Forschung:

Zahlreiche Tiere konsumieren Alkohol - doch nicht, um einen Rausch zu bekommen

Mag. Silvia Stefan-Gromen

Ethanol kommt in der Natur ziemlich häufig vor, sei es in wilden Früchten oder im Nektar von Pflanzen. Dementsprechend konsumieren auch viele Tiere Alkohol, schreibt ein internationales Forschungsteam im Fachblatt „Trends in Ecology & Evolution“ – demnach könnte eine moderate Alkoholaufnahme für Tiere unter an­derem wegen der Nährwerte relevant sein. Tierischer Alkoholkonsum, schreiben die Forschenden, geschehe keineswegs selten und nur aus Versehen, sondern viel häufiger als bisher gedacht. „Die meisten Tiere, die zuckerhaltige Früchte fressen, kommen in irgendeiner Form mit Ethanol in Berührung“, meint Co-Autorin Kimberley Hockings von der britischen University of Exeter.

In gemäßigten Zonen fänden sich etwa Früchte der Eberesche und der Kartoffelrose mit einem Alkoholgehalt von bis zu 0,41 Volumenprozent, in subtropischen Regionen Früchte von Maulbeerfeige, Dattelpalme und Syrischem Christusdorn mit bis zu 0,91 Prozent Alkohol. In tropischen Regionen sei die natürliche Fruchtgärung das ganze Jahr über am günstigsten; dort wurden in Früchten auch mehrere Prozent Ethanol gefunden, in überreifen Palmfrüchten sogar Konzentrationen bis zu 10,3 Prozent. 

Menschen würden sich am Alkohol eher berauschen wollen, aber nicht unbedingt die Kalorien daraus haben wollen – bei Tieren sei es umgekehrt, sagt Co-­Autor Matthew Carrigan vom College of Central Florida: „Tiere wollen Kalorien, aber nicht den Rausch.“ Denn: „Aus ökologischer Sicht ist es nicht vorteilhaft, betrunken zu sein, wenn man in den Bäumen herumklettert oder nachts von Raubtieren umgeben ist – dann ist es vorprogrammiert, dass die eigenen Gene nicht weiter­gegeben werden.“

Für manche Tiere könne Alkohol jedoch Vorteile haben, heißt es in der Studie weiter: Kleine Essigfliegen (Drosophila melanogaster) zum Beispiel legen ihre Eier absichtlich in fermentierende Früchte, die ihre Eier vor Parasiten schützen, und Essigfliegenlarven erhöhten ihre Ethanolaufnahme, wenn sie von Wespen para­sitiert werden. Der Schwarze Nutzholzborkenkäfer ­(Xylosandrus germanus) wiederum benötige Alkohol, um zu verhindern, dass Schimmelpilze seine Höhlen in den Bäumen befallen.

Auch Effekte des Alkohols auf das Gehirn könnten sich manche Tiere möglicherweise zunutze machen: „Ethanolkonsum wird mit erhöhter Erregung, nachlassender Hemmungskontrolle und beeinträchtigten kognitiven Fähigkeiten in Verbindung gebracht, die alle zu einer breiteren Partnerwahl beitragen“, heißt es in der Studie. Solche Effekte seien auch bei Nage­tieren im Labor beschrieben worden; aber generell gelte: ­„Viele der Vorteile sind für nicht menschliche Arten im natürlichen Kontext noch nicht ausreichend erforscht.“

Nur wenig wissenschaftliche Literatur 

Es gibt laut Studie viele glaubwürdige Berichte über Affen, die überreife, vermutlich alkoholhaltige Früchte verzehren, und zudem einige Arten, bei denen die Alkoholaufnahme wissenschaftlich nachgewiesen worden sei. Zu diesen gehörten Geoffroy-Klammeraffen (Ateles geoffroyi), die sich unter anderem von den fermentierten Früchten der Gelben Mombinpflaume ernährten, wobei der Ethanolgehalt der Früchte zwischen einem und 2,5 Prozent liege. Westafrikanische Schimpansen (Pan troglodytes verus) nähmen nachgewiesener­maßen fermentierten Palmsaft zu sich.

Die Forschenden zitieren außerdem eine Honigbienen-Studie, wonach die Insekten sogar eine je nach Aufgaben gestaffelte Toleranz gegenüber Ethanol aufweisen: Futtersammlerinnen, die außerhalb des Bienenstocks arbeiten, kommen eher mit vergorenem Nektar in Berührung und zeigten eine deutlich höhere Resistenz gegen Ethanolvergiftungen als Ammen, die im Nest bleiben.

Orientalischen Hornissen macht Alkohol nichts aus 

Eine weitere aktuell veröffentlichte Studie im Fachblatt „Proceedings of the National Academy of Sciences“ beschäftigt sich mit einem anderen Insekt: der Orienta­lischen Hornisse. Diese seien die bisher einzige bekannte Tierart, welche dauerhaft hohe Dosen Ethanol zu sich nehmen könne, ohne ihr Verhalten zu ändern.
Selbst wenn die Hornissen 80-prozentigen Alkohol tranken, habe dies keine Auswirkungen auf ihr Verhalten gezeigt, schreibt das Forschungsteam aus Israel: Weder waren die Insekten aggressiver noch konnten sie dadurch ihre Nester schlechter bauen. „Sie zeigen keine Anzeichen einer Vergiftung oder Krankheit, selbst wenn sie chronisch große Mengen Alkohol konsumieren, und sie scheiden ihn sehr schnell aus ihrem Körper aus“, erklärte Co-Autor Eran Levin von der Tel Aviv University.


Quellen: 
https://www.cell.com/trends/ecology-evolution/fulltext/S0169-5347(24)00240-4 
https://www.pnas.org/doi/abs/10.1073/pnas.2410874121