Grenzüberschreitender

Tierschutz

Mag. Eva Kaiserseder

Die 8. ÖTT-Tagung hat heuer am 4. Mai traditionell an der Vetmeduni Wien mit über 100 Teilnehmern stattgefunden.

Ass.-Prof. Johannes Baumgartner vom Institut für Tierhaltung und Tierschutz, der die Tagung gemeinsam mit der ÖTK organisiert hat, für Inhalt und Tagungsband verantwortlich zeichnet und die Vor-Ort-Organisation innehat, dazu: „Das Motto ‚Tierschutz: Anspruch – Verantwortung – Realität‘ zieht sich ja wie ein roter Faden durch all unsere bisherigen ÖTT-Tagungen; eine ethische Betrachtungsweise und die moralische Verantwortung des Tierarztes bzw. der Tierärztin in dieser Frage wollen wir auf die aktuelle Lebenswelt der Tiere ausrichten und hier Lösungen finden, die zu einer Verbesserung der Lage führen.“ Die Vorträge kamen unter anderem von Dr. Thomas Bartels zum Thema Qualzucht (Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig), Dr. Ulrike Auer zum Thema Schmerzerkennung beim Pferd (Klinische Abteilung für Anästhesiologie und perioperative Intensivmedizin, Vetmeduni Vienna) oder Prof. Thomas Blaha (TVT), der die geplante Kooperation TVT D-A-CH und die Überlegungen dazu vorstellte (siehe auch Interview). Die Tagungsbände aller acht ÖTT-Tagungen mit den Manuskripten zu den Beiträgen können unter www.oegt.at/Downloads_Tierhaltung.html kostenlos heruntergeladen werden. Prof. Baumgartner sieht die grenzüberschreitende Zusammenarbeit sehr positiv: „Unser Ziel ist es, die tierärztliche Sichtbarkeit und Schlagkraft in Tierschutzfragen zu erhöhen, indem man die Kompetenzen bündelt. Wir haben in Österreich, Deutschland und der Schweiz dieselben Interessen, es geht jetzt konkret darum, wie wir die unterschiedlichen Organisationsformen optimal unter einen Hut bringen. Detaillierte Pläne dazu werden aktuell ausgearbeitet.“ Die ÖTT wurde 2009 als Informationsplattform gegründet, aktuell gehören ihr elf tierärztliche Organisationen an. 

www.oegt.at/OeTT.html

 

„Der Tierarzt hat nicht nur den Vertragspartner Landwirt!“
In den letzten Jahren hat es ja gerade in Deutschland eine Debatte über die Rolle des Tierarztes in Sachen Tierschutz gegeben. Wie nehmen Sie diese Rolle wahr? Was hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert? Die Tierärzteschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten, in denen es in der Landwirtschaft vorrangig noch um die Verbesserung der Lebensmittelversorgung ging, berechtigterweise als mitverantwortlich für die Effizienzsteigerung der Lebensmittelproduktion und der Existenzsicherung der Landwirte gesehen. Man heilte kranke Tiere, sorgte dafür, dass von den gehaltenen Tieren möglichst viele für die Lebensmittelproduktion erhalten blieben, und fühlte sich insbesondere seinen Klienten, den Landwirten, verpflichtet. Die mittlerweile entstandene Fast-Überversorgung mit Lebensmitteln und die weiterschreitende Urbanisierung unserer Gesellschaft haben zu einem dramatischen Wandel in der Mensch-Tier-Beziehung geführt. Immer mehr Menschen fordern mehr Respekt für die Tiere, was auch dazu führt, dass die Tierhaltung der heutigen hocheffizienten Landwirtschaft massiv infrage gestellt wird. Unter diesen veränderten Bedingungen führt der immer noch existierende Impuls der Tierärzte, die Landwirte gegen die als Unrecht empfundenen Anschuldigungen durch die NGOs zu „schützen“, nicht wirklich dazu, dass die Tierärzteschaft als Aktivist des Tierschutzes und als Motor der erwarteten Verbesserungen beim Tierwohl erkannt wird. Wir können unsere gesellschaftliche Reputation nur verbessern, wenn wir verstehen, dass ein Tierarzt heute nicht nur den einen Vertragspartner Landwirt hat, dem er „dient“, sondern wir mit unseren tierärztlichen Kenntnissen und Fähigkeiten auch der Gesellschaft dienen, indem wir nicht mehr nur noch Tiere heilen, sondern uns aktiv um die permanente Verbesserung der Tiergesundheit bemühen und uns für die Optimierung der Tierhaltung und Tierbetreuung einsetzen. 

Die TVT, die sich einem naturwissenschaftlich-evidenzbasierten Tierschutz verschrieben hat und versucht, MIT den Tierhaltern (nicht GEGEN sie) konstruktiv an der Verbesserung der Lebensqualität der Tiere zu arbeiten, fordert daher die Einführung der Sachkunde und verpflichtende Weiterbildung der Landwirte, eine Umgestaltung der Haltungsbedingungen dahin gehend, dass diese den Bedürfnissen der Tiere angepasst werden und nicht umgekehrt, und die konsequente Nutzung von vorhandenen Tierschutzindikatoren für Benchmarkingsysteme zur Verbesserung der Tiergesundheit und des Tierwohls.

