IHS-Studie:

„Tierärztliche Versorgung in Österreich“

Mag. Silvia Stefan-Gromen

Die Ergebnisse geben Einblick in die veterinärmedizinische Ausbildung, den Ist­stand, die zukünftigen Herausforderungen und den Strukturwandel des Berufsfelds.

Im Rahmen eines Pressegesprächs am 13. Juni 2019 ­präsentierte Mag. Kurt Frühwirth, Präsident der Österreichischen Tierärztekammer (ÖTK), gemeinsam mit Ao. Univ.-Prof. Dr. Petra Winter, Dipl. ECBHM und Rektorin der Vetmeduni Vienna, und CVO Dr. Ulrich Herzog, Leiter der Gruppe B „Veterinärmedizin und Veterinär­wesen, Lebensmittelsicherheit“ des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (BMASGK), sowie Mag. Martin Unger, Leiter „Higher Education Research“ des IHS, die Ergebnisse der Studie „Veterinärmedizinische Versorgung in Österreich“.

Im Mittelpunkt der von den drei genannten Institutionen in Auftrag gegebenen Studie stehen die Ausbildung und Praxis von VeterinärmedizinerInnen, wobei in der Untersuchung auf die (regionale) Versorgung im Allgemeinen und die Nutztierpraxis im Speziellen eingegangen wurde. 

Beruf in Zukunft frauendominiert

Die Veterinärmedizin leistet einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft, indem sie für das Wohlergehen von Tier und Mensch sowohl durch präventive als auch kurative Maßnahmen und akute Seuchenbekämpfung sorgt. Damit sind die Tierärzte und Tierärztinnen Garanten der Lebensmittelsicherheit. 2017 gab es hierzulande etwa 3.100 aktive TierärztInnen und damit um 300 mehr als noch im Jahr 2010. Mit 0,36 TierärztInnen pro 1.000 Einwohner liegt die TierärztInnendichte in Österreich (Stand 2014) geringfügig unter dem europäischen Durchschnitt von 0,38. In Deutschland liegt der Wert bei 0,33. Aus Sicht des Berufsstandes und der Praxis nimmt Kurt Frühwirth, Präsident der Österreichischen Tierärztekammer, Stellung zu den Ergebnissen: „Wie in den meisten europäischen Ländern ist der Frauenanteil unter den TierärztInnen in den letzten Jahren stark gestiegen. Der tierärztliche Berufsstand war bis in die 1990er-Jahre männerdominiert. Heute verändert der kontinuierlich steigende Frauenanteil im tierärztlichen Beruf die Berufspraxis nachhaltig.“ 2017 waren bereits 58 Prozent der TierärztInnen Frauen und 80 Prozent der AbsolventInnen des Diplomstudiums Veterinärmedizin sind weiblich. Tierärztinnen sind unter den Freiberuflern und im Nutztierbereich allerdings noch unterdurchschnittlich repräsentiert.

Beruf dominiert durch Selbstständigkeit

„Obwohl der Anteil an selbstständigen Tierärzten in Österreich 65 Prozent erreicht hat und damit im Vergleich gesunken ist, ist er weiterhin sehr hoch, denn im europäischen Durchschnitt liegt er bei bei 35 Prozent“, so Studienautor Martin Unger. 

Herausforderungen im Nutztierbereich

Als Problem sieht Frühwirth das Thema Rekrutierung im Nutztierbereich: „Etwa ein Drittel der Veterinär­medizinerInnen arbeitet in Nutztier- und ­Gemischtpraxen. ­Österreichweit ist der Großteil der NutztierärztInnen vor allem in Rinderbetrieben tätig. Im Nutztierbereich wird die aktuelle Versorgungslage von den Veterinärmedizi­nerInnen in allen Bundesländern dennoch als ‚eher unterversorgt‘ eingeschätzt. Es ist nicht auszuschließen, dass es in manchen Spezialisierungsbereichen und schwer erreichbaren Gebieten Probleme mit der Versorgung geben wird. Schwierigkeiten zeigen sich außerdem besonders bei der Besetzung von Not- und Bereitschaftsdiensten.“ Als Gründe dafür, so Frühwirth, geben TierärztInnen die mangelnde Attraktivität des Arbeitsplatzes an. „Sorgen bereiten unserem Berufsstand die anstehende Pensionierungswelle und damit auch insbesondere die Schwierigkeiten, TierärztInnen in ländlichen und infrastrukturschwachen Regionen zu rekrutieren. Den Umfragedaten zufolge ist im Nutztierbereich aufgrund des relativ hohen Alters vieler NutztierpraktikerInnen in den nächsten fünf bis zehn Jahren mit einer hohen Anzahl an Pensionierungen zu rechnen.“ Die Nutztierpraxis werde oft aufgrund der ständigen Erreichbarkeit, Einsatzbereitschaft und schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie unter TierärztInnen mehr als „Lebensform“ und nicht als Beruf beschrieben. Doch der Wandel und Paradigmenwechsel in der Einstellung der TierärztInnen sei spürbar. 

