Die Epilepsie

und das Mikrobiom

Tierärztin Tanja Warter

Mit einem ungewöhnlichen Forschungsprojekt an der Tierärztlichen Hochschule Hannover betritt die Veterinärmedizin Neuland. Im Fokus: Epileptikerhunde, denen Kot transplantiert wird.

Aus der Humanmedizin sind immer wieder beachtliche Erfolge zu hören und zu lesen, wenn es um die Transplantation des Mikrobioms geht. Unter anderem wird Stuhl im Kampf gegen Depressionen oder bei antibiotikaresistenten Krankheitsverläufen transplantiert. Bei Hunden weiß man noch nicht sehr viel über die Darm-Hirn-Achse; Prof. Dr. Holger Volk, Direktor der Klinik für Kleintiere an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, widmet sich dem Thema.
 
Herr Professor Volk, eine Studie, die Sie im August vorigen Jahres gestartet haben, trägt den Titel „Fäkale Mikrobiomtransplantation beim epileptischen Hund“. Was verbirgt sich dahinter?
In meiner Zeit am Royal Veterinary College in London habe ich die pharmakoresistente Epilepsie zu meinem Forschungs­gebiet ausgebaut und daher viele Hunde mit Epilepsie gesehen, die auf Medikamente nicht ansprachen. In den ersten Jahren haben wir schwerpunktmäßig vor allem nach neuen Medikamenten gesucht, um eine Lösung zu finden, beispielsweise Medikamente aus der Humanmedizin benutzt.

Sind Sie damit nicht weitergekommen?
Nicht wirklich. Deshalb haben wir auch rundherum viele relevante Aspekte abgeklopft, zum Beispiel haben wir bei jenen Fällen, in denen die Hunde nicht auf Medikamente ansprachen, untersucht, wie gut die Besitzer die Verab­reichung hinbekommen. Dabei kam heraus, dass nur einer von fünf Besitzern die Medikamente zu 100 Prozent korrekt gibt. Die Compliance ist also relativ schlecht. Dieses Ergebnis war auch für mich schockierend. Darüber hinaus haben wir herausgefunden, dass viele Hunde mit Epilepsie eine andere Komorbidität haben, etwa Angstverhalten oder kognitive Defizite. Wir haben also auch geschaut, ob wir in diesen Bereichen therapeutisch ansetzen können, damit beim Tier der Stress reduziert wird. Die Idee war, dass der Hund weniger Anfälle hat, wenn er insgesamt ruhiger wird. Das wäre ein eher holistischer Zugang zu dem Problem.

Und wo kommt nun das Mikrobiom ins Spiel?
Das war der dritte Aspekt, den wir untersucht haben. Das kam hauptsächlich daher, dass ich in England viele Semi­nare für Züchter gehalten habe. Unter den Züchtern schwört fast jeder auf ein bestimmtes Futtermittel, das er für großartig hält. Als Tierarzt bin ich möglichst elegant darüber hinweggegangen, aber dann dachte ich mir, man sollte die Fütterung doch näher betrachten. In der Humanmedizin ist ja seit längerer Zeit bekannt, dass eine ketogene Diät gegen epileptische Anfälle hilft. Also sagten wir uns: „Okay, da müssen wir jetzt mal anfangen, bei den Hunden zu forschen!“

Es stand also die Überlegung im Raum, ob der Effekt bei Hunden mit dem bei Menschen vergleichbar sein könnte?
Ja. Aber der Hund ist sehr schwer in die Ketose zu be­kommen. Manche Forschergruppen hatten das schon früher versucht, hauptsächlich über eine traditionelle ketogene Diät, womit sie aber beispielsweise wegen der vielen langkettigen Fettsäuren auch Pankreatitis induziert haben. Das wollten wir natürlich nicht.

Haben Sie das Thema dann aufgegeben?
Nein. Wir kamen auf die mittelkettigen Fettsäuren, weil es auch manche Antiepileptika mit Strukturen gibt, die den mittelkettigen Fettsäuren ähneln. Das war für uns spannend. Wir haben in diese Richtung geforscht und mit einem Futtermittelhersteller ein Produkt entwickelt, das nun auch auf dem Markt ist. Es handelt sich im Prinzip um eine Diät, die mit mittelkettigen Fettsäuren ange­reichert ist. Dazu haben wir jetzt drei Studien gemacht, eine Feldstudie und zwei placebokontrollierte, randomisierte Studien, Cross-over-Design. Ungefähr 14 Prozent der Patienten wurden anfallsfrei, ungefähr die Hälfte hatte mehr als 50 Prozent Reduktion – also gar nicht so schlecht.

Klingt eindrucksvoll für eine Therapie, die rein auf Futterumstellung beruht. Und nun kommt also das Mikrobiom ins Spiel?
Genau. Geben wir pharmakoresistenten Patienten eine unheimlich hohe Dosis Phenobarbital, haben sie trotzdem eine relativ niedrige Serumkonzentration. Wenn man aber die Diät umstellt, verändert sich das plötzlich. Deswegen haben wir uns gedacht, dass da etwas mit dem Mikrobiom im Gange sein muss. Schon vorher hatte man das Mikrobiom von Mäusen, die auf die Medikamente ansprachen, anderen Mäusen transplantiert, die nicht angesprochen hatten; mit Erfolg. Die Antwort des Körpers auf das Medikament ließ sich auf diesem Weg tatsächlich transplantieren. Das ist der Gedanke, den wir hier bei den Hunden weiterverfolgen: Wir nehmen das Mikrobiom von Hunden, die auch gekrampft hatten, dann aber sehr gut auf Pheno­barbital ansprachen, und geben es Tieren, die gar nicht auf Medikamente ansprechen.

Warum nehmen Sie nicht gleich gesunde, anfallsfreie Hunde?
Es gibt ein paar Studien, die zeigen, dass sich das Mikro­biom verändert, wenn man die Tiere auf Phenobarbital setzt. Es kann also sein, dass das die Induktion macht. Würde man anfallsfreie Hunde nehmen, würden wir ja annehmen, dass das Mikrobiom selbst Auslöser der Epilepsie ist. So weit gehen wir nicht. Wir spielen den Mausversuch nach, wo man ein Mikrobiom von Tieren, die auf Phenobarbital ansprachen, übergeben hat. Natürlich sind Hunde keine Mäuse – wir wollen mit dieser Pilotstudie mehr erfahren …
 
Wie läuft das in der Praxis ab?
Der Kot der Spendertiere wird gescreent. Wir schauen, dass sie keine Erkrankung oder Dysbiose haben. Die Emp­­fängertiere untersuchen wir über sechs Monate hinweg. In dieser Zeit haben sie mindestens drei Kottransplantationen. Natürlich ist die Anfallsreduktion die Sache, die wir uns am intensivsten anschauen, aber wir untersuchen auch, ob sich Verhaltensänderungen ergeben. Die Studie läuft noch fünf Jahre, wir sind gespannt auf die Resultate.

Steht die Therapie der Epilepsie vor einem Wandel?
Nun, die Klassiker Phenobarbital oder Kaliumbromid sind immer noch da und auch immer noch effektiv. Aber jetzt kommen neue Therapieansätze wie Ernährung dazu. Das Feld ist also diverser geworden und Diät hat wirklich einen enormen Einfluss, den manche noch gar nicht recht wahrhaben wollen. Aber die Erfolge geben der Sache recht.