und die Regeneration des Epithels im Darm kann früh beginnen. Wenn man das Tier gleich zu Beginn der Erkrankung behandelt, kann man auf oralem Weg das Flüssigkeitsdefizit ausgleichen und rechtzeitig Puffersubstanzen zuführen, während bei fortgeschrittenem Verlauf öfter eine intravenöse Applikation notwendig wird.

Die Pflege eines kranken Kalbs ist arbeitsaufwendig. Wir sehen oft, dass in Betrieben, in denen sich jemand spezifisch mit den Kälbern beschäftigt, die Kälberverluste viel geringer sind als dort, wo das nicht so stattfindet. Für eine gute Kälbergesundheit sind viel Pflege, ein gutes Stallmanagement und beste medizinische Versorgung ausschlaggebend.
 
Was kann man prophylaktisch tun, damit Kälber erst gar nicht an Durchfall erkranken?
Da gibt es viele Möglichkeiten auf mehreren Ebenen. Die prophylaktischen Maßnahmen beginnen im Idealfall bereits vor und bei der Kalbung der Kuh. Je besser der Start ins Leben gelingt, desto gesünder wird das Kalb sein. Es macht zum Beispiel einen großen Unterschied, ob es in einer sauberen, frisch eingestreuten Kalbebox zur Welt kommt oder in einer Krankenbox, in der zuvor ein anderes Tier Erreger ausgeschieden hat. Ein Kalb wird ohne Immunglobuline geboren – erst mit dem Kolostrum erhält es welche und kann einen Immunschutz aufbauen. Aber gerade beim Thema Kolostrum gibt es nach wie vor große Defizite: Oftmals wird den Kälbern zu wenig Kolostrum oder Kolostrum minderer Qualität gegeben oder es wird zu spät verabreicht.

Wenn das Kalb am Abend geboren wird und sich niemand darum kümmert, dass es gleich bei der Mutter trinken und Kolostrum aufnehmen kann, ist die Gefahr eines Defizits an Immunglobulinen hoch. Dazu kommt leider, dass die Kolostrumqualität einiger Kühe nicht zufriedenstellend ist; das können die Landwirte aber durchaus kontrollieren. Eine weitere prophylaktische Maßnahme ist eine gute Tränkehygiene. Dazu gehören die gründliche Säuberung der Tränkegefäße und ein hygienisches Vorgehen mit der Milch oder dem Milchaustauscher. Auch das Trinkverhalten ist ein Faktor bei der Kälbergesundheit: Ein Kalb säuft acht bis zwölf Mal am Tag bei der Mutter, in vielen Betrieben wird aber nur zweimal am Tag gefüttert. Das ist für die Kälber natürlich nicht günstig – sie müssen große Mengen auf einmal aufnehmen, was wiederum zu gesundheitlichen Problemen führen kann. Da gibt es absolut Potenzial zur Verbesserung.

Automatische Tränkesysteme, die sicherstellen, dass die Kälber mehrmals am Tag Futter bekommen, sind oft nur für größere Betriebe geeignet. Es gibt aber auch Lösungen für kleine Betriebe; diese können etwa mit angesäuerten Tränken arbeiten und so Tränke ad libitum zur Verfügung stellen. Weiters besteht die Möglichkeit, die Kühe vor der Kalbung zu impfen, damit wird das Kalb auch durch das immunglobulinreichere Kolostrum vor Durchfall geschützt.

Welche anderen Krankheiten treten bei Kälbern häufig auf?
Atemwegserkrankungen kommen bei Kälbern auch recht häufig vor. Um dies zu vermeiden, kann man das Kalb impfen. Das ist als intranasale Impfung bereits sehr früh, wenn es circa zehn Tage alt ist, möglich. Leider ist der Einsatz dieser Vakzine noch sehr zurückhaltend, und das vor allem bei männlichen Kälbern, die den Betrieb oft verlassen. Aber gerade diese würden davon profitieren, denn sie kommen ja vorwiegend in Mastbetriebe und haben durch den Transport und die Zusammenstellung mit Kälbern aus anderen Betrieben ein besonders hohes Risiko, zu erkranken. Durch die kleine Struktur der österreichischen Betriebe haben wir in dieser Beziehung einen gewissen Nachteil.

Wenn Kälber von Mastbetrieben zugekauft werden, kommen diese in der Regel aus sehr vielen verschiedenen Betrieben, wodurch sie unterschiedliche Erreger mitbringen können. Durch die frühzeitige Impfung der männlichen Kälber gegen Atemwegserkrankungen könnte man in den Mastbetrieben den Antibiotikaeinsatz merklich reduzieren. Man kann davon ausgehen, dass wir auf diesem Gebiet in nächster Zeit noch aktiver werden müssen, um bessere Prophylaxesysteme einzuführen.

