„Ich kann nicht mehr!“

Wenn der tierärztliche Beruf zur seelischen Belastung wird

Tierärztin Tonia Olson
Autorin der Karriereplattform VetStage.de

Die wenigsten Menschen machen sich jeden Tag voller Vorfreude auf den Weg in die Arbeit. Es ist ganz normal, dass man in beruflichen Stress-Phasen am liebsten wegfliegen würde. Ab wann spricht man von einem Burn-out und ab wann benötigt man professionelle Hilfe?

Wenn man sich jedoch dauerhaft seelisch „ausgebrannt“ fühlt und jegliche Freude an seiner Arbeit verloren hat, dann stimmt etwas nicht und im schlimmsten Fall liegt bereits ein manifester Burn-out vor, sodass der Betroffene dringend Hilfe benötigt. Tierärzte haben – neben anderen Menschen, die soziale und helfende Berufe ausüben – ein erhöhtes Risiko, an dieser tiefen Selbstwertkrise zu erkranken. Sie müssen sich tagtäglich um ihre emotional belasteten Klienten sorgen und stellen dabei oft ihre eigene Person und ihr eigenes Empfinden in den Hintergrund. Natürlich begünstigen zudem bestimmte Persönlichkeitsfaktoren die Entstehung von Burn-out. 

Menschen, die zu Perfektionismus neigen und sich ­voller Begeisterung bis hin zur Verausgabung in die Arbeit stürzen, sind stärker gefährdet als andere. Häufig stellen gerade Tierärzte in Führungspositionen unrealistische und nicht erfüllbare Arbeitsanforderungen an sich und andere, was zu einem ständigen Unzufriedenheitsgefühl führen kann. Gefährlicher als diese Burn-out begünstigenden Charaktereigenschaften ist jedoch gerade bei Tierärzten die extrem hohe Belastung durch ihren Beruf, die zu Dauerstress führen kann. In einer Umfrage zur beruflichen und wirtschaftlichen Situation von Tierärzten und Tierärztinnen in Österreich, die 2012 in einem Wifo-Bericht veröffentlicht wurde (www.tieraerztekammer.at/fileadmin/daten/downloads/Bericht_WIFO_09_10_2012.pdf), äußerten sich zahlreiche Teilnehmer in abschließenden Kommentaren unzufrieden und frustriert über ihre persönliche berufliche Situation. Dabei stellt v. a. die hohe berufliche Belastung ein zentrales Problem dar und führt zu Überforderung. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: 

• schlechte Arbeitsbedingungen (lange Arbeitszeiten, schlechtes Einkommen) 

• hoher Leistungsdruck

• z. T. schwieriger Umgang mit den Patientenbesitzern und deren hoher Erwartungshaltung (der Tierarzt muss immer eine perfekte Leistung erbringen und stets gut gelaunt sein)

• große Verantwortung verbunden mit ständigem Hinterfragen der eigenen Entscheidungen („Habe ich bei der Behandlung alles richtig gemacht?“)

• hohes Maß an Selbstkritik (Therapieversagen wird von Tierärzten oft als schwere Niederlage oder sogar  als persönliches Versagen empfunden) 

• häufige Konfrontation mit dem Thema Tod (v. a. durch selbst durchgeführte Euthanasie)

Hinzu kommt die bedeutsame Tatsache, dass Tierärzte i. d. R. wenig Zeit für ihr Privatleben haben und sich ihr Beruf sehr schlecht mit anderen Lebensbereichen, v. a. der Familie, vereinbaren lässt. Dies ist sehr belastend und kann zu vermehrten Konflikten im privaten Bereich führen. Die meisten Tierärzte schaffen es folglich nicht, sich in ihrer Freizeit vom beruflichen Stress zu erholen und ihre persönlichen Kraftreserven wieder aufzufüllen.

Symptome und Phasen des Burn-outs 

Das Burn-out-Syndrom wurde erstmals durch den Psycho-analytiker Herbert Freudenberger als „Erschöpfung der Energiereserven“ beschrieben. Die Erkrankung darf nicht mit einer vorübergehenden Selbstwertkrise verwechselt werden. Es handelt sich vielmehr um den Zustand totaler (körperlicher, emotionaler und geistiger) Erschöpfung aufgrund einer chronischen beruflichen oder anderweitigen Überlastung, die wegen einer verminderten Belastbarkeit nicht bewältigt werden kann. 

