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Lösungen für gestresste Haustiere

Bettina Kristof

Unsere reizintensive Zeit mit oft viel Lärm und Hektik wirkt sich nicht nur auf uns Menschen aus, sondern auch auf unsere Haustiere – viele tierische Mitbewohner reagieren darauf mit Stress. Wir haben mit Vetmed-Expertin Dr. med. vet. Nadja Affenzeller über Stressauslöser gesprochen.

Die unterschiedlichen Stressauslöser machen sich bei Haustieren auf verschiedene Art bemerkbar. Wie man erkennt, dass Stress der Auslöser für ein bestimmtes Verhalten ist, und wie man diese Probleme in den Griff bekommen kann, verriet uns Dr. med. vet. Nadja Affenzeller, Dip. ECAWBM-BM, die sich an der Universitätsklinik für Kleintiere, Klinische Abteilung für Interne Medizin Kleintiere, mit Verhaltensauffälligkeiten bei Hunden und Katzen beschäftigt.

Wir leben in einer sehr stressigen Zeit, was auch an unseren Haustieren nicht vorübergeht. Wodurch entsteht Stress bei Hunden und Katzen? Ab wann ist es meinem Tier zu viel?
Ich möchte die Frage einmal anders beantworten, nämlich mit einem Bild, wie es die international bekannte Ver­haltensmedizinerin für Tiere Sarah Heath so treffend beschreibt: Sie vergleicht die emotionale Kapazität eines Tiers mit einem Waschbecken, das circa mit Ende des ­ersten Lebensjahrs seine individuelle Größe entwickelt hat. Wie groß das Waschbecken des einzelnen Tiers ist, hängt von der Genetik, der Frühentwicklung in den ersten 16 Wochen und den Erfahrungen mit der Umwelt im ­ersten Lebensjahr ab.

Bei besonders resilienten Tieren, also jenen Tieren, die sehr gut an ihre Lebenssituation und deren tägliche Herausforderungen angepasst sind, ist das Waschbecken also groß. Es passt viel Wasser – im Sinne von Stressbelastungen –, das zusätzlich das Waschbecken füllt, hinein, bevor es übergeht. Ist das Waschbecken jedoch von vornherein kleiner oder noch von den Erlebnissen zum Beispiel des Vortags nicht entleert, bringen schon Kleinigkeiten das Waschbecken zum Überlaufen. Das sehen wir als Besitzer*innen dann als Stressanzeichen.

Diese bildliche Darstellung zeigt auch deutlich, dass sowohl positiver als auch negativer Stress als Zufluss in dieses Becken fließen. Tiere haben eine sehr individuelle Ausgangsbasis und reagieren daher auch sehr unterschiedlich auf Stress. Vor allem die Frage, wann es zu viel Stress ist, hängt eben vom einzelnen Tier ab. Alles, was die emotionale Kapazität und die Bewältigungsstrategien meines Einzeltiers übersteigt, bringt das Waschbecken zum Überlaufen, wenn ich nicht dafür sorge, dass der Wasser­stand sich auch über den regulären Abfluss reduzieren kann, also etwa durch gezielte Ruhe- und Schlafphasen oder andere entspannende Tätigkeiten.

Was können die Ursachen von Stress sein?
Alles, was von außen und von innen als Auslöser einwirkt. Auslöser von innen sind beispielsweise Erkrankungen und – leider oft auch unterschätzt – Schmerzen. Externe Ur­sachen können Faktoren sein, die Emotionen oder auch deutlich erhöhte Erregung bis hin zur Übererregung auslösen. Dann gibt es noch die nicht sozialen Umweltfaktoren wie Lärm, Geräusche, Autos, Gegenstände und das allgemeine Umfeld einer Stadt. Auch soziale Auslöser können Stress bewirken; dazu gehören andere Tiere, Probleme mit fremden Menschen und alle gesellschaftlichen Reize, die jeden Tag auf das Tier einprasseln.

Woran erkennt man, dass das Haustier Stress hat?
Das erkennt man bereits an Übersprungshandlungen, also wenn wir Verhaltensweisen sehen, die in diesem Kontext nicht passen. Das sind erste subtile Anzeichen dafür, dass mein Tier Stress hat. Dazu gehört etwa beim Hund ­Gähnen, obwohl er nicht müde ist, oder Schütteln, obwohl er nicht nass ist. Bei Katzen ist es schwieriger, stressbedingtes Verhalten zu erkennen, weil sie sich instinktiv eher zurückziehen, wenn sie überfordert sind. Aber wenn meine Katze zu einer bestimmten Zeit an einem anderen Ort ist als üblich, dann hat sie womöglich Stress. Und dann sind da natürlich noch deutliche, bereits gut bekannte Verhaltensweisen wie etwas zu meiden oder aber auch darauf zuzustürzen, Veränderungen des Ohrenspiels, der Körperhaltung, der Gesichtsmimik et cetera.

