Paraneoplastische

Syndrome

Dr. med. vet., EMSAVM Int. Med. Elisa Gamperl-Mikula
ÖTK-Diplom Kleintieronkologie, Leitung Tierklinik Parndorf GmbH

Begleitsymptome einer Tumorerkrankung, die typischerweise nicht am Tumorort, sondern entfernt von diesem auftreten und nicht direkt durch den Primärtumor oder Metastasen ausgelöst werden, nennt man paraneoplastisches Syndrom (PNS). Hier ein Überblick der wichtigsten bisher beschriebenen PNS. 

EINLEITUNG

Viele PNS entstehen durch die indirekten Effekte biologisch aktiver Substanzen, die vom Tumor produziert und ausgeschüttet werden. Oft treten diese Symptome als erste Anzeichen einer neoplastischen Erkrankung auf und verschwinden mit erfolgreicher Behandlung der zugrunde liegenden Krebserkrankung wieder. Ein erneutes Auftreten der paraneoplastischen Symptome kann ein Wiederauftreten der Krebserkrankung anzeigen, noch bevor der Tumor detektierbar ist. Die unterschiedlichen Ausprägungen der wichtigsten bisher beschriebenen PNS lesen Sie in diesem Artikel.

KACHEXIE

Gewichtsverlust trotz adäquater Nahrungsaufnahme bei Krebspatienten wird als Krebs- oder Tumorkachexie bezeichnet. Der Energiemetabolismus bei Krebspatienten wird durch eine starke systemische Entzündungsantwort verändert. Dieses PNS wird charakterisiert durch die in-effektive Nutzung konsumierter Kalorien, auftretenden Gewichtsverlust und die Tatsache, dass eine simple Erhöhung der Futtermenge die Krebskachexie nicht umkehren kann. 

Paraneoplastische Kachexie stellt ein wichtiges klinisches Symptom dar, da sie einen unabhängigen und negativen Effekt auf die Prognose hat. 

ENDOKRINE PNS

HYPERKALZÄMIE

Neoplastische Erkrankungen stellen die häufigste Ursache für Hyperkalzämie beim Hund dar, wohingegen bei der Katze nicht neoplastische Krankheiten dominieren. Bei 2/3 aller Hunde und 1/3 der Katzen mit Hyperkalzämie wird ein Tumor diagnostiziert. Bei der paraneoplastischen Hyperkalzämie muss zwischen topischer und ektopischer Form unterschieden werden. Bei der topischen Form führt ein erhöhter Parathormonspiegel (PTH) aufgrund eines Tumors der Nebenschilddrüse zu einem erhöhten Kalziumspiegel (primärer Hyperparathyreoidismus). Die ektopische Form wird durch die Freisetzung von PTH-ähnlichen Peptiden (parathyroid-hormon-related peptide, PTHrP) durch den Tumor ausgelöst. Andere Faktoren, die vom Tumor produziert werden können und zur Hyperkalzämie beitragen können, stellen Interleukin-6 (IL-6), Interleukin-1β, Prostaglandine, Calcitriol, Tumor-Nekrose-Faktor-α (TNF-α) und andere dar. 

Lymphom, Analbeutelkarzinom und multiples Myelom sind am häufigsten mit paraneoplastischer Hyperkalzämie verbunden, aber auch andere Neoplasien wurden mit diesem PNS beschrieben. Der Serumkalziumspiegel normalisiert sich nach erfolgreicher Behandlung des auslösenden Tumors schnell. 

HYPOGLYKÄMIE

Dieses PNS ist am häufigsten mit Tumoren der pankreatischen β-Inselzellen (Insulinome) verbunden. Andere Tumore, die mit Hypoglykämie einhergehen können, beinhalten hepatozelluläres Karzinom, Lymphom, Hämangiosarkom, Mammatumore, orale Melanome, multiples Myelom, Plasmazelltumore, Nierentumore, Tumore der Speicheldrüsen und Tumore der glatten Muskulatur. Insulinome sind mit einer Hypoglykämie aufgrund einer Überproduktion an Insulin verbunden, wohingegen extrapankreatische Tumore mit niedrigen Insulinkonzentrationen verbunden sind und durch Produktion von insulinähnlichen Wachstumsfaktoren I und II (insulin-like growth factor, IGF I + II) und Somatomedinen Hypoglykämie verursachen können. Andere potenzielle Ursachen für paraneoplastische Hypoglykämien beinhalten erhöhte Expression an Insulinrezeptoren, erhöhter Glukose-verbrauch durch neoplastische Zellen, verminderte Glykogenolyse oder Glukoneogenese in der Leber sowie vermehrte Insulin-Komplexbindung mit M-Proteinen beim Multiplen Myelom. Die Diagnose Insulinom kann in der Regel durch Nachweis einer Hypoglykämie bei gleichzeitig erhöhtem Insulinspiegel gestellt werden. 

