Ethisch handeln

in der Kleintieronkologie

Dr. Hemma Schichl-Pedit
FTÄ für Kleintiere, ÖTK-Diplom für Kleintieronkologie

Über die Vereinbarkeit von Sachkompetenz und Empathie.

Unter Ethik wird die Wissenschaft, Lehre und Theorie der Moral verstanden. Sie beinhaltet eine Gesamtheit aus Werten, Prinzipien und Tugenden, eben sittlichen Normen, die unser Leben prägen, einer verantwortungsvollen Einstellung zugrunde liegen und dadurch eine wesentliche Grundlage der Beziehungen zu anderen und uns selbst bilden. (Duden, Ethik: Begriffsbestimmung)

Die Bestimmungen des § 1 des österreichischen Tierschutzgesetzes schützen Leben und Wohlbefinden des Tieres aus der besonderen Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf. Der § 6 Absatz 1 verbietet das Töten von Tieren ohne vernünftigen Grund.

Gerade die Frage nach diesem vermeintlich vernünftigen Grund kann sogar die Kollegenschaft entzweien, da es durchaus unterschiedliche Betrachtungsweisen gibt. 

Ist, provokant gesagt, nicht bereits der Verzicht auf die zielgerichtete Behandlung von Tumorerkrankungen ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz? Oder liefert das Wissen um eine zwar häufig beherrschbare, aber nicht immer heilbare Erkrankung an sich schon den Grund für Behandlungsverzicht und/oder Euthanasie?

Moralisch richtig handeln zu wollen stellt uns Tier­ärztInnen in der täglichen Praxis und ganz besonders im Bereich der Kleintieronkologie immer wieder vor besondere Herausforderungen. Ist es richtig, immer alles in der modernen Tiermedizin Machbare zu tun, oder müssen wir manchmal auch im Sinne unserer Patienten und derer BesitzerInnen auf richtige und mögliche Therapien verzichten? Immer wieder wird uns die Frage gestellt: Sind Chemotherapie, Strahlentherapie, Amputationen von Gliedmaßen wirklich tiergerecht? Schaden wir den Tieren, zu deren Schutz wir uns verpflichtet haben, mehr, als wir ihnen helfen können? So finden wir uns in einem Spannungsfeld zwischen medizinischer Begeisterung, dem Wissen um moderne onkologische Diagnostik und Therapie, Tierschutz, den Vorstellungen und Wünschen der TierbesitzerInnen und nicht zuletzt auch deren finanziellen Möglichkeiten wieder. Die Beziehung der Menschen zu ihren Haustieren, speziell zu ihren Hunden und Katzen, hat sich in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Tiere werden immer mehr zu Lebenspartnern, zu Familienmitgliedern, denen von ihren BesitzerInnen in besonderer Weise Fürsorge, Liebe und Zuwendung entgegengebracht werden. 

Empathie und Aufklärungsarbeit ist wichtig

Insbesondere eine Krebsdiagnose bei ihrem Hund oder ihrer Katze ruft bei vielen TierbesitzerInnen blankes Entsetzen hervor und fordert ein hohes Maß an Empathie beziehungsweise Aufklärungs- und Beratungstätigkeit von uns TierärztInnen. So müssen häufig auch unausgesprochene Ängste der TierhalterInnen berücksichtigt und angesprochen, die Sinnhaftigkeit und Machbarkeit vieler moderner Therapien ausführlich und in verständlicher Form erörtert werden. Als TierärztInnen müssen wir uns dabei bewusst sein, dass unsere Expertise Entscheidungsgrundlage sein wird und wir damit auch große Verantwortung übernehmen – für etwaige enttäuschte Hoffnungen, im schlimmsten Fall aber auch Mitverantwortung für die Verzweiflung im Falle eines Verlustes. Fachliche und soziale Kompetenz greifen hier in besonderer Art und Weise ineinander. 

Die Bandbreite der möglichen Therapien ist groß und reicht von hochschwelligen und auch finanziell herausfordernden Therapien wie zum Beispiel Polychemotherapieprotokollen, Strahlentherapien oder Radiojod-Therapien, welche in vielen Fällen als kurativ angesehen werden können, bis zu finanziell günstigeren Varianten wie etwa der metronomischen Chemotherapie, die vielfach zumindest eine Stabilisierung der Erkrankung bei Erhalt einer guten Lebensqualität erzielen kann. Wir TierärztInnen müssen nicht nur über Tyrosin-Kinase-Inhibitoren und Immuntherapien genauso Bescheid wissen wie über Tumor­vaccinen oder monoklonale Antikörper, sondern wir müssen TierbesitzerInnen, deren Behandlungszusage die Einleitung einer solchen Therapie erst ermöglicht, nicht zuletzt auch ihrer Lebenssituation entsprechend beraten. 

Unsere Patienten, ob Hofhund oder Lebenspartner und unsere Kunden, ob TierbesitzerIn mit finanzkräftigem Hintergrund oder MindestpensionistIn, verdienen grundsätzlich dieselbe Betreuung und denselben Schutz – und doch werden nicht alle von denselben Therapien profitieren können. 

