Anamnese und Klinik
Der achtjährige Akita-Inu-Rüde „Akiro“ wurde im Notdienst wegen akut einsetzender Apathie, Kurzatmigkeit und für den Besitzer nicht genau zuordenbarer Schmerzen vorgestellt. Akiro wurde trotz eines kryptorchen Hodens nie kastriert. Bei der klinischen Untersuchung waren eine leicht erhöhte innere Körpertemperatur von 39,3 °C, -blasse Schleimhäute und ein steifes Gangbild auffällig. Der Puls hatte eine Frequenz von 120 pro Minute. Die Atemfrequenz betrug 32 Atemzüge pro Minute. Die Kapillarfüllungszeit war verzögert und dementsprechend über drei Sekunden. Außerdem konnte im kaudalen Abdomen eine circa kindskopfgroße Umfangsvermehrung ertastet -werden. Die abdominale Palpation war druckdolent, und Akiro zeigte deutliche Abwehrbewegungen.
Weitere Untersuchungen
Bei der Blutchemie waren alle untersuchten -Organwerte in der Norm. Das Blutbild zeigte einen normalen Hämato-krit (42 Prozent), eine Thrombozytopenie (69 K/µL), eine Retikulozytose (137 K/µL) und eine Leukozytose (27 K/µL) mit Neutrophilie und Monozytose. Das C-reaktive Protein (CRP) war mit 162 mg/l (0–10) deutlich erhöht. Die Thrombozyten von Akiro wurden bereits bei vorhergehenden Untersuchungen mittels Blutausstrich kontrolliert und als Megathrombozyten und demnach als nicht pathologisch diagnostiziert. Die Röntgenuntersuchung des Thoraxes in zwei Ebenen erschien unauffällig (Abb. 1), wohingegen der Ultraschallbefund deutliche Veränderungen zeigte. Neben einem mittelgradigen Aszites war im kaudalen Abdomen eine circa sechs Zentimeter große, runde, inhomogene Masse mit gemischter Echogenität zu erkennen (Abb. 2). Dem ersten Anschein nach handelte es sich um eine Umfangsvermehrung der Milz, allerdings war keine Verbindung zu dieser auszumachen. Die restlichen Bauchorgane konnten gut abgegrenzt werden und zeigten sich sonographisch unauffällig. Das Punktat der freien Flüssigkeit war sero-sanguinös mit einer hohen Zellzahl und hohem Eiweißgehalt von 4,5 g/dl (Abb. 3). Demnach handelte es sich um ein Exsudat. Das zytologische Bild des Punktats zeigte eine sterile Entzündung. Der Hämatokrit des Punktats war bei zwölf Prozent.
Differenzialdiagnosen
An erster Stelle der Differenzialdiagnosenliste stand ein Tumor. Welchem Organ dieser vermeintliche Tumor zugehörig sein sollte, war sonographisch nicht ausmachbar. Ein Abszess war aufgrund des sterilen Exsudates und der sonographischen Darstellung unwahrscheinlich. An den tatsächlichen Ursprung der Umfangsvermehrung dachte anfänglich niemand.
Weiteres Vorgehen
Aufgrund der akuten und unklaren Situation wurde nach Stabilisierung des Kreislaufs mit gelatinehaltiger Infusionslösung als Volumenersatzmittel (5 ml/kg/Stunde) und einer Vollelektrolytlösung (10 ml/kg/Stunde) eine diagnostische Laparotomie durchgeführt. Antibiotisch wurde Akiro mit Amoxicillin-Clavulansäure (20 mg/kg) intravenös abgedeckt.
Zur Narkoseprämedikation erhielt Akiro Diazepam (5 mg/ml, 1 mg/kg KM iv.) und Ketamin (2 mg/kg KM iv.). Zur Schmerztherapie wurden präoperativ Carprofen (4 mg/kg KM iv.) und postoperativ Methadon (1 mg/kg KM iv.) verabreicht. Die Einleitung erfolgte mit Propofol (0,1 mg/kg). Nach Intubation wurde die Narkose mit Sevofluran und Fentanyl (20–40 µg/kg/h) im Dauertropf fortgesetzt.
Während der OP-Vorbereitung wurde der Kryptorchismus des Rüden festgestellt und zum ersten Mal die Hypothese eines intraabdominalen Hodentumors gestellt.
Nach Eröffnung in der Linea alba wurde die blutige, abdominale Flüssigkeit abgesaugt. Die zuvor palpierte Umfangsvermehrung lag kindskopfgroß, dunkelrot bis dunkellila verfärbt, rechts kraniolateral der Harnblase. Sie entpuppte sich als torquierter, kryptorcher Hoden. Der Samenstrang war vier Zentimeter proximal des Hodens im Uhrzeigersinn um mehr als 360 Grad gedreht (Abb. 5 oben). Der Hoden war hämorrhagisch infarziert und hochgradig vergrößert. Dieser wurde – ohne ihn vorher auszudrehen – Schritt für Schritt mit dem Liga Sure proximal der Torsionsstelle abgesetzt (Abb. 5 unten). Eine Identifikation des Harnleiters bzw. dessen Beteiligung an der Torsion war intraoperativ nicht nachvollziehbar. Die Bauchhöhle wurde mit körperwarmer Ringerlösung gespült. Nach genauer Kontrolle auf Blutungen wurde das Abdomen in drei Schichten verschlossen. Der Hoden -wurde zur pathologischen Untersuchung eingesandt.