HYPERÖSTROGENISMUS

Die häufigste neoplastische Ursache für Hyperöstrogenismus stellt ein Sertolizelltumor dar. 30–50 % aller Hunde mit Sertolizelltumor zeigen klinische Symptome eines Hyperöstrogenismus. Nicht alle Hunde mit klinischen Anzeichen zeigen einen erhöhten Östrogenspiegel im Blut. Die erhöhte Produktion von Inhibin-α führt zu einer reduzierten Testosteronproduktion und dadurch zu einer reduzierten Testosteron-Östrogen-Ratio, welche vermutlich zur Symptomatik beiträgt. Klinische Symptome beinhalten bilateral symmetrische Alopezie, kutane Hyperpigmentierung, epidermale Hautveränderung, Gynäkomastie, Galactorrhö, Attraktivität für andere Rüden, Präputialatrophie und Atrophie des nicht neoplastischen Hodens. Eine Panzytopenie kann aufgrund der östrogeninduzierten Knochenmarksschädigung vorkommen. Nach Entfernung des Tumors kann die Erholung des Knochenmarks Wochen bis Monate dauern.

HÄMATOLOGISCHE UND SEROLOGISCHE PNS 

ANÄMIE

Paraneoplastische Anämie stellt das häufigste PNS bei Hund und Katze dar. Anämien beim Hund haben ihren Ursprung sehr oft in Krebserkrankungen. Man unterscheidet vier häufige Formen paraneoplastischer Anämien: Anämie der chronisch-entzündlichen Erkrankung, Blutungsanämie, immunmediierte hämolytische Anämie (IMHA) und mikroangiopathische hämolytische Anämie (MAHA). Anämien chronisch-entzündlicher Erkrankungen entstehen sekundär zu erhöhter Eisenspeicherung und Metabolismus, welche zu einer Suppression der erythroiden Vorläuferzelldifferenzierung, verminderter Erythropoetinproduktion und verminderter Erythro-zytenüberlebenszeit führt. Anämien chronisch-entzündlicher Erkrankungen sind generell charakterisiert durch eine milde bis mittelgradige, normozytäre, normochrome und nicht regenerative Anämie. 

Blutverlustanämien werden als PNS bezeichnet, wenn sie fern der Tumorlokalisation auftreten und mit diesem nicht direkt assoziiert sind (z. B. Magen-Darm-Ulzerationen sekundär aufgrund von exzessiver Histaminausschüttung in Mastzelltumorpatienten).

Paraneoplastische IMHA ist am häufigsten mit hämato-poetischen Tumoren assoziiert, wurde aber auch mit soliden Tumoren beschrieben. Hierbei wird angenommen, dass es sich um eine sekundäre IMHA handelt, bei welcher die Antikörper gegen die Tumorzellmembran mit Erythrozyten kreuzreagieren. 

MAHA ist am häufigsten mit soliden Blutgefäßtumoren wie Hämangiosarkomen verbunden, wobei sie bei jeder Tumorart in Verbindung mit disseminierter intravaskulärer Gerinnung (DIG) vorkommen kann. Hierbei kann es durch Endothelschäden und Fibrinablagerungen in kleinen Arteriolen bei der Passage von Erythrozyten zu deren Zerstörung und Bildung von Schistozyten bis hin zur Hämolyse führen.

ERYTHROZYTOSE

Anders als die primäre Erythrozytose, welche durch eine maligne Entartung der erythroiden Zelllinie im Knochenmark entsteht, wird die sekundäre paraneoplastische Erythrozytose durch eine Überproduktion an Erythropoetin verursacht. Erythrozytose oder Polyzythämie wird als PNS am häufigsten mit primären oder sekundären Tumoren der Nieren beobachtet.

THROMBOZYTOPENIE

Paraneoplastische Thrombozytopenien wurden am häufigsten mit Hämangiosarkom, Lymphom und Melanom beschrieben. In einer Studie zeigten bis zu 36 % aller Hunde mit unbehandelten malignen Tumoren eine Thrombozytopenie. 

Ursachen für eine paraneoplastische Thrombozytopenie beinhalten verminderte Produktion, Sequestration (Milztumore), vermehrte Zerstörung aufgrund immunmediierter Prozesse und vermehrter Verbrauch (Blutung, DIG).

HYPERAGGREGATION, HYPERKOAGULOPATHIE UND DIG

DIG wird charakterisiert durch exzessive Aktivierung der Gerinnungskaskade resultierend in weitläufigen Mikrothrombosen bis hin zum Multiorganversagen. 

DIG als paraneoplastisches Syndrom wurde in Zusammenhang mit Hämangiosarkom, aber auch Mamma-tumoren, Schilddrüsenkarzinom, Lungentumoren und intraabdominalen Karzinomen beschrieben. DIG kann bei bis zu 50 % aller Hämangiosarkomfälle bei initialer Vorstellung vorliegen. 