Welche gesundheitlichen Probleme können entstehen?
Sehr viele Probleme können sich durch Stress verschlimmern. Dazu gehören gastrointestinale Erkrankungen, negative Auswirkungen auf das Immunsystem; Haut­probleme und Allergien können sich verschlechtern.

Bei Katzen kommt noch eine Anfälligkeit für Blasen­entzündungen dazu – Stress ist hier ein Teilaspekt des sogenannten Pandorasyndroms oder FIC.

Welche Problemlösungsmöglichkeiten gibt es?
Man sollte analysieren, warum das Tier Stress hat, welche Auslöser man erkennen kann, was da in das besagte Waschbecken des Tiers fließt. Es empfiehlt sich, ein Stress-Audit zu erstellen, welche Reize den ganzen Tag auf das Tier einwirken. Danach kann man sich überlegen, was man dem Tier zum Stressabbau anbieten kann, denn das total stressfreie Leben gibt es nicht. An einem stressigen Tag sollte man danach trachten, das Waschbecken immer wieder etwas zu entleeren, das heißt, dem Tier ausreichend Ruhephasen anzubieten.

Das geht aber auch durch aktive Einheiten, vor allem bei Tieren, die von selbst nur schwer zur Ruhe kommen, etwa durch Kauen, Schlecken und Schnüffeln oder durch eine andere Beschäftigung. Bei Katzen hilft es, Futter im Haus oder in der Wohnung zu verstecken. Speziell Katzen sollten auch einen ruhigen, erhöhten Rückzugsort besitzen, der ihnen immer zur Verfügung steht.

Streicheln und Nähe zum Besitzer können auch eine Möglichkeit sein, wenn das vom Tier gewünscht ist. Körperkontakt kann stressreduzierend sein, die Tiere reagieren aber unterschiedlich darauf. Daher sollte man beobachten, ob Streicheln das Tier entspannt oder ob es ablehnend reagiert. Die Körpersprache, die Muskulatur, die Pupillenweite oder auch die Ohrenstellung geben Aufschluss darüber. Wenn sich ein Tier wegdreht, die Pfote anhebt, Distanz aufbaut, gähnt, blinzelt oder sich über die Nase leckt, dann ist Streicheln momentan nicht erwünscht.

Wann soll der allgemeine Tierarzt bei einem Problem zum Verhaltenstherapeuten überweisen?
Wenn er nicht das Wissen oder die Zeit hat, um so ein Stress-Audit durchzuführen, denn es ist zeitintensiv, so eine Analyse gemeinsam mit dem Tierhalter zu machen, die Stressauslöser zu analysieren, zu überlegen, wie man sie reduzieren kann und was die Resilienz fördert. Tierärzte mit einer Zusatzausbildung in Verhaltensmedizin sind da natürlich im Vorteil. Der Tierarzt sollte sich jedenfalls das Problem schildern lassen, die Auswirkungen auf das Tier und dessen Besitzer einschätzen und dann entscheiden, ob die Problemstellung in seiner Kompetenz liegt – wenn nicht, dann sollte er dem Tierhalter anbieten, an einen Fachtierarzt für Verhaltensmedizin zu überweisen. Die Bedeutung von mentaler Gesundheit nimmt immer mehr zu.

Oft ist ja auch der Tierarztbesuch für die Tiere stressig. Gibt es hier Lösungen?
Vonseiten der Tierärzte wird hier viel getan. Es gibt neue Klinikkonzepte wie etwa das Fear-Free-Konzept auf internationaler Ebene oder auch das Cat-Friendly-Clinic-Zertifikat. Es wird vermehrt bewusst auf einen stressreduzierten Umgang mit Tieren geachtet. Es gibt auch Ordinationen mit einem getrennten Hunde- und Katzenbereich. Ich finde dieses erstarkte Bewusstsein für Tiere, die Angst vor dem Tierarztbesuch haben und für die es Lösungen geben soll, sehr wichtig. Ein Drittel der Tierhalter geht nicht zum Tierarzt, weil das ihr Tier stresst. Dadurch bekommen diese Tiere keine Vorsorgeuntersuchungen und kommen nur im Notfall zum Tierarzt; viele Krankheiten werden zu spät erkannt, wenn es keine Präventivmaßnahmen gibt. Allein schon deshalb wäre es wichtig, dass noch mehr Tierärzte ihre Ordinationen und ihren Umgang mit Tieren stressfreier gestalten.

