Beruf Tierarzt einst und jetzt

Historischer Rückblick auf den Berufsstand

Bettina Kristof

Der Beruf des akademisch ausgebildeten Tierarztes ist von seinen Anfängen bis heute einem großen Wandel unter­legen, der eng mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung verknüpft ist. Früher waren Tierärzte fast ausschließlich mit der Gesunderhaltung der militärisch wichtigen Pferde beschäftigt und beim Militär oder am Hof angestellt. In der Folge gehörten die Seuchenbekämpfung und dann vor allem die Tierzucht zu den Hauptaufgabengebieten der Tierärzte. Die strukturellen Veränderungen in der Landwirtschaft wirkten sich auch auf den Beruf der Veterinärmediziner aus: Statt für die Betreuung einzelner Tiere war der Tierarzt nun für ganze Herden zuständig. In unserer Zeit sind die meisten Tierärzte selbstständig oder angestellt in Kleintierordinationen tätig oder haben in staatlicher Mission mit Seuchenbekämpfung und Hygienekontrollen zu tun. Dr. med. vet. Walter Winding beschäftigte sich im Zuge seiner beruflichen Laufbahn mit der historischen Entwicklung des tierärztlichen Berufes und gab uns zu diesem spannenden Thema ein Interview.

Wie hat sich der Beruf des akademisch geprüften Tierarztes entwickelt?
Die erste Veterinärschule entstand 1761 in Lyon und wurde von dem Franzosen Claude Bourgelat, der von Pferden begeistert war, ins Leben gerufen. 1765 wurde Alfort bei Paris gegründet, und noch im selben Jahr war die Geburtsstunde der Lehrschule zur Heilung der Viehkrankheiten. Man kann sagen, dass mit der Gründung der Ecole Vétérinaire in Lyon die akademische Ausbildung der Tierärzte begann. Die Absolventen der Veterinärschulen erhielten am Ende der erfolgreichen Ausbildung ein Diplom. Davor beschäftigten sich Hufschmiede, Bereiter oder Kutscher ohne organisierte Ausbildung mit der Tiergesundheit, die sich zu dieser Zeit hauptsächlich auf Pferde beschränkte.

Was genau wurde damals an der Veterinärmedizinischen Universität gelehrt?
In der damaligen Zeit waren Pferde ein ganz wichtiger militärischer und auch wirtschaftlicher Faktor. Deshalb wurde an der Universität hauptsächlich in Bezug auf das Pferd geforscht und gelehrt. In der Folge beschäftigte man sich auch mit Rindern. Es gab zu dieser Zeit verheerende Rinderpest-Epidemien und daraus resultierend Hungersnöte, vor allem in Frankreich. Der Staatssekretär für Landwirtschaft am Hof König Ludwigs XV. erkannte die ökonomische Bedeutung der Veterinärmedizin und drängte darauf, dass an den Veterinärschulen alle Krankheiten der Haustiere erforscht und gelehrt werden sollten. Unter seiner Einflussnahme wurde daher das Spektrum ausgeweitet und man begann damit, sich wissenschaftlich mit Pferden, Rindern und Schafen zu beschäftigen.
Man kann sagen, dass damals die wissenschaftlichen Grundlagen für das Verständnis und die Behandlung aller wirtschaftlich bedeutenden Haustierarten gelegt wurden.
1777 wurde übrigens das erste Tierspital in Wien gegründet. Bei meinen Nachforschungen entdeckte ich auch einen Instruktionsplan dieses Spitals, aus dem ersichtlich ist, dass dort damals Pferde, Esel, Zugrinder und Schafe erforscht und behandelt wurden. 

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts und fortgeschrittener Industrialisierung haben die Pferde als Haupt­aufgaben­gebiet für die Tierärzte an Bedeutung verloren. Worauf haben sich die Tierärzte danach konzentriert?
Zu diesem Zeitpunkt trat eine dramatische Veränderung für die Tierärzte ein. Seit Beginn der Industrialisierung ging der Pferdebestand drastisch zurück, sowohl beim Militär als auch im Transportwesen. Die Tierärzte konzentrierten sich in der Folge mehr auf die Betreuung der Nutztiere. Bei den kleineren Bauern, die unterschiedliche Tiere hatten, waren sie für die Einzeltierbetreuung zuständig. In der Folge kam es in der Landwirtschaft aber zu Spezialisierungen in der Tierhaltung.
Den Beginn machte die Schweinezucht. Später kam dann die Massentierhaltung auf und das Aufgabengebiet der Tierärzte veränderte sich wieder: Sie kümmerten sich nun um den ganzen Bestand. Dazu gehörte zum einen die Präventivmedizin – Vorbeugung von Seuchen und Erkrankungen –, zum anderen die Leistungssteigerung der Tiere. Die Tierärzte spezialisierten sich auch auf bestimmte Tierarten wie Schweine oder Pferde und später Rinder. 

