Fleissige

Untermieter

Tierärztin Tanja Warter

Vom Artenschutz bis zur Durchfalltherapie – nach und nach offenbart sich, welche Bedeutung die Mikrobiota im Darm für Mensch und Tier haben.

Der Darm hat einen direkten Draht zum Gehirn. ­Spätestens, seit bekannt ist, dass es enge Verknüpfungen der Bakterien im Verdauungstrakt mit der Psyche gibt und sich deshalb die Zusammensetzung des Mikrobioms auf das Gemüt auswirkt, ist die Neugier auf das ­Mikrobiom nicht nur bei Forschern, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit riesig. Abseits dieses spannenden Feldes, das im Wesentlichen in der Humanmedizin angesiedelt ist, können Erkenntnisse über das Mikrobiom aber noch viel mehr – zum Beispiel vom Aussterben bedrohten Tierarten helfen.

Koalas beispielsweise stehen harte Zeiten bevor. Von den lichten Eukalyptuswäldern, in denen die Tiere bis zur Besiedlung Australiens durch die Europäer Ende des 18. Jahrhunderts millionenfach lebten, sind 80 Prozent verschwunden – abgeholzt und gerodet, um Platz für Menschen zu schaffen, für Landwirtschaft, Städte- und Straßenbau. Zwar sind Koalas längst per Gesetz geschützt, doch das nutzt wenig, wenn es ihr Lebensraum nicht ist. Manche Gebiete der australischen Ostküste sind als Wohngegenden so beliebt, dass sich in den vergangenen Jahren eine Verstädterung der Naturlandschaft abgespielt hat, für die die Koalas den höchsten Preis bezahlten. Beispiel Moreton Bay: Hier sank die Zahl der Tiere in den vergangenen zehn Jahren um 72 Prozent.

Was das mit dem Mikrobiom zu tun hat? ­Wissenschaftler wollten herausfinden, warum Koalas nach einer Umsiedlung in einen anderen Eukalyptuswald trotz eines reichhaltigen Futter­angebots regelrecht verhungerten. Dazu sammelten sie 200 Kotproben an 20 Standorten. Die Untersuchung enthüllte: Es gibt drei Typen von Koalas – jene, die nur Eucalyptus obliqua fressen, jene, die sich ausschließlich von Eucalyptus viminalis ernähren, und einige wenige, die Blätter beider Arten fressen, wenn diese direkt nebeneinander im Wald stehen.

Dieses extrem spezielle Fressverhalten wirkt sich in der Folge auf die Darmmikrobiota aus. Darin sahen die Forscher die Hauptursache für das Sterben der Tiere, nachdem sie in einen neuen Wald gebracht worden waren. In einem Experiment transplantierten die Wissenschaftler den Kot von Eucalyptus obliqua liebenden Koalas in jene Tiere, die nur Viminalis-Blätter fraßen. Ergebnis: Nach 18 Tagen war die Zusammensetzung des Mikrobioms bei Spendern wie Empfängern in etwa gleich. Und: Die Viminalis-Fresser ließen sich zumindest dazu motivieren, auch einmal ein Obliqua-Blättchen zu versuchen. Diese neu gewonnene Flexibilität könnte im Ernstfall vielleicht ihr Leben retten.

Mikrobiomforschung könnte auch die Fortpflanzung von Breitmaulnashörnern in Zoos verbessern. Weibliche Tiere in Gefangenschaft können oftmals pflanzliche Hormone nicht ausreichend abbauen. Das stört die Fruchtbarkeit. Mit dem Mikrobiom von frei lebenden Nashörnern, das Bakterien enthält, die Phytohormone verstoffwechseln können, sehen Wissenschaftler nun hoffnungsvoll Möglichkeiten für mehr Nachwuchs.

Verblüffendes aus der Mikrobiomforschung liefern auch Vergleiche zwischen Menschen und Haustieren. Im Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg wollte eine Gruppe um Luis Pedro Coelho herausfinden, ob sich das lange Zusammenleben von Hund und Mensch auch auf die Verdauung ausgewirkt haben könnte. Man sequenzierte Kotproben von 32 Beagles und 32 Labradoren. In der Folge konnten Kategorien gebildet und die Ergebnisse zwischen Hund, Schwein, Maus und Mensch verglichen werden. Resultat: Die Mikroben-WGs von Hund und Mensch sind einander am ähnlichsten, Maus und Mensch wiesen die wenigsten Übereinstimmungen auf, die Schweine lagen irgendwo dazwischen – für Coelho ein klarer Hinweis darauf, dass Hunde besser als Modelle für Ernährungsstudien geeignet sind als Schweine oder Mäuse, denn auch die Veränderungen des Mikrobioms bei einer Futterumstellung verliefen beim Hund ähnlich wie beim Menschen.

Erste klinische Relevanz zeigt die Mikrobiomforschung etwa bei Durchfall­erkrankungen. Liegt eine Dysbiose des Mikrobioms vor, sind ­chronische Folge­erkrankungen möglich. Laut Iwan Burgener, Vorstand der Klinischen Abteilung für Interne Medizin der Vetmeduni Wien, könnte ein „Zurück­setzen der Mikrobiota in eine Eubiose die Krankheit günstig beeinflussen oder gar heilen“. Mittel der Wahl zu diesem Zweck ist die Fäkaltransplantation, die bislang erfolgreich bei rezidivierenden Infektionen mit Clostridium difficile in der Humanmedizin eingesetzt wird. Dies ist wohl erst der Anfang in einem Gebiet, in dem die Datenlage Jahr für Jahr gigantisch wächst.