Einige Gedanken zum Beruf des Tierarztes

aus europäischer Sicht

Rafael Laguens
Präsident des Europäischen Tierärzteverbandes (FVE)

Die gemeinsame Stimme in Europa: Der Europäische Tierärzteverband (FVE)
umfasst heute 46 nationale Veterinärorganisationen aus 38 europäischen Ländern, die etwa 230.000 Tierärzte vertreten. 

Vor einigen Monaten erhielt ich die Gelegenheit, das Büro der Österreichischen Tierärztekammer zu besuchen, mich mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu unterhalten, die Einrichtung zu besichtigen und deren Struktur und Funktionsweise besser kennenzulernen. Nach diesem Besuch konnte ich bestätigen, dass die Österreichische Tierärztekammer ihren positiven Ruf, sich höchst wirkungsvoll für die Belange des tierärztlichen Berufsstandes einzusetzen, nicht umsonst genießt.

Bei meinem Treffen mit dem Präsidenten der Österreichischen Tierärztekammer, Mag. Kurt Frühwirth, diskutierten wir verschiedene Themen, die nicht nur Österreich betreffen, sondern für ganz Europa von Interesse sind. Er bot mir freundlicherweise die Möglichkeit, diesen Artikel für das Vetjournal zu schreiben, um die Ziele des FVE genauer zu erläutern und den österreichischen Tierärzten einige der Ideen und Projekte näherzubringen, an denen der FVE aktuell arbeitet.

Europaweite Aktivitäten

Wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet, erwähne ich gerne, dass der FVE 1975 gegründet wurde und heute 46 nationale Veterinärorganisationen aus 38 europäischen Ländern umfasst, die etwa 230.000 Tierärzte vertreten. Die Mitgliedschaft im FVE ist nicht nur auf Verbände aus EU-Ländern beschränkt, sondern steht Vereinigungen aus allen europäischen Ländern offen. Dabei ist die Österreichische Tierärztekammer ein besonders aktives Mitglied des FVE. Unser Leitbild stützt sich auf folgende Philosophie: „Der tierärztliche Berufsstand in Europa verfolgt in Gestalt des FVE das Ziel, die Tiergesundheit, den Tierschutz, das Gesundheitswesen und den Umweltschutz durch eine Förderung des tierärztlichen Berufsstandes zu verbessern. Gemeinsam mit seinen Mitgliedern hat sich der FVE zum Ziel gesetzt, Tierärzte nach Kräften dabei zu unterstützen, ihre berufliche Verantwortung auf bestmögliche Weise wahrzunehmen und dafür zu sorgen, dass dieses Fachwissen von der Gesellschaft anerkannt und ­geschätzt wird.“

Großer Verdienst

An dieser Stelle möchte ich einen angesehenen österreichischen Tierarzt erwähnen, der dieses Leitbild maßgeblich prägte: Dr. Walter Winding, der, wie viele von Ihnen wissen, Präsident der Salzburger Tierärztekammer und Vizepräsident der Österreichischen Tierärztekammer war. Er hat auch im FVE großartige Arbeit geleistet, erst als Schatzmeister und später dann als Präsident. Aus diesem Grund erinnert sich die europäische Veterinärfamilie – und auch ich mich – mit Dankbarkeit und großem Respekt an seinen wertvollen Beitrag.

Der FVE und seine Mitgliedsorganisationen haben großes Interesse an den aktuellen Entwicklungen auf dem europäischen Arbeitsmarkt für Tierärzte. Die Berufschancen und Herausforderungen für Tierärzte sind ein allgegenwärtiges Thema, das jedoch die Erfassung zuverlässiger Daten erfordert. Aus diesem Grund hat der FVE 2015 eine erste Umfrage zum Veterinärberuf in Europa in Auftrag gegeben, genauer gesagt eine Bestandsaufnahme zur Bewertung der Vergleichsstatistiken für diesen Beruf unter Berücksichtigung der demografischen sowie arbeitsmarkt- und finanzwirtschaftlichen Indikatoren. Über 13.000 Tierärzte aus 24 FVE-Mitgliedsländern ­haben den Fragebogen ausgefüllt, von den österreichischen Tierärzten nahmen sieben Prozent teil. Für das Jahr 2018 hat der FVE die zweite Umfrage zum Veterinärberuf in Europa geplant.

Wenn ich gefragt werde, welches derzeit das vordringlichste Thema im Programm des FVE ist, ist die Antwort ganz klar: VetFutures Europe. Ich bin mir durchaus bewusst, dass unsere Verbände sich den aktuellen Herausforderungen stellen müssen und ihnen daher wenig Zeit bleibt, sich mit Zukunftsperspektiven zu befassen. Umso wichtiger ist es, etwas Zeit und Energie zu investieren, um die drängenden Fragen zu beantworten, die unsere Zukunft bestimmen werden.

Die FVE-Umfrage von 2015 brachte eine Reihe inter­essanter Ergebnisse zutage. Als Erfordernis wurden unter anderem genannt: eine fachliche Diversifizierung, eine bessere Unterstützung von Absolventen, die gerade eben oder vor Kurzem abgeschlossen haben, und eine bessere Nutzung und Inanspruchnahme von IT-gestützten Tools. Ferner wurde die Notwendigkeit festgestellt, das Wohlergehen von Tierärzten zu verbessern, weibliche Führungskräfte zu fördern und ein besseres Verständnis für Geschäftsangelegenheiten zu vermitteln.