Wir müssen die Brücke schlagen von Patienten in einem frühen Tumorstadium mit – unter richtiger Behandlung – guter Prognose mit TierbesitzerInnen, die wider unser besseres Wissen jegliche zielgerichtete Tumortherapie ablehnen, und Tieren, die in bereits infaustem Zustand vorgestellt werden, deren BesitzerInnen aber vehement jede irgend mögliche Therapie einfordern und das Leiden des Tiers nicht als solches erkennen können oder wollen.

Es liegt an uns TierärztInnen, mit Fachkenntnis, Wissen um moderne diagnostische und therapeutische Möglichkeiten und deren Umsetzung in der Praxis unseren Patienten zu helfen und an die Wünsche und finanziellen Möglichkeiten der TierbesitzerInnen angepasst zu beraten. Die Vorstellungen der BesitzerInnen reichen dabei vom Wunsch nach sofortiger Euthanasie („Ich will nicht, dass mein Tier leidet“) bis zu Behandlung buchstäblich um jeden Preis („Tun Sie alles Menschenmögliche, mein Hund/meine Katze darf nicht sterben!“). In den wenigsten Fällen bestimmen ausschließlich die finanziellen Möglichkeiten des Tierbesitzers die Entscheidung für oder gegen Therapien. Häufig haben bereits das soziale Umfeld oder verschiedene Social-Media-Kanäle und Dr. Google zur Meinungsbildung beigetragen. Die Tierbesitzer versuchen häufig, sich in allen möglichen Foren und Interessensgruppen zu informieren, und immer wieder muss die zusammengetragene Information zunächst im persönlichen Gespräch gefiltert, relativiert und mit viel Geduld und Sachkompetenz in verständlicher Sprache richtiggestellt werden. Es ist dabei wichtig, auf die Notwendigkeit einer exakten Tumordiagnostik inklusive Staging hinzuweisen und klarzustellen, dass ohne diesen medizinischen Datenrahmen eine Bewertung der kurativen oder palliativen Möglichkeiten – und dementsprechend eine zielführende Beratung der TierbesitzerIn – nicht sachgerecht durchgeführt werden kann. Ohne dieses Prozedere können TierbesitzerInnen nicht ausreichend bezüglich Prognose, möglicher Nebenwirkungen angewandter Therapien, medianer Überlebenszeit und Lebensqualität aufgeklärt werden. 

Adäquate Schmerztherapie verhindert Leid

Der Erläuterung der Schmerztherapie gebührt in dieser Hinsicht besonderes Augenmerk. Onkologischer Schmerz beginnt typischerweise als akuter, dumpfer Schmerz, um bei Fortschreiten der Erkrankung in chronischen, starken Schmerz überzugehen. Früh einsetzende, adäquate Schmerztherapie kann das Entstehen von chronischen Schmerzzuständen verhindern (wind-up!) und ist ebenso wie das Erhalten des Appetits und das Verhindern von Durchfall oder Erbrechen essenziell für die Erhaltung der Lebensqualität unserer Patienten. Von Patienten, welche mit „zumutbarem“ Aufwand behandelt werden können, bis zu Tieren mit nicht behebbaren Schmerzen und unheilbaren Erkrankungen, deren Lebensqualität unwiederbringlich verloren ist und deren Leiden wir durch einen sanften Tod abkürzen müssen – es liegt an uns, die Problematik zu erkennen und im Sinne unserer Schutzbefohlenen fachlich und moralisch richtig zu entscheiden. 

Die Fragen zur Ethik in der Veterinäronkologie werden uns auch in den nächsten Jahren vor Herausforderungen stellen. Dies ist durch die rasante Entwicklung im Bereich der Krebstherapien ebenso begründet wie durch den Mut, sich der Erkenntnis zu stellen, dass es bei allem Fortschritt auch immer Grenzen des medizinisch Machbaren geben wird – fachliche wie ethische. Der Erhalt einer guten Lebensqualität unserer Patienten sollte für uns TierärztInnen auch bei der Entwicklung onkologischer Therapiestrategien handlungsbestimmende Prämisse bleiben.

 
Literatur

Beyer, J., Frewer, A.: Ethik in der Onkologie, Kompendium internistischer Onkologie, 4. Auflage, 2490-2504
Binder, R.: Euthanasie von Heimtieren: Das Tierschutzrecht zwischen Lebensschutz und Leidverkürzung, WTM, Jahrgang 2018, Heft 5-6, 119-128
Kurzmann, P.: Sich wandelnde Verhältnisse zum Tier – Wandel im Tierschutz, Tierethik, 5. Jahrgang 2013/1, Heft 6, 55-77
Ogilvie, G: Setting Goals in Compassionate Care, 5. Oncological Congress, Brno 2018, Proceedings, 10-26
Springer, S., Grimm, H.: Euthanasie als Thema der veterinär-med. Ethik, WTM, Jahrgang 2018, Heft 5-6, 129-137
Tritthart, A.: Euthanasie von Heimtieren – wodurch ist das tierärztliche Handeln dabei legitimiert?, WTM, Jahrgang 2018, Heft 5-6, 111-116