Einfluss der Hufbearbeitung auf das Gangbild beim Pferd –

Beobachtungen aus der Praxis

Dr. Andrea Wüstenhagen
Zusatzbezeichnung Physikalische Medizin und Physiotherapie für Pferde

Probleme mit dem Bewegungsapparat gehören zu den häufigsten Auffälligkeiten beim Pferd und sind nicht selten ein Grund für langwierige tierärztliche Behandlungen, ein Ausscheiden des Tieres aus dem Sport – oder sogar für den Verlust des Pferdes. 

Als manuell arbeitende Tierärztin liegt mein Fokus auf allen Arten von Abweichungen von einem physiologischen Bewegungsmuster beim Pferd. Die Gangbildanalyse gehört zu den wichtigsten Kriterien im orthopädischen, physiotherapeutischen und osteopathischen Untersuchungs­gang. Beobachtungen aus der Praxis haben gezeigt, dass nicht nur Probleme mit Sehnen, Gelenken oder der Wirbelsäule als Ursache für abnorme Gangbildmuster infrage kommen, sondern oft auch die Art der Hufbearbeitung und/oder die Form der Hufe.

Das vorrangige Ziel einer guten Hufbearbeitung ist die störungsfreie Fortbewegung des Pferdes. Das Pferd muss auf seinen vier Hufen lahmheitsfrei, ohne Schmerzen und mit optimaler Balance laufen können. Dafür ist eine regelmäßige Kontrolle und Bearbeitung durch den geprüften Hufschmied oder Barhufbearbeiter notwendig. Die Frage nach dem passenden Hufschutz für das jeweilige Pferd kann nur beantwortet werden, wenn Gesundheit und Balance der Hufe mit der jeweiligen Abnutzung in Einklang gebracht werden.

Der gesunde Huf

Ein gesunder Pferdehuf lässt sich an folgenden Merk­malen erkennen: ein gerader Verlauf des Saumbandes, gerade Wände ohne Schnabelbildung, gerade Eckstreben, Ballen auf gleicher Höhe (nicht verschoben), ein großer dreieckiger Strahl mit Bodenkontakt, starke, nicht zu hohe und nicht unterschobene Trachten von gleicher Länge. 

Betrachtet man den aufgehobenen Huf und teilt die Sohlen­fläche an der weitesten Stelle in eine vordere und eine hintere Hälfte, sollte im besten Fall der größere Teil palmar/plantar zu liegen kommen. Die dort liegenden elastischen Strukturen sind für die Stoßdämpfung sowie die Propriozeption von großer Bedeutung.

Je nach Theorie des Hufbeschlags orientieren sich die Fachleute zum Beispiel am Fesselstand, an der Sohle oder an einer planen Fußung. Aus tierärztlicher Sicht soll hier auf ein paar wenige Ziele einer funktionellen Hufbearbeitung eingegangen werden: 

1. Die Zehenachse soll passend zum Fesselstand sein
Unabhängig von etwaigen Abweichungen in der Zehenstellung darf die Zehenachse weder von der Seite noch von vorne betrachtet gebrochen sein. Ob die Zehenachse passend zum Fesselstand ist, ist vor allem in der Belastung in der Stütz- und Stemmphase der Bewegung entscheidend. Dies lässt sich am stehenden Pferd also besser beurteilen, wenn der gegenüberliegende Huf aufgehoben wird.

2. Zehenlänge und Abrollpunkt
Immer wieder wird unter Tierärzten und ­Hufschmieden über die korrekte Zehenlänge diskutiert. Als grund­legendes Kriterium muss festgehalten werden, dass eine zu lange Zehe den Weg bis zum Abrollpunkt verlängert. Das Hufgelenk befindet sich dann unnötig lange in Hyperflexion, was zu einem vermeidbaren Stress besonders an den Strahlbeinbändern führt. Ein optimaler Abrollpunkt minimiert die Belastungszeit der distalen Strukturen und erleichtert darüber hinaus die Muskelarbeit an Schulter und Becken.

3. Medio-laterale Balance
Der Huf des Pferdes braucht nicht nur nach vorne eine optimale Abrollmöglichkeit, sondern muss auch nach innen und außen abrollen können, um unnötige ­einseitige Belastungen durch Kippbewegungen zu vermeiden. Gerade im Gelände, auf unebenem oder tiefem Boden oder bei engen Wendungen muss der Huf in alle Richtungen gut beweglich sein. Die medio-laterale Balance als Ziel einer optimalen Hufbearbeitung hat nichts mit einer optischen Symmetrie der Hufhälften zu