Forschung:

Nager inspirieren die Zahnmedizin

Forschende entdecken im äußeren Zahnschmelz verschiedener Nagetierarten ein eisenhaltiges Material, das auch menschliche Zähne widerstandsfähiger machen könnte.

Nagetiere wie Biber, Nutrias, Eichhörnchen und Ratten haben besonders starke und lange Vorderzähne, die im Laufe ihres Lebens kontinuierlich wachsen. Mithilfe modernster bildgebender Verfahren haben Forschende am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperforschung nun die Zahnstruktur verschiedener Nagerarten im Nanometerbereich aufgeklärt. Dabei stießen sie im äußeren Zahnschmelz auf ein eisenhaltiges Material, das für die extreme Widerstandsfähigkeit von Nagerzähnen entscheidend ist. Die Entdeckung könnte Ausgangspunkt für die Entwicklung völlig neuer Biomaterialien für die menschliche Zahnmedizin sein.

Zähne sind ein exzellentes Beispiel für einen natürlichen Verbundwerkstoff, der aus optimal angeordneten, einfachen anorganischen und organischen Komponenten besteht. Der Zahnschmelz ist dabei das am stärksten mineralisierte und härteste Gewebe in unserem Körper. Er besteht größtenteils aus länglichen, kalziumhaltigen Hydroxylapatit-Kristallen, die mit organischem Material und Wasser vermischt sind. Sowohl menschliche als auch tierische Zähne sind mit dieser kristallinen und äußerst widerstandsfähigen Strukturkomponente überzogen.

Die kontinuierlich wachsenden, wurzellosen Schneidezähne von Nagetieren sind durch strukturelle und chemische Optimierung perfekt an die Nagetätigkeit angepasst und daher besonders robust. Ihre labiale Seite ist von sehr hartem Zahnschmelz überzogen, was sie zu einer sich selbst schärfenden Vorrichtung macht. Nager-Schneidezähne fallen vor allem durch ihre charakteristische orange-braune Färbung auf.

Vesna Srot und ihre Kolleginnen und Kollegen am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperforschung haben nun aufgeklärt, was Nagerzähne so widerstandsfähig macht. Im Zahnschmelz sieben verschiedener Nagetierarten entdeckten sie in den nanometergroßen Zwischenräumen zwischen den länglichen Hydroxylapatit-Kristallen ein eisenhaltiges, ferrihydritähnliches Material. „Diese gefüllten Taschen machen weniger als zwei Volumenprozent des eisenreichen Zahnschmelzes aus, sind aber für die mechanischen Eigenschaften und die Widerstandsfähigkeit gegen Säureangriffe entscheidend“, sagt Vesna Srot.

Die neu entdeckte eisenreiche Schicht ähnelt in ihrer Farbe normalem Zahnschmelz. Diese Schicht ist also nicht die Ursache für die orange-braune Zahnfärbung. Die Farbe wird vielmehr von den beiden darüberliegenden Schichten bestimmt – der Oberflächenschicht und der Übergangszone. Erstere besteht aus einer organischen Matrix und einer anorganischen Komponente, die ebenfalls Eisen enthält. Sie variiert bezüglich ihrer Dicke, selbst bei unterschiedlichen Zähnen eines Individuums. Je dicker die Oberflächenschicht, desto dunkler der Zahn. 

„Die Ergebnisse sind ein Paradigmenwechsel, denn bisher ging man davon aus, dass die Farbe vom eisenreichen Zahnschmelz herrührt.“ Die Forschenden empfehlen daher, die herkömmliche, seit sieben Jahrzehnten gängige Terminologie anzupassen: Demnach sollte der bisher als „pigmentierter Schmelz“ bezeichnete Zahnschmelz künftig als „eisenreicher Schmelz“ definiert werden.

Zudem haben die Nagerzähne bemerkenswerte physikalische Eigenschaften, durch die sie sich deutlich von menschlichen Zähnen unterscheiden. Diese Unterschiede sind für die humane Zahnmedizin von großem Interesse.

Inspiration für die Zahnmedizin

Das neu entdeckte, eisenreiche Material verbessert die Eigenschaften des Zahnschmelzes, ohne dessen Farbe zu verändern. Es ist daher der ideale Ausgangspunkt für die Entwicklung einer völlig neuen Klasse von zahnmedizinischen Biomaterialien. Auch in der restaurativen Zahnmedizin sind verschiedene Anwendungen denkbar. „Der Zusatz geringer Mengen an amorphem oder nanokristallinem ferrihydritähnlichem Material oder anderen biokompatiblen Eisenhydroxidoxiden zu Zahnpflegeprodukten könnte den menschlichen Zahnschmelz außerordentlich gut schützen“, sagt Vesna Srot. Darüber hinaus könnten winzig kleine Dosen von Eisenhydroxidoxiden in synthetischen Zahnschmelz eingearbeitet werden, um Zahnreparaturen haltbarer zu machen. 


Originalveröffentlichung:

V. Srot, S. Houari, G. Kapun, B. Bussmann, F. Predel, B. Pokorny, E. Bužan, U. Salzberger, B. Fenk, M. Kelsch, P.A. van Aken
Ingenious Architecture and Coloration Generation in Enamel of Rodent Teeth; ACS Nano (2024) 18 (17), 11270-11283