Künftige Herausforderungen meistern

Diese Ergebnisse erfordern Selbstbeobachtung und Reflexion, um herauszufinden, wie wir die Zukunft unseres Berufsstandes weiter verbessern und gestalten können. Aus diesem Grund hat der FVE die Initiative „VetFutures Europe“ ins Leben gerufen. Ihr Ziel: die Herausforderungen zu identifizieren, mit denen sich unser Berufsstand heute und in den kommenden Jahren konfrontiert sieht, und einen Aktionsplan zu entwickeln, um diesen Herausforderungen zu begegnen.

Eine VetFutures-Arbeitsgruppe hat bereits Schwerpunktthemen und Maßnahmen identifiziert und den FVE-Mitgliedern im Rahmen verschiedener Generalversammlungen präsentiert. In speziellen Workshops konnten die Teilnehmer Ideen und Erfahrungen austauschen, vorgeschlagene Maßnahmen diskutieren und Lösungs­ansätze einbringen. Einzelne Mitgliedsländer und andere Organi­sationen, die derzeit ähnliche Projekte auf nationaler ­Ebene durchführen oder planen, lieferten ebenfalls wertvolles Feedback. Aus der Fülle dieser Ideen und Informationen entstand schließlich ein Bericht zu VetFutures Europe, der folgende Schwerpunktbereiche behandelt:

• Führungskräfte von morgen

• Lohnende Karrieremöglichkeiten

• Ausbau des veterinärmedizinischen Aufgabenbereichs

• Nachhaltige Unternehmensführung

• Wohlbefinden von Tierärzten

• Aufgreifen von Innovationen

Die Empfehlungen und Handlungsempfehlungen aus ­diesem Bericht können als Handlungsrahmen auf FVE-Ebene und als Leitbild für die Mitgliedsverbände auf nationaler Ebene dienen. Die Länder sind ebenfalls eingeladen, in bestimmten Themenbereichen eine führende Position zu übernehmen. Gemeinsam gestalten wir die Zukunft unseres Berufsstandes. Denn, wie es Abraham Lincoln einst formulierte: „Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie selbst zu gestalten.“

Es gibt viele verbesserungswürdige Bereiche. Aber in erster Linie müssen wir uns an die sich ständig verändernden Bedürfnisse und Erwartungen der Gesellschaft anpassen, der wir dienen. Auch wenn wir nicht in die Zukunft blicken können, so ist dennoch klar, dass der tierärztliche Berufsstand dann in der Lage sein wird, sich auf die Belange von morgen einzustellen, wenn er Vielfalt in sich vereint und flexibel und ausgewogen auf die Zukunft ausgerichtet ist.

In Hinblick auf alltägliche Angelegenheiten und in Bezug auf Veterinärbeamte spricht sich der FVE ausdrücklich dafür aus, dass die zuständigen Behörden und Veterinär­dienste weiterhin vorrangig festlegen, wie Schlachttier- und Fleischuntersuchungen und wie die allgemeine Aufsicht über Maßnahmen und die Verwaltung von Verstößen durchgeführt werden sollten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Einheitlichkeit von Informationen über die Lebensmittelkette, die für eine effektive Kontrolle und die Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit unerlässlich ist. Die Arbeitsgruppe „Food Safety and ­Quality“ ­(Lebensmittelsicherheit und -qualität) des FVE zeigte sich sehr erfreut darüber, dass viele Punkte des neuen Entwurfs, den wir mit der Kommission erörtern, die früheren Rechtsvorschriften über amtliche Kontrollen in weiten Teilen berücksichtigen.

In Hinblick auf Tierarzneimittel verfolgt der FVE die Entwicklungen bei der Überarbeitung der Tierarznei­mittel- und Fütterungsarzneimittelverordnung sehr ­genau. Was das Problem antimikrobieller Resistenzen angeht, versucht der Verband, einen Beitrag zur Angleichung der höchst unterschiedlichen Verwendungspraxis von antimikrobiellen Mitteln in den einzelnen Ländern zu leisten.

Hinsichtlich des Brexit vertritt der FVE die Ansicht, dass die laufenden Verhandlungen keine gravierenden Auswirkungen auf die aktuelle Organisation von Tiergesundheit, Tierschutz, Gesundheitswesen und Umweltschutz haben sollten, und zwar zum Wohle aller europäischen Bürger.

Einige Fragen, mit denen wir uns in naher Zukunft befassen werden, sind der Status der Veterinärmedizin als ­Gesundheitsberuf, sozialer Druck und Belästigung in ­sozialen Medien sowie Insekten als Proteinquelle.

Damit wir uns diesen und vielen anderen Problemen in unserer globalisierten Welt stellen können, ist es unbedingt notwendig, dass alle europäischen Veterinärorganisationen Hand in Hand zusammenarbeiten, denn die Reichweite selbst der größten dieser Verbände wäre nur begrenzt, wenn sie alleine stünden. Der FVE bemüht sich weiterhin nach Kräften, auch in Zukunft als eine Plattform zur Verfügung zu stehen, auf der europäische Veterinärorganisationen ihre Ideen besprechen und Maßnahmen gezielt koordinieren können.