Burn-out liegt dann vor, wenn der Betroffene folgende Symptome zeigt:


• überwältigende emotionale Erschöpfung

(Kernsymptom) verbunden mit Antriebsschwäche. Die Betroffenen fühlen sich leer, schwach und müde („Ich habe keine Kraft mehr!“)

Depersonalisation (innerliches Erkalten): abnehmendes Einfühlungsvermögen, Interesse und Engagement für andere, v. a. Patienten(besitzer); stattdessen Gleichgültigkeit, Distanziertheit oder Zynismus („Mir ist alles egal! Lasst mich in Ruhe!“) 

verminderte Leistungsfähigkeit: tritt erst in der Endphase, dem eigentlichen Burn-out auf („Ich kann nicht mehr!“) 

Das Burn-out-Syndrom entwickelt sich schleichend und phasenweise, weshalb erste Anzeichen – gerade bei Menschen in „helfenden“ Berufen – oft unbemerkt bleiben. In der Anfangsphase weisen die Betroffenen noch ein extremes Leistungsstreben und idealistische Begeisterung auf. Sie arbeiten freiwillig mehr und vernachlässigen dabei persönliche Bedürfnisse und soziale Kontakte. 

Durch die permanente Anspannung reagieren sie oft ungeduldig und sind leicht reizbar. Diese Anfangsphase kann – je nach Willenskraft – Jahre bis Jahrzehnte andauern, da innere Probleme übergangen und die Symptome von den Betroffenen selten als belastend empfunden werden (auch wenn sie bereits negative Auswirkungen auf Praxis und Privatleben haben können). 

Denn: Die Arbeit macht immer noch Spaß, und da es Tierärzte i. d. R. gewohnt sind, extrem viel zu arbeiten (laut der o. g. Studie arbeiten immerhin zwölf Prozent der befragten Veterinäre mehr als 40 Wochenstunden), merken sie die Anstrengung kaum noch. Die extreme Arbeitsbelastung ist jedoch oft nicht nur eine vorübergehende Phase, und irgendwann kann das hohe Leistungsniveau nicht mehr aufrechterhalten werden. Bevor sich die emotionale Erschöpfung einstellt, zeigen die Betroffenen in der Übergangsphase erste Fluchttendenzen und Rückzug, um Enttäuschungen zu vermeiden. 

Durch ihre zunehmend negative Einstellung zum Beruf reduzieren sie die Anwesenheitszeiten in der Praxis und meiden ebenfalls soziale Kontakte, wodurch sie zunehmend vereinsamen. Vom eigentlichen Burn-out spricht man schließlich dann, wenn durch die chronische Überlastung in der Endphase die totale Erschöpfung eintritt. Die Betroffenen leiden u. a. unter Gedächtnisproblemen, Konzentrationsschwäche und vorzeitigem Ermüden und sind folglich nicht mehr leistungsfähig. 

Sie werden depressiv, fühlen sich antriebslos, niedergeschlagen, werten sich selbst ab und resignieren vollständig. Als Ausweg aus dieser verzweifelten Situation flüchten sich betroffene Tierärzte oft in die Betäubung durch Alkohol oder Medikamente. Nicht selten kommen sogar Selbstmordgedanken auf. 

Wie kann ich mich als Tierarzt vor einem Burn-out schützen? 

Bedingt durch die extrem hohe Belastung durch ihren Beruf haben Tierärzte nicht nur ein erhöhtes Risiko, an Burn-out zu erkranken, sondern belegen auch in vielen westlichen Ländern regelmäßig den ersten Platz in der Selbstmordstatistik. Dies ist erschreckend, und es besteht ein dringender Handlungsbedarf! Tierärzte müssen -lernen, erste Warnsignale eines Burn-outs zu erkennen und durch persönliche und berufliche Veränderungen einer Symptombildung von Krankheitswert entgegenzuwirken. Dazu zählen:

• Verbesserung der Arbeitsbedingungen (z. B. geregelte Arbeitszeiten)

• Entwicklung von realistischen Arbeitsansprüchen

• mehr Zeit für Familie, Freunde und Hobbys

• hin und wieder kleine persönliche Enstpannungs- und Regenerationsphasen

Auch Tierärzte, die alles für ihren Beruf geben, sollten auf den inneren SOS-Ruf hören und die innere Balance nie aus den Augen verlieren. Nur so können die meisten Erkrankungen frühzeitig verhindert werden.

Die Sigmund Freud Privatuniversität Wien führt derzeit eine anonyme Umfrage zum Thema Stress unter Tierärzt/innen durch – unter folgendem Link kann man daran teilnehmen: 

www.soscisurvey.de/UmfrageTieraerztInnen