Initiative tiermedizinische Schmerztherapie

Tierärztliches Engagement für eine optimale Schmerztherapie

Dr. Viola Melchers

Nach heutigem Stand der Wissenschaft steht außer Frage, dass Tiere Schmerzen empfinden. Zur modernen Veterinärmedizin gehört deshalb ein professionelles Schmerzmanagement.

Die Frage, ob Tiere unter Schmerzen leiden, wie Menschen es tun, wird seit Jahrhunderten diskutiert. Schmerz ist eine höchst subjektive Empfindung, die sich auch beim Menschen nicht ohne Weiteres quantifizieren lässt. Die Internationale Gesellschaft für Schmerzforschung (IASP) definierte Schmerz im Jahr 1983 als „[…] ein unangenehmes Sinnes- oder Gefühlserlebnis, das mit tatsächlicher oder drohender Gewebeschädigung einhergeht oder von betroffenen Personen so beschrieben wird, als wäre eine solche Gewebeschädigung die Ursache.“ Diese Definition bezieht sich ausschließlich auf den Menschen, der in der Lage ist, eine Schmerzempfindung zu beschreiben. Weder Kleinkinder oder Komapatienten noch Tiere wären demnach fähig, Schmerzen zu empfinden. Um diesen Mangel zu beseitigen, erweiterte die IASP nach massivem Protest die Definition: „Die Unfähigkeit, zu kommunizieren, negiert in keinem Fall die Möglichkeit, dass ein Individuum Schmerz erfährt und eine angepasste Schmerztherapie benötigt.“ Nun lässt sich der Schmerzbegriff auch auf Menschen anwenden, die ihren Zustand nicht mit Worten beschreiben können – und auf Tiere. Inzwischen ist zudem wissenschaftlich erwiesen, dass die Nozizeption bei Mensch und Tier grundsätzlich gleich abläuft. Die konkrete Konsequenz für Tierärzte: Jeder Patient hat bei Bedarf ein Recht auf eine fachgerechte Schmerztherapie, eine Katze mit Zahnproblemen genauso wie ein Pferd mit Kolik oder ein Kalb bei der Enthornung. 

Im Praxisalltag ein professionelles Schmerzmanagement zu gewährleisten ist eine anspruchsvolle und herausfordernde Aufgabe. Die Initiative tiermedizinische Schmerztherapie (ITIS) möchte Tierärzte bei der konkreten Umsetzung unterstützen.

Aktuelle Informationen und praxisnahe Empfehlungen
Aus der Erfahrung heraus, dass Schmerzen bei Tieren aus den verschiedensten Gründen nicht immer optimal behandelt werden, hat eine Gruppe tierärztlicher Experten für Schmerztherapie mit Unterstützung von Sponsoren aus der Industrie ITIS gegründet. Die ITIS-Kerngruppe setzt sich aus führenden Spezialistinnen für veterinärmedizinische Schmerztherapie zusammen: Prof. Dr. Sabine Tacke, Leiterin der Abteilung Anästhesie, perioperative Intensiv­medizin und Schmerztherapie der Klinik für Kleintiere (Chirurgie) der Justus-Liebig-Universität Gießen, Prof. Dr. Michaele Alef, Professorin für Anästhesiologie an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig, Prof. Dr. Sabine Kästner, Professorin für Veterinäranästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Prof. Dr. Heidrun Potschka, Professorin am Institut für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, und Dr. Julia Tünsmeyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinik für kleine Haustiere des Fachbereichs Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin sowie an der Klinik für Kleintiere der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover. Für die Informationen und Empfehlungen zur Schmerztherapie bei den verschiedenen Tierarten arbeitet die Kerngruppe mit tierärztlichen Spezialisten für die jeweiligen Fachgebiete zusammen. Dabei ist der ITIS die Zusammenarbeit von Tierärztinnen und Tierärzten sowohl aus der Universität als auch aus der Praxis besonders wichtig, um aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Umsetzbarkeit zu vereinen. Ein wissenschaftlicher Beirat wird die Kerngruppe in Zukunft unterstützen und neue Impulse setzen.

Tierärzten stellt das Expertengremium aktuelles Fachwissen für die Behandlung von Schmerzen zur Verfügung. Tierhalter werden rund um das Thema „Schmerz beim Tier“ informiert. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Schmerzerkennung. 

Nach der Gründung im Jahr 2008 befasste ITIS sich zunächst vorrangig mit der Schmerztherapie bei Klein- und Heimtieren, Exoten und Vögeln. Inzwischen hat die Initiative ihr Engagement ausgeweitet und schließt Pferde und Nutztiere mit ein. 

