Heimchen

am Herd

Mag. Eva Kaiserseder

Insekten als menschliches Nahrungsmittel? Den meisten von uns fallen assoziativ eher weniger appetitliche Szenen aus dem „Dschungelcamp“ ein. Dabei ist der Verzehr von Gliederfüßern keine Neuigkeit mehr: Seit Tausenden von Jahren gehören sie global gesehen zu den Grundnahrungsmitteln. 

Christoph Thomann traut sich was. Der Wiener hat Gesundheitsmanagement studiert und währenddessen sein ausgeprägtes Interesse rund um das Thema Insekten am Teller bemerkt: „Es war damals schon klar, dass das auch in Europa bald wieder ein wichtiges Thema werden wird“, so der Unternehmer, der schließlich nach zwei Jahren des Ausprobierens, Nachjustierens und Experimentierens sein Start-up Zirp Insects gegründet hat. Schaut man über den Tellerrand, wie Thomann das gemacht hat, wird nämlich schnell klar: Der in unseren Breiten vermeintlich neue Trend ist längst nicht so neu, wie es zuerst scheint. 

Weltweit sind rund 1.900 Insektenarten für über zwei Milliarden Menschen ein gesundes Nahrungsmittel, und das nicht erst seit gestern, sondern seit Tausenden von ­Jahren. Das, was da kreucht und fleucht, ist mitnichten das ­schlechteste Nahrungsmittel für die permanent ­wachsende Weltbe­völkerung, die in vielen Teilen mit Mangelernährung konfrontiert ist – denn Insekten sind schlicht und einfach in rauen Mengen vorhanden. 

Ein Bericht der FAO (Food and Agriculture Organisation of the United Nations) streicht zudem explizit den Nährwert im Vergleich zu Fleisch heraus: Verglichen mit Fleisch und Fisch würden Insekten qualitativ hochwertiges Protein und Nährstoffe liefern und vor allem für unterernährte Kinder eine wesentliche Nahrungsergänzung darstellen, Stichwort ungesättigte Fettsäuren, vergleichbar mit Fisch. Auch Selen, Zink oder Magnesium seien bei Insekten reichlich vorhanden, so die Organisation weiter. Die Vorteile des Insektenessens anno 2018 liegen alleine aus umweltpolitischer Sicht auf der Hand, lässt man sich die Zahlen auf der Zunge zergehen, die z. B. die Produktion eines Rindersteaks illustrieren: Zwischen 4.000 und 16.000 Liter Wasser sind dazu laut der Tierschutzorganisation Peta für Anbau und Bewässerung von Futtermitteln sowie für das Trinkwasser der Tiere nötig.  

Insekten sind da wesentlich genügsamer in der Herstellung. Seit Jahren werden sie daher als naheliegende ­Alternative zum massiven und nach wie vor wachsenden globalen Fleischkonsum gehandelt. 

Hausmannskost À la Mehlwurm

Trotz der beeindruckenden Menge an Tierchen, die in Theorie und Praxis also für kulinarische Zwecke geeignet wären, haben in Österreich vor allem Mehlwürmer, Buffalowürmer und Heimchen das Zeug dazu, mittelfristig zum Standard in den heimischen Küchen zu werden. Deren Geschmack wird gerne als „dezent nussig“ beschrieben. Auch Heuschrecken sind als Delikatesse durchaus beliebt, allerdings schwer in großem Stil zu züchten. 

Und selbst Bienendrohnen lassen sich verarbeiten – mit ökologischem Zusatznutzen, denn meist sind die Bienenmännchen bei den Imkern ein Abfallprodukt, Stichwort Varroamilbe. Die besten und validesten Erfahrungswerte hinsichtlich Zucht und Hygiene gibt es aber nun einmal mit den drei oben genannten Arten, wobei man den höchsten Proteinanteil bei den Heimchen findet. 

Daraus lassen sich durchaus vielfältige Speisen herstellen, egal ob Heimchen-Rösti oder Pesto aus Insekten: „Alles, was man etwa mit normalem Mehl herstellt, kann man auch aus pulverisierten Insekten erzeugen. Ein Vorteil ist, dass die Insekten dadurch unsichtbar werden“, so Thomann, der zusammen mit einem Haubenkoch auch Kochkurse anbietet. 

Egal, ob Palatschinken oder Burger, so exotisch, wie man meinen möchte, sind Insektengerichte also mitnichten – Good News für diejenigen, denen allein der Anblick der Krabbler Unwohlsein verursacht. Und die gibt es nach wie vor in großer Mehrheit: Eine Diplomarbeit an der Universität für Bodenkultur aus dem vergangenen Jahr etwa hat sich mit dem Thema der „Konsumakzeptanz von Insekten im deutschen Sprachraum“ auseinandergesetzt. Die Ergebnisse klingen ernüchternd. Denn Fazit ist, dass sich die meisten Befragten trotz aller offensichtlichen Vorteile nicht aus der kulinarischen Komfortzone ­trauen, sprich: Insekten nicht in ihren Speiseplan integrieren wollen. Eine Gruppe gibt es allerdings, die den Ekelfaktor am ehesten überwinden kann: Junge Männer haben die wenigsten Probleme damit, Wurm und Co. zu probieren.

 
Australien und Asien machen’s vor:


Entomo-phagie – wie das Essen von Insekten in der Fachsprache heißt – ist hierzulande also noch eine Ausnahme. Ein Hotspot für Liebhaber krabbelnder Delikatessen dagegen ist Australien. Dort schwören die indigenen Aborigines z. B. auf die Witchetty-Made, eine weißfleischige, dicke Larve eines Käfers, der sich ausschließlich von Holz ernährt. Auch Asien, insbesondere Thailand, gilt als Hochburg für Insektenfans. Dort gehören Street-Food-Stände mit gegrillten, frittierten Grillen und Co. zum Alltag. Dass auch Europa trotz aller Skepsis eine lange Tradition hat, ist den wenigsten bekannt. Dabei war noch im Zweiten Weltkrieg die Maikäfersuppe ein Indiz dafür, wie wichtig Insekten waren, wenn es um nahrhaftes Essen ging. 

Allerdings sollte man sich tunlichst vom Gedanken verabschieden, dass Insekten etwas sind, das nur als Arme-Leute-Essen dient – im Gegenteil: Mopanewürmer im südlichen Afrika und die Eier der Weberameise in Südostasien erzielen hohe Preise und gelten als absolute Leckerbissen. Woher kommt also die quer durch alle Schichten gehende Ablehnung hierzulande, wenn wir doch einst viel aufgeschlossener waren? „Sicherlich ist das Ganze eine Kopfsache“, so Christoph Thomann. Es hat viel mit Erziehung, einer Kultur des Überflusses und einem ganz generellen Ekelgefühl zu tun, warum Insekten im Exoteneck und in kulinarischen Randgefilden zu finden sind. Allerdings wagen den Blick über den Tellerrand mittlerweile auch andere: Seit einigen Wochen finden sich in den Regalen des heimischen Großhändlers Metro Buffalowürmer, Grillen und Co.