Hodentorsion

bei einem Achtjährigen kryptorchen Rüden

Mag. Pauline Svolba
Tierklinik Sattledt

Kryptorchismus ist ein genetischer Defekt und scheint bei einigen Rassen häufiger vorzukommen als bei anderen. Bei allen kryptorchen Hunden mit abdominalen Schmerzen sollte demnach die Hodentorsion als mögliche Diagnose in Betracht gezogen werden.

Anamnese und Klinik

Der achtjährige Akita-Inu-Rüde „Akiro“ wurde im Notdienst wegen akut einsetzender Apathie, Kurzatmigkeit und für den Besitzer nicht genau zuordenbarer Schmerzen vorgestellt. Akiro wurde trotz eines kryptorchen Hodens nie kastriert. Bei der klinischen Untersuchung waren eine leicht erhöhte innere Körpertemperatur von 39,3 °C, -blasse Schleimhäute und ein steifes Gangbild auffällig. Der Puls hatte eine Frequenz von 120 pro Minute. Die Atemfrequenz betrug 32 Atemzüge pro Minute. Die Kapillarfüllungszeit war verzögert und dementsprechend über drei Sekunden. Außerdem konnte im kaudalen Abdomen eine circa kindskopfgroße Umfangsvermehrung ertastet -werden. Die abdominale Palpation war druckdolent, und Akiro zeigte deutliche Abwehrbewegungen.

Weitere Untersuchungen

Bei der Blutchemie waren alle untersuchten -Organwerte in der Norm. Das Blutbild zeigte einen normalen Hämato-krit (42 Prozent), eine Thrombozytopenie (69 K/µL), eine Retikulozytose (137 K/µL) und eine Leukozytose (27 K/µL) mit Neutrophilie und Monozytose. Das C-reaktive Protein (CRP) war mit 162 mg/l (0–10) deutlich erhöht. Die Thrombozyten von Akiro wurden bereits bei vorhergehenden Untersuchungen mittels Blutausstrich kontrolliert und als Megathrombozyten und demnach als nicht pathologisch diagnostiziert. Die Röntgenuntersuchung des Thoraxes in zwei Ebenen erschien unauffällig (Abb. 1), wohingegen der Ultraschallbefund deutliche Veränderungen zeigte. Neben einem mittelgradigen Aszites war im kaudalen Abdomen eine circa sechs Zentimeter große, runde, inhomogene Masse mit gemischter Echogenität zu erkennen (Abb. 2). Dem ersten Anschein nach handelte es sich um eine Umfangsvermehrung der Milz, allerdings war keine Verbindung zu dieser auszumachen. Die restlichen Bauchorgane konnten gut abgegrenzt werden und zeigten sich sonographisch unauffällig. Das Punktat der freien Flüssigkeit war sero-sanguinös mit einer hohen Zellzahl und hohem Eiweißgehalt von 4,5 g/dl (Abb. 3). Demnach handelte es sich um ein Exsudat. Das zytologische Bild des Punktats zeigte eine sterile Entzündung. Der Hämatokrit des Punktats war bei zwölf Prozent.

Differenzialdiagnosen

An erster Stelle der Differenzialdiagnosenliste stand ein Tumor. Welchem Organ dieser vermeintliche Tumor zugehörig sein sollte, war sonographisch nicht ausmachbar. Ein Abszess war aufgrund des sterilen Exsudates und der sonographischen Darstellung unwahrscheinlich. An den tatsächlichen Ursprung der Umfangsvermehrung dachte anfänglich niemand.

Weiteres Vorgehen

Aufgrund der akuten und unklaren Situation wurde nach Stabilisierung des Kreislaufs mit gelatinehaltiger Infusionslösung als Volumenersatzmittel (5 ml/kg/Stunde) und einer Vollelektrolytlösung (10 ml/kg/Stunde) eine diagnostische Laparotomie durchgeführt. Antibiotisch wurde Akiro mit Amoxicillin-Clavulansäure (20 mg/kg) intravenös abgedeckt.

Zur Narkoseprämedikation erhielt Akiro Diazepam (5 mg/ml, 1 mg/kg KM iv.) und Ketamin (2 mg/kg KM iv.). Zur Schmerztherapie wurden präoperativ Carprofen (4 mg/kg KM iv.) und postoperativ Methadon (1 mg/kg KM iv.) verabreicht. Die Einleitung erfolgte mit Propofol (0,1 mg/kg). Nach Intubation wurde die Narkose mit Sevofluran und Fentanyl (20–40 µg/kg/h) im Dauertropf fortgesetzt.

Während der OP-Vorbereitung wurde der Kryptorchismus des Rüden festgestellt und zum ersten Mal die Hypothese eines intraabdominalen Hodentumors gestellt.