Die Arbeit der Initiative tiermedizinische Schmerztherapie wird von Sponsoren aus der veterinärmedizinischen Pharma- und Futtermittelindustrie engagiert begleitet und ermöglicht. Dabei bleibt das Expertengremium inhaltlich unabhängig. Zurzeit wird ITIS unterstützt von Bayer HealthCare, Boehringer Ingelheim, CP-Pharma, Elanco, Merial, Royal Canin, Vétoquinol, Zoetis und der WDT.

 

 

Schmerztherapie muss individuell sein

Klein- und Heimtierpraktikern gibt die ITIS in den „Empfehlungen für die Schmerztherapie beim Kleintier“ konkrete Hinweise zur Analgesie in klassischen Situationen der tierärztlichen Praxis: von der perioperativen Schmerztherapie über die Therapie chronischer Gelenkschmerzen bis zur analgetischen Versorgung von Tumorpatienten. Ein Abschnitt zu Therapeutika und ergänzenden Maßnahmen wird komplettiert durch tierartspezifische Wirkstofftabellen und Dosierungshinweise. 

Die ITIS-Empfehlungen stehen auf der Homepage der Initiative, www.i-tis.de, für Tierärzte und Studenten der Veterinärmedizin nach einer Registrierung zum kostenfreien Herunterladen bereit. Die Internetseite bietet darüber hinaus aktuelle Meldungen aus Wissenschaft und Praxis sowie Fachartikel rund um das Schmerzmanagement bei Klein- und Großtieren. Auch E-Learning-Angebote stehen zur Verfügung, aktuell zum Beispiel ein kostenfreies Webinar von Prof. Dr. Sabine Tacke zur Therapie chronischer Schmerzen bei Hund und Katze.

Grundsätzlich ist der Initiative wichtig, dass eine Schmerztherapie individuell auf das einzelne Tier und sein Problem zugeschnitten ist. Oberstes Ziel ist dabei immer, die Ursache für den Schmerz zu behandeln. Je nach Indikation beinhaltet ein professionelles Schmerzmanagement insbesondere chronischer Schmerzen neben der Pharmakotherapie multiple Strategien; zum Beispiel werden schmerzende Gelenke ruhiggestellt oder eine Diät durchgeführt, um durch ein optimales Körpergewicht die Gelenke zu entlasten. 

Methoden wie Physiotherapie, Akupunktur oder Ergänzungsfuttermittel können die Behandlung als Bestandteil einer multimodalen Therapie gegebenenfalls ergänzen.
Eine objektive Einschätzung nicht medikamenteller Maßnahmen unter Berücksichtigung der vorhandenen Evidenz steht daher ebenfalls im Fokus der Initiative. So lesen Sie auf der ITIS-Seite beispielsweise einen aktuellen Artikel der Wiener Expertin für Physikalische Medizin, PD Dr. Barbara Bockstahler, zur Rehabilitation neurologischer Patienten. 

Ein weiterer aktueller Artikel für Kleintierpraktiker befasst sich mit der Therapie von Katzen mit sehr starken Schmerzen. Auch bei Katzen sind Opioide bei vielen Erkrankungen Mittel der Wahl, doch ITIS rät zu einer sorgfältigen Auswahl. Nicht alle Opioide sind bei hochgradigen Schmerzen tatsächlich wirksam. Buprenorphin und Tramadol wirken etwa nur schwach analgetisch. Die „Empfehlungen zur medikamentösen Schmerztherapie des Pferdes“ der ITIS sind zurzeit in Arbeit und sollen im nächsten Jahr publiziert werden. Pferdetierärzte finden auf www.i-tis.de bereits jetzt Zusammenfassungen relevanter Studien zur Analgesie, zum Beispiel bei der Kastration des Hengstes sowie Meldungen und Fachartikel zur Schmerz-
erkennung und -therapie beim Pferd.

 

ITIS nimmt Stellung

Im Nutztierbereich hat ITIS 2016 eine Stellungnahme zur Frage der Betäubung bei der chirurgischen Ferkelkastration veröffentlicht. In Deutschland wird die betäubungslose Durchführung dieses Eingriffs ab 2019 verboten sein. Nach dem Deutschen Tierschutzgesetz ist eine Betäubung Aufgabe des Tierarztes. Damit die chirurgische Kastration weiterhin durch den Landwirt und seine Angestellten durchgeführt werden könnte, würde ein Wirkstoff gebraucht, der während und nach der Operation eine effektive Schmerzausschaltung gewährleistet, die Wahrnehmungsfähigkeit der Tiere aber nicht beeinträchtigt. Nach Ansicht der ITIS-Expertinnen gibt es derzeit keinen solchen Wirkstoff und auch keine wissenschaftlichen Hinweise darauf, dass es möglich sein könnte, einen solchen zu entwickeln. Andere Alternativen zur betäubungslosen Kastration müssen daher dringend in Betracht gezogen und konkretisiert werden.

Weitere Informationen:
www.i-tis.de

Informationen für Tierhalter:
www.schmerz-bei-tieren.de