Haben Sie den Eindruck, dass es auch den Tierhaltern immer mehr ein Anliegen ist, ihre Tiere möglichst stressfrei zu halten?
In Österreich sagen immerhin 98 Prozent der Tierhalter, dass das Haustier ein Familienmitglied ist. Sie entscheiden sich heutzutage bewusster für ein Haustier und beobachten es aktiver. Frühentwicklung, Frühförderung, individuelles Training sowie das Lesen von Körpersprache und Mimik sind keine Fremdwörter mehr, sondern nehmen zu. Der Trend geht also in die richtige Richtung.

Werden bei starken Stresssymptomen auch Medikamente verschrieben?
Wenn der Stress bei Tieren ein pathologisches Ausmaß erreicht, kann auch die Gabe von Medikamenten indiziert sein. Nehmen wir hier nur das Beispiel Silvester: Derzeit läuft eine klinische Studie, die sich mit der Silvester angst und neuen Therapien dafür befasst. Wir rechnen damit, dass nächstes Jahr ein neues Medikament zugelassen wird.

Stress lass nach –

Ernährung für gestresste Haustiere

Interview mit Dr. Barbara Bahr, Tierärztin in Seekirchen, die sich auf Verhaltensmedizin bei Haustieren spezialisiert hat.

Frau Doktorin Bahr, wie kann man gestresste Haustiere durch die Ernährung unterstützen?
Artgerechte Ernährung ist das Um und Auf für unsere Haustiere. Viele Tierhalter wollen ihren Tieren allerdings zu viel des Guten tun. Ein Trend ist derzeit, Hunde getreidefrei zu füttern – doch gerade, wenn ein Hund Stress hat, sollte er Futter mit einem Anteil an Kohlehydraten bekommen. Wenn er zu eiweißreich, also wie ein Hochleistungssportler, gefüttert wird, braucht er dann sehr viel Bewegung. Fällt diese aber aus, wird der Hund nervig, denn wohin soll er mit seiner Energie, die er über das Futter bekommen hat? Generell sollte man bei Hunden, die viel zu Hause sind, und bei Wohnungskatzen, danach trachten, die Fresszeiten zu verlängern. Die Tiere sollten mit ihrem Futter beschäftigt sein, etwa über Fress- oder Schleckbretter. Trockenfutter kann man in spezielle Schüsseln geben, wo sie suchen müssen, oder man versteckt Futter in der Wohnung. Die Futterbeschaffung gehört ja zum natürlichen Verhalten jedes Wildtiers und kann durch Verstecken in der Wohnung zumindest nachgeahmt werden.

Brauchen gestresste Tiere Zusatzfutter und Nahrungsergänzung?
Das ist auf jeden Fall hilfreich. Bei gestressten Tieren setze ich beispielsweise B-Vitamine kurweise zur Stärkung des Nervensystems ein. Futterzusätze auf Basis von Grüntee oder Casein helfen ebenfalls. Bei nervösen Tieren, bei denen das Stresslevel sehr hoch ist, gebe ich auch CBD-Tropfen. Produkte zum Kauen sind auch gut, sollten aber nicht bei Schlingern verwendet werden, die alles runterschlucken.

Wie sieht die Futtermenge bei gestressten Tieren aus? Brauchen diese mehr oder weniger Futter als normal?
Gestresste Tiere brauchen mehr Futter, weil sie einen größeren Grundumsatz haben. Man kann die Ernährung auch mit hochwertigen Ölen, die einen hohen Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren aufweisen, ergänzen.

Stress wirkt sich oft auf Magen und Darm aus. Wie gleicht man das aus?
Je nach Stadium. Gastritis kommt relativ häufig vor, da gebe ich eine Zeit lang Magenschutz. Die Tierhalter sollten bei Magenproblemen öfter am Tag kleinere Portionen füttern. Besonders Katzen sollten mehr als zweimal am Tag Futter bekommen.

Welche Art von Bewegung hilft gestressten Tieren?
Das ist nicht pauschal zu beantworten. Bei Hunden kommt es vor allem auf die Rasse an – wenn ein Hund viel Bewegung braucht, dann sollte er laufen können. Ganz wichtig ist aber auch der artgerechte Kontakt zu anderen Hunden, das sollten Hunde bereits als Welpen lernen, sonst verursacht das Zusammenkommen mit anderen Hunden später Stress. Aber das Ausmaß an Bewegung und Kontakten zu Artgenossen sollte dem Bedürfnis des Hundes angepasst werden. Man sollte ihn dabei nicht überfordern, denn das erzeugt wieder Stress.