Nach Eröffnung in der Linea alba wurde die blutige, abdominale Flüssigkeit abgesaugt. Die zuvor palpierte Umfangsvermehrung lag kindskopfgroß, dunkelrot bis dunkellila verfärbt, rechts kraniolateral der Harnblase. Sie entpuppte sich als torquierter, kryptorcher Hoden. Der Samenstrang war vier Zentimeter proximal des Hodens im Uhrzeigersinn um mehr als 360 Grad gedreht (Abb. 5 oben). Der Hoden war hämorrhagisch infarziert und hochgradig vergrößert. Dieser wurde – ohne ihn vorher auszudrehen – Schritt für Schritt mit dem Liga Sure proximal der Torsionsstelle abgesetzt (Abb. 5 unten). Eine Identifikation des Harnleiters bzw. dessen Beteiligung an der Torsion war intraoperativ nicht nachvollziehbar. Die Bauchhöhle wurde mit körperwarmer Ringerlösung gespült. Nach genauer Kontrolle auf Blutungen wurde das Abdomen in drei Schichten verschlossen. Der Hoden -wurde zur pathologischen Untersuchung eingesandt. 

Postoperative Therapie

Nach der Operation wurde die Infusion mit Ringer-Laktat--Lösung während 24 Stunden mit 4 ml/kg KM weitergeführt. Die Analgesie wurde mit Methadon (0,1 mg/kg KM) alle vier Stunden aufrechterhalten. Die intravenöse Antibiose wurde mit Amoxicillin-Clavulansäure in der vorher erwähnten Dosierung zweimal täglich weitergeführt. Der Allgemeinzustand des Hundes besserte sich sehr schnell. Am ersten postoperativen Tag wurde der Hund aus der Klinik entlassen. Die weitere antibiotische Versorgung erfolgte über fünf Tage mit Amoxicillin-Clavulansäure (20 mg/kg KM) zweimal täglich per os. Eine Analgesie wurde mit einmal täglich Carprofen (4 mg/kg) über sieben Tage und zweimal täglich 3 mg/kg KM Tramadol über zwei Tage nach der Operation weitergeführt.

Um eine etwaige Verletzung des Ureters so früh wie möglich zu diagnostizieren, wurden bei Akiro am ersten, dritten, sechsten und zehnten postoperativen Tag Ultraschallkontrollen der rechten Niere und des Nierenbeckens durchgeführt. Zu jedem Zeitpunkt war weder Aszites, eine Stauung des Ureters noch ein gestautes Nierenbecken feststellbar. Klinisch ging es dem Patienten hervorragend und bereits am dritten Tag erklärten die Besitzer, Akiro wäre bereits ganz der Alte. Am zehnten Tag wurden – zusätzlich zur sonographischen Kontrolle – die Fäden gezogen, da die Wunde bereits per primam verheilt war. 

Die pathologische Untersuchung ergab den Verdacht auf ein Seminom. Das histologische Bild zeigte einen hämorrhagisch infarzierten Hoden, und es waren Rundzellen zu erkennen, die zu einem Seminom passen würden. Seminome werden grundsätzlich als maligne angesehen. Metastasierungen (in die regionären Lymphknoten, Lunge) werden in sechs bis elf Prozent der Fälle beobachtet.

 

Diskussion

Meist tritt dieses Krankheitsbild bei kryptorchen Hunden auf. Abdominale Kyptorchide können häufiger betroffen sein als inguinale, da der Hoden sich durch die meist vorhandene tumorös bedingte Größenzunahme leichter um die eigene Achse dreht. Zwischen Gubernaculum testis und Ductus deferens agiert der Hoden wie ein Schwungrad. Auch der Hoden im Leistenkanal kann durch die Bewegung im Leistenkanal verdreht werden. Durch die Torsion werden die venösen Gefäße verschlossen, während die Arterien noch Blut in den Hoden transportieren und somit einen starken Druck aufbauen. Es kann zum Austritt von ödematöser Flüssigkeit kommen und es können vereinzelt Gefäße platzen, was wiederum zu Einblutungen in das Hodengewebe führt. Dieser Zustand verursacht starke, akut auftretende Schmerzen. Wird diese Veränderung zu spät erkannt, kann es bereits nach kurzer Zeit zum Absterben des Hodens kommen. 