Worauf sollte der Landwirt beim Stallmanagement achten?
Zur Unterstützung der Landwirte gibt es viele und gute Beratungsmöglichkeiten vonseiten der Tierärzte, der Landwirtschaftskammern, vonseiten der Tiergesundheitsdienste und weiterer Berater. Die Landwirte sollten sie noch mehr nützen. Die Kälbergesundheit ist ein Punkt, bei dem ich mehr Defizite sehe als bei der Haltung der erwachsenen Tiere. Die weiblichen Kälber sind die Zukunft des Betriebs, die in rund zweieinhalb Jahren die nächste Generation der Milchkühe stellen. Man sollte den Landwirten bewusster machen, dass sie mit der Investition in die Kälbergesundheit in die Zukunft investieren. Wir wissen, dass Kälber, die mehrere Krankheiten durchgemacht haben, sich langsamer entwickeln, mehr Futter brauchen und später weniger leisten.

Mehr Einsatz bei der Kälbergesundheit würde sich positiv auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit auswirken, aber leider sehen wir recht häufig, dass beim Betriebs­ausbau nicht selten auf die Kälber vergessen wird. Es gibt tolle, moderne Ställe für das Milchvieh, aber auf die Kälber wird zu wenig geschaut, die werden teilweise in den alten, oft dunklen und schlecht klimatisierten Ställen gehalten. Die Pflege und Aufzucht von Kälbern ist arbeitsintensiv, aber man kann sie so gestalten, dass ein guter Kompromiss erreicht werden kann. Wir bemerken schon eine Verbesserung im Vergleich zu früheren Zeiten, aber wir sind noch nicht dort, wo wir hinmüssten – die Anzahl der Erkrankungen der Kälber und die Zahl der Kälber­verluste sind immer noch zu hoch.

Was kann der Landwirt selbst behandeln und wann sollte unbedingt der Tierarzt gerufen werden?
Der Großteil der Behandlungen ist durch die Gesetz­gebung dem Tierarzt vorbehalten, aber Landwirte können frühzeitig pflegende und unterstützende Maßnahmen ergreifen. Im Sinne der Tiergesundheit und des Tierwohls wäre es wichtig, dass Landwirte in vielen Fällen früher reagieren und den Tierarzt bei Problemen hinzuziehen. Der Landwirt kann auf jeden Fall Flüssigkeit und Puffer­substanzen oral zuführen. Auf keinen Fall sollte die Milch entzogen werden. Arzneimittel dürfen nur aufgrund einer tierärztlichen Diagnose verabreicht werden. Der Tierarzt kann den Landwirt aber anleiten, nach der Diagnose ­einige Medikamente selbst zu verabreichen. Die Entscheidung über die Therapie muss aber immer auf einer tierärztlichen Diagnose beruhen.

Gibt es neue Studien und Forschungsergebnisse, die die Kälbergesundheit betreffen?
Das ist ein weites Feld. International wird viel über Kälbergesundheit, die Haltung und Fütterung sowie das Tierwohl geforscht. An unserer Klinik haben wir mehrere Studien zum Thema Durchfallerregerdiagnostik gemacht. Des Weiteren haben wir in der letzten Zeit Studien zu Point-of-Care-Tests und zu Krankheitserregern, die in Österreich auftreten, sowie zur Eisenversorgung und zur Fütterung von Kälbern veröffentlicht. Derzeit läuft ein Projekt gemeinsam mit dem TGD Salzburg, bei dem es um das Thema Kolostrum geht. Der Hintergrund dazu ist, dass wir beim gegenwärtigen Kolostrummanagement Verbesserungspotenzial sehen. Es gibt auch Projekte zu Atemwegserkrankungen bei Mastkälbern bei uns, in Zusammenarbeit mit einer Praxis.

Ein Problem ist jedoch, dass es – obwohl bereits vieles bekannt ist – oft an der Umsetzung fehlt. Handlungs­bedarf besteht vor allem im Bereich von Prophylaxe­maßnahmen, da gibt es noch viel Potenzial. Wir plädieren dafür, Tränken für Kälber so anzubieten, dass es nahe an die natürlichen Verhältnisse herankommt, vor allem, was die Frequenz betrifft. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass Kälber, die ad libitum trinken können, besser wachsen und ein stärkeres Immunsystem haben. Das muss man sich immer wieder anschauen und versuchen, den Landwirten nahezubringen; das ist ein Prozess.

Haben Sie aufgrund Ihrer Studien noch eine Empfehlung für die Tierärztinnen und Tierärzte in der Praxis?
Wir Tierärzte sollten uns mehr in die Haltung und Fütterung der Kälber einbringen, weil dort häufig Mängel bestehen, die zu Krankheiten führen können. Prophylaxe ist daher ein großes Thema; auch, was Impfungen betrifft. Ja, und wir Tierärzte sollten die Diagnostik verstärkt nutzen, um zielgerichteter zu behandeln.