HYPERGAMMAGLOBULINÄMIE

Gammaglobuline werden von B-Lymphozyten und ihren Tochterzellen, den Plasmazellen, produziert. Paraneoplastische Hypergammaglobulinämie kommt bei Hund und Katze bei multiplem Myelom, primärer Makroglobulinämie und lymphoproliferativen Neoplasien vor. Sie entstehen durch die exzessive Produktion der sogenannten „M-Komponente“ eines bestimmten Immunglobulins oder dessen unvollständigen Bruchstücken durch maligne Plasmazellen oder Lymphozyten. 

Dieses PNS kann zu einem sogenannten Hyperviskositätssyndrom führen, welches bei etwa 20 % aller Hunde mit multiplem Myleom vorkommt. Die Zunahme der Viskosität kann zur Verlangsamung des Blutflusses in Kapillar-gebieten führen, und bei unzureichender Durchblutung des Gehirns zu neurologischen Symptomen. Des Weiteren können Herzprobleme, Nierenprobleme, Augenveränderungen und Blutungsneigung durch Thrombozytopathien auftreten. 

KUTANE PNS

In der Veterinäronkologie werden mehrere kutane PNS beschrieben, unter anderen die folgenden:

FELINE PARANEOPLASTISCHE ALOPEZIE

Bei manchen Katzen mit Pankreas- und Gallengangs-kar-zinom kommt es zu diesem PNS. Akute, progressive, nicht juckende, symmetrische Alopezie mit leicht ablösbaren Haaren und glatter, glänzender Haut charakterisieren dieses PNS. Histologisch zeigt sich eine schwerwiegende, follikuläre und adnexale Atrophie der Haut und ein Schwund des Stratum corneum. 

SUPERFICIALE NEKROLYTISCHE DERMATITIS (NEKRO-LYTISCH MIGRATORISCHES ERYTHREM, ERYTHREMA NECROLYTICA MIGRANS, ENM)

ENM ist ein seltenes PNS, welches am häufigsten mit Glucagon produzierenden Tumoren der α-Zellen des Pankreas beim Hund vorkommt. Es wird durch erosive, erythematöse und verkrustete Veränderungen der Haut gekennzeichnet, welche histologisch durch eine oberflächliche Dermatitis mit mittel- bis hochgradiger Parakeratose und intra- und extrazellulärem Ödem charakterisiert ist. Auch nicht neoplastische Erkrankungen wie chronische Hepatitis und schwerer Diabetes mellitus können mit ENM assoziiert sein.

GASTROINTESTINALE ULZERATIONEN

Paraneoplastische gastrointestinale Ulzerationen kommen am häufigsten durch exzessive Histaminfreisetzung durch Mastzelltumore zustande, welche zu erhöhter Sekretion an Magensäure führt. Studien haben gezeigt, dass bis zu 75 % aller Hunde mit makroskopischen Mastzelltumoren erhöhte Histaminplasmakonzentrationen aufweisen und ca. 30 % klinische Symptome gastrointestinaler Übersäuerung zeigen. Gastrinome wurden ebenfalls mit gastro-intestinalen Ulzerationen beschrieben.

NEUROLOGISCHE PNS

MYASTHENIA GRAVIS

Tritt als PNS am häufigsten mit Thymomen auf, wurde jedoch auch mit anderen Tumoren beschrieben. Der Tumor produziert Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren und führt somit zur klinischen Symptomatik einer Myasthenia gravis. Hierzu gehören Schwäche, Leistungsintoleranz und Regurgitieren (aufgrund des entstehenden Megaösophagus).

PERIPHERE NEUROPATHIE

Paraneoplastische periphere Neuropathie wird bei Hund und Katze in Zusammenhang mit Hämangiosarkom, primären Lungentumoren, Leiomyosarkom, Mamma-tumoren, multiplem Myelom, Lymphom, Insulinom, Mastzelltumor, Schilddrüsenkarzinom, Melanom und undifferenziertem Sarkom beschrieben und wird vermutlich sekundär durch die Produktion von Antikörpern, die mit peripheren Nerven kreuzreagieren, ausgelöst.

HYPERTROPHE OSTEOPATHIE 

Hypertrophe Osteopathie wird am häufigsten in Zusammenhang mit primären intrathorakalen Massen beobachtet. Es wird durch periostale, mantelartige Osteophytenbildung, typischerweise im Bereich der distalen Extremitäten, charakterisiert. Obwohl die hypertrophe Osteopathie am häufigsten mit neoplastischen Erkrankungen assoziiert ist, kann sie auch im Zusammenhang mit nicht neoplastischen Krankheiten wie infektiösen/entzündlichen Lungenerkrankungen (z. B. Granulome, Abszesse, Fremdkörper und Parasiten), Spirocera lupi und bakterieller Endokarditis vorkommen. 

Literatur

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