Mögliche klinische Symptome einer abdominalen Hodentorsion sind Anorexie, Lethargie, Vomitus, Diarrhoe, Schwellung des Skrotums und der inguinalen Gegend, steifes Gangbild und eine schmerzhafte Masse im Abdomen. Die Symptome sind unspezifisch. Mögliche Differenzialdiagnosen für ein akutes Abdomen wären Ileus, Pankreatitis, Peritonitis, Prostatitis, Prostatakarzinom, Prostatazyste, Milzdrehung, Urethraobstruktion, akute Pyelonephritis, Hodendrehung, Hodentumor und Tumor an der Harnblase. Beim Menschen ist die intraskrotale Hodentorsion immer ein Notfall, der mit großen Schmerzen verbunden ist. Es sollte innerhalb von sechs Stunden operiert werden, sonst kann die Blutversorgung des Hodens irreversibel gestört sein. Hunde scheinen dagegen nur leichte Palpationsschmerzhaftigkeit zu haben. Beim Hund ist intraskrotale Drehung noch deutlich seltener anzutreffen als die – an sich schon rar vorkommende – intraabdominale Hodentorsion, welche beim Hund fast immer mit einer neoplastischen Entartung des Hodengewebes verbunden ist. Die Erkrankung kann chronisch oder akut verlaufen.  

Kryptorchismus ist ein genetischer Defekt und scheint bei einigen Rassen häufiger vorzukommen als bei anderen. Zwergpudel, Pomeranians, Yorkshire Terrier, Dackel und Cairn Terrier scheinen besonders häufig vertreten zu sein. Kryptorchismus ist ein Zuchtausschlussgrund. Unilateral kryptorche Hunde sind im Vergleich zu beidseitig kryptorchen Rüden nicht steril und können damit den Defekt der nächsten Generation weitervererben. Das Risiko eines Hodentumors ist bei kryptorchen Hunden bis zu 13-mal größer als bei Hunden mit physiologischem Hodenabstieg. Am häufigsten bei abdominal kryptorchen Hoden sind Sertolizelltumore. Die erhöhte Temperatur bewirkt einen Verlust aller tubulären, germinativen Epithelien und der endokrinen Funktion. Nur Sertolizellen und interstitielle Zellen können bei diesen Temperaturen überleben. Mögliche Symptome bei Sertollizelltumoren sind auf die Überproduktion von Östrogenen bzw. Steroiden zurückzuführen. Dazu zählen bilateral Alopezie, die zuerst in der Genitalgegend beginnt und sich dann über das ventrale Abdomen ausbreitet, Hyperpigmentation, Verweiblichung, Panzytopenie und Knochenmarkshypoplasie. 

Bei allen kryptorchen Hunden mit abdominalen Schmerzen sollte demnach die Hodentorsion als mögliche Diagnose in Betracht gezogen werden und auf die Differenzialdiagnosenliste gesetzt werden.

Literatur

Quartuccio M., Marino G., Garufi G., Cristarella S., Zanghì A. Sertoli: Cell tumors associated with feminizing syndrome and spermatic cord torsion in two cryptorchid dogs. J Vet Sci. 2012 Jun; 13(2): 207–9.
Carr J.G., Heng H.G., Ruth J., Freeman L.: Laparoscopic treatment of testicular torsion in a puppy. J Am Anim Hosp Assoc. 2015 Mar–Apr; 51(2): 97–100. doi: 10.5326/JAAHA-MS-6055. Epub 2015 Feb 5.
Mostachio G., Apparício M., Vicente W.R., Cardilli D.J., Motheo T.F., Toniollo G.H.: Intraabdominal torsion of a neoplastic testicle and prostatic cyst in a cryptorchid dog. Schweiz Arch Tierheilkd. 2007 Sep; 149(9): 408–12.
Hecht S., King R., Tidwell A.S., Gorman S.C.: Ultrasound diagnosis: intra-abdominal torsion of a non-neoplastic testicle in a cryptorchid dog. Vet Radiol Ultrasound. 2004 Jan–Feb; 45(1): 58–61.
Romagnoli S.E.: Canine cryptorchidism. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 1991 May; 21(3): 533–44.
Sutton J.B.: Case of Torsion of the Spermatic Cord in a Dog. Med Chir Trans. 1892; 75: 257–9.
Reproduktionsmedizin und Neonatologie von Hund und Katze, von Günzel-Apel, Anne-Rose, S. 676
Praktikum der Hundeklinik: Begründet von Hans G. Niemand, 2017, von Barbara Kohn, Günter Schwarz, S. 142
Canine and Feline Endocrinology and Reproduction – E-Book, von Edward C. Feldman, Richard W. Nelson, 2004, S. 970
Small Animal Internal Medicine, von Richard W. Nelson, C. Guillermo Couto. 5th edition, S. 944–945
Clinical Endocrinology of Dogs and Cats: An Illustrated Text, herausgegeben von A. Rijnberk. 1996, S. 126–128
Gradner G., Dederichs D., Hittmair K.M.: Torsion eines intraabdominalen Hodentumors bei einem Hund, Vet. Med. Austria/Wien. Tierärztl. Mschr. 93 (2006)