Stichwort Nutztierhaltung: Auf der Grünen Woche wurde das neue Tierwohllabel von Minister Schmidt vorgestellt. Auch in Österreich gibt es mittlerweile einige solcher Gütesiegel auf dem Markt. Was halten Sie von solchen Labels?
Wir von der TVT sehen die Label­aktionen eher kritisch. Im Folgenden sind die Standpunkte der TVT dazu aufgelistet:

1. Freiwillige Labels vertiefen die Ungleichbehandlung von Tieren, da sich immer nur diejenigen Landwirte zum Mitmachen bereit erklären, die ohnehin schon eine verhältnismäßig gute Tierhaltung haben – die Landwirte mit suboptimalen Tierhaltungen schaffen die Anforderungen nicht und werden somit nichts an ihrer Tierhaltung verbessern, während die höchstens 20 % „Label“-Tiere (Vorhersage von Prof. Spiller, Göttingen) weitere Verbesserungen ihrer Lebensqualität erfahren, was die Ungleichbehandlung der Tiere nur noch vergrößert.

2. Daher ist der Weg über Labels – privatwirtschaftliche wie staatliche gleichermaßen – zumindest ethisch zu hinterfragen. Wenn man sich, weil andere Wege schwierig sind, zu Labels entscheidet, sollte das der Privatwirtschaft überlassen werden, da es wirtschaftsfördernd ist, wenn man die „Guten“ dabei unterstützt, noch besser zu werden. Der Staat muss sich aber nicht um den qualitativ oberen Sektor der Tierhaltung, sondern um den qualitativ unteren Sektor der Tierhaltung kümmern.

3. Labels können in aller Regel nur haltungsorientierte Tierschutzkriterien belohnen, wichtig aber sind, wie wir seit einigen Jahren wissen, die tatsächlichen Tierschutzverbesserungen, die man an den tierorientierten Tierschutzkriterien misst. Das heißt, dass die immer noch existierenden Tiergesundheitsdefizite bei der Einführung von Labels nicht ausreichend berücksichtigt werden.

4. Nicht Labels helfen den Tieren in suboptimalen Haltungsbedingungen, sondern ein einheitlicher nationaler Aktionsplan, der eine mittel- bis langfristige (5 bis 20 Jahre), aber sofort begonnene schrittweise Verbesserung ALLER zur Lebensmittelproduktion genutzten Tiere zum Ziel hat. Die Erfolge dürfen nicht erst am Ende von Übergangszeiten überprüft werden, sondern in ein- bis zweijährigen Intervallen.

Sie sind Fachtierarzt für Schweine. Das Thema der betäubungslosen Ferkelkastration bzw. deren Verbot ab 2019 (Deutschland) schlägt aktuell hohe Wellen. Wie wird sich das prognostiziert in der Realität auswirken, erstens bei Handel und Konsument und zweitens beim Landwirt? Und nicht zuletzt: Welche Rolle wird der Tierarzt hier einnehmen müssen?
Diese Frage ist schnell beantwortet: Da es Alternativen zur (betäubungslosen) Kastration zur Vermeidung des Ebergeruchs vom Fleisch männlicher Schweine gibt, gibt es für die bisher tolerierte betäubungslose Kastration der Ferkel keinen vernünftigen Grund mehr. Die zurzeit als gleichwertig angesehenen drei Alternativen – Betäubung und Schmerzlinderung bei der Kastration, Jungebermast und Immunokastration – sind aus tier­ethischer Sicht ganz und gar nicht gleichwertig: Bei der Immunokastration „zahlt“ das Tier mit Abstand den geringsten „Preis“. Da es bei den Alternativen zur betäubungslosen Kastration nicht um Verbesserungen der Wirtschaftlichkeit oder um Arbeitserleichterungen, sondern ausschließlich um den Tierschutz geht, sieht die TVT in der Immunokastration den „Königsweg“, um den Tierschutz wirklich zu befördern. Die „Verbraucher-Nichtakzeptanz“, die immer wieder beschworen wird, gibt es nicht, denn wenn der Einzelhandel unisono die neue tierfreundliche Methode als große Errungenschaft in der Verbesserung des Tierschutzes ankündigen würde und den Mehraufwand für die Mäster zahlen (mittels einer leichten Preissteigerung für Schweinefleisch), also ausgleichen würde, gäbe es wie in Australien und in Belgien keinerlei Bedenken der Verbraucher.

Im Rahmen der vergangenen ÖTT-Tagung wurde die TVT D-A-CH vorgestellt, eine länderüber­greifende Tierschutzinitiative. Was erwarten Sie sich davon? Was ist die Idee dahinter?
Die in Österreich, in der Schweiz und in Deutschland gleich gelagerte Tierschutzproblematik und das sich ebenfalls in unseren Ländern in gleichem Maße verändernde Mensch-Tier-Verhältnis haben bereits vor einiger Zeit zu gemeinsamen Überlegungen geführt, die tierärztlichen Bemühungen für die stetige Verbesserung der Lebensqualität der Tiere in den benachbarten deutschsprachigen Ländern zu bündeln, um dem naturwissenschaftlich begründeten Tierschutz in der häufig vorwiegend emotional geführten öffentlichen Debatte auch auf europäischer Ebene mehr Nachdruck verleihen zu können. Diese Bündelung könnte und soll zu einer Keimzelle einer „European Alliance of Veterinarians for Animal Welfare“ werden. Erste Vorstellungen über eine grenzübergreifende TVT D-A-CH wurden bereits ausgearbeitet, die nun in einer kleinen Brainstorming-Gruppe weiterentwickelt werden. Bereits angedacht ist z. B. für 2018, eine gemeinsame „Drei-Länder-Tagung Tierschutz“, eventuell im Bodenseeraum, als eine der ersten konkreten Aktivitäten der geplanten Bündelung zu organisieren.