Vetmeduni Vienna startete Initiative für ländliche Regionen 

Um weiterhin österreichweit eine bestmögliche flächendeckende veterinärmedizinische Versorgung auch in abgelegenen Regionen zu gewährleisten, hat die Vetmeduni Vienna die Initiative „VetRegioVetmedAustria“ ins Leben gerufen: „Studierende sollen frühzeitig, etwa durch Praktika und durch wissenschaftliche Arbeiten, mit den ländlichen Regionen vernetzt werden, um sie darin zu bestärken, sich nach ihrem Studium dort niederzulassen“, so Petra Winter, Rektorin der Vetmeduni. Im Zuge der Initiative wurde bereits eine intensive Kooperation mit dem Land Kärnten ins Leben gerufen. Auch mit den weiteren Bundesländern strebt man eine vertiefte Zusammenarbeit an. 

Als einzige veterinärmedizinische Hochschule in Österreich bildet die Vetmeduni Vienna Studierende aus allen Bundesländern aus: Knapp zwei Drittel kommen aus ländlichen Gebieten, davon kehrt bereits jetzt ein großer Teil als AbsolventInnen in ihre Herkunftsbundesländer zurück. Im Rahmen des Studiums erfahren die Studierenden eine breite Ausbildung, die neben den veterinärmedizinischen Grundlagen ein Clinical Hands-on-Training in den auf fünf verschiedene Tierarten spezialisierten Kliniken umfasst. Besonderer Wert wird außerdem auf die Vermittlung unternehmerischer und kommunikativer Fertigkeiten ­gelegt. 

Tierärztliche Versorgung in Österreich auch in Zukunft gesichert

„Die IHS-Studie belegt, dass es derzeit und in Zukunft ausreichend viele von der Veterinärmedizinischen Universität Wien ausgebildete TierärztInnen gibt und geben wird und dass lediglich ihre Verteilung in Österreich eine Herausforderung darstellt“, erklärt Rektorin Petra Winter. Das 2005/06 eingeführte Aufnahmeverfahren führte zu einer markanten Erhöhung der Abschlussquote, die im Jahr 2018 bereits 82  Prozent betrug. Seit dem Studienjahr 2010/11 beginnen jährlich rund 200 Personen mit einem veterinärmedizinischen Studium, während es von rund 154 Personen (mit steigender Tendenz) jährlich abgeschlossen wird.  

Wichtig sei es, die hohen Qualitätsstandards der veterinärmedizinischen Versorgung in Österreich auch in Zukunft aufrechtzuerhalten, sind sich die VertreterInnen der ÖTK, der Vetmeduni Vienna und des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz einig: „Damit VeterinärmedizinerInnen nach ihrem Abschluss in ihrem Beruf tätig bleiben, braucht es verbesserte Rahmenbedingungen“, erklärt Petra Winter, Rektorin der Vetmeduni Vienna. 

Von der Lebensform zum Beruf

„War die Arbeitspraxis früher noch stark individualistisch geprägt und durch sogenannte Einzelkämpfer und die Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit von praktischen TierärztInnen gekennzeichnet“, so Frühwirth, „so sind heute vermehrt teils sehr enge Kooperationen zwischen Einzelpraxen sowie eine vermehrte Gründung von Gemeinschafts­praxen verbreitet.“ Die hohe Arbeitsbelastung könne durch eine arbeitsteilige Gestaltung der Arbeitspraxis verringert werden. Zudem stehe der Wunsch nach Spezialisierungen innerhalb von Kooperationen, geregeltem Arbeitsaufwand, sozialer Absicherung und besseren Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Vordergrund, erklärt Frühwirth und sagt: „Inwiefern sich die Tendenz zu mehr Kooperationen und Gemeinschaftspraxen in Zukunft auch in alpinen und weniger tierintensiven Regionen entwickelt, wird sich zeigen.“

Die Studie zeigt zudem auch eine zunehmende Verschiebung von freiberuflich tätigen „Einzelkämpfern“ zu angestellten TierärztInnen. „Diese Entwicklung erfordert eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen und eine Neuorganisation der Notfallversorgung für Heim- und Nutztiere“, erklärt Ulrich Herzog vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz. „Außerdem sind gezielte Maßnahmen erforderlich, um amtliche Tätigkeiten wie die Schlachttier- und Fleischuntersuchung, die für die Gesellschaft von höchster Wichtigkeit sind, zum Beispiel durch eine sozialrechtliche Absicherung attraktiver zu gestalten.“

Beruf im Gemeinwohlinteresse

Eine gemeinsame Strategie aller Verantwortlichen, so Frühwirth, solle es geben, wenn es um Lebensmittelsicherheit, das Gemeinwohl und die Gesundheit von Mensch und Tier gehe. Es seien alle gefordert, die hohen Qualitätsstandards in unserem Land mit aufrechtzuer­halten und Verantwortung zu übernehmen – „das wird der Berufsstand alleine nicht schaffen“, betont Frühwirth. 

Masterplan Tierarzt/Tierärztin 2030

Für die Zukunft hebt Frühwirth besonders hervor: „Wir stehen vor der Herausforderung, dass trotz hoher TierärztInnenzahlen nicht genügend VeterinärInnen in Bereichen der tierärztlichen Versorgung arbeiten können oder wollen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Dementsprechend kann dieses Problem auch nicht mit einer Maßnahme gelöst werden, sondern benötigt ein Bündel an vielfältigen Ansätzen; vielmehr einen Masterplan, der zwingend gesamtheitlich umgesetzt werden muss, um Wirkung zu entfalten. Dazu braucht es aber auch einen Schulterschluss zwischen Bund, Ländern, Gemeinden und der Universität.“