Was hat sich im Alltag des Tierarztes im Vergleich zu früher verändert?
Ein wesentlicher Unterschied vor allem bei den Nutztierpraktikern ist, dass diese früher gerufen wurden, wenn ein Tier erkrankt war. Heute ist es so, dass der Tierarzt aktiv Vorschläge zur Gesunderhaltung und Leistungssteigerung der Tiere macht und dies im Rahmen seines Vertrages umsetzt. Man kann auch sagen, es gab einen Wechsel von der passiven zur aktiven Betreuung.

Wie wurde der Tierarzt früher honoriert?
Zu Zeiten Maria Theresias war der Tierarzt beim Militär oder beim Hof angestellt und wurde von dort bezahlt. Es gab auch freiberuflich tätige Tierärzte, die die Pferde des Adels beziehungsweise die Nutztiere der Großgrund­besitzer betreuten. Diese wurden recht gut für ihre Dienste bezahlt. Die Bauern allerdings hatten kein Geld und beglichen ihre Rechnungen in Naturalien. Damals wurden die Tierärzte nur für den behandelten Fall bezahlt. Heute gibt es ja in der Herdenbetreuung Verträge, wonach der Veterinär nach Zeitaufwand oder pauschal bezahlt wird. 

Seit wann gibt es Kleintierpraktiker?
Die Kleintiere spielten früher eine unbedeutende Rolle. Am Hof des Königs gab es zwar Jagdhunde und Luxusgeschöpfe wie den Mops oder das Windspiel, aber ihnen wurde am ehesten im Zusammenhang mit der Tollwut medizinisches Interesse entgegengebracht. Tiere, die keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen hatten, wurden im Allgemeinen nicht besonders wertgeschätzt. Dies veränderte sich erst mit dem Entstehen einer neuen bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert.
Die Haltung von Heimtieren nahm zu, und dies war auch ein Anlass für die Veterinärmediziner, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Zu Beginn behandelten viele Nutztierpraktiker die Kleintiere nebenbei, auch um schwindende Patientenbestände im Bereich der Pferde, Kühe und Schweine auszugleichen. Ausgehend von den großen Städten begann sich der Bereich der Heimtiermedizin ab den Anfängen des 20. Jahrhunderts zu entwickeln. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es dann einen rasanten Aufstieg der Kleintiermedizin. Es etablierten sich im städtischen Bereich und später auch auf dem Land zahlreiche Ordinationen und Kliniken, die sich ausschließlich mit Kleintieren beschäftigten.
Mittlerweile gibt es in der Tiermedizin nicht mehr so viel Unterschied zur Humanmedizin: Viele Praxen sind mit hochwertigen Diagnosegeräten ausgestattet, es werden bei Tieren lebensverlängernde Operationen an Hüften und Bandscheiben durchgeführt und Tierärzte spezialisieren sich so wie die Mediziner im Humanbereich auf unterschiedliche Fachrichtungen. Man kann wirklich sagen, dass ein grundlegender Wandel stattgefunden hat.

Wohin geht die Entwicklung für den Tierarztberuf?
Für selbstständige Tierärzte geht die Entwicklung vom rein Kurativen in das Präventive. Der Trend zu Spezialisierungen wird weiter anhalten. Spezialisten werden vermehrt in Gemeinschaftspraxen zusammenarbeiten. Es wird den Allgemeinpraktiker aber weiterhin geben, er hat eine zentrale Funktion in der Erstbehandlung und wird Patienten nötigenfalls dann zu Spezialisten weiterleiten.
Im Tierschutz, dessen Bedeutung enorm angestiegen ist, hat der Tierarzt eine zentrale Funktion als Mittler zwischen den Interessen der Tiere und Menschen erlangt.
Eine wichtige Entwicklung wird es in der ganzheitlichen Betrachtung des Auftrags der Tierärzte geben. Gesundheit ist nicht teilbar: 70 % der Infektionskrankheiten entstehen durch direkte oder indirekte Beteiligung von Tieren. Das heißt, der Tierarzt ist nicht nur für die Gesundheit der Tiere, sondern auch für die der Menschen zuständig, weil es Auswirkungen auf den Menschen gibt.
Ein simples Beispiel: Wenn der Hund verwurmt ist, steckt er den Menschen an. Daher werden die Tätigkeitsbereiche der Tierärzte und der Humanmediziner in Zukunft stärker vernetzt werden, besonders in der Epidemiologie. Der Beruf des Tierarztes von heute wird durch diese Entwicklung auch als allgemeiner Gesundheitsberuf gesehen, weg vom reinen „Viehdoktor“. Man sieht das bereits an Beispielen wie der Österreichischen Lebensmittelagentur AGES oder der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA, wo Tierärzte bis in die Führungsebene eine wichtige Rolle spielen. Dieser Trend wird sich in Zukunft noch verstärken, was ich sehr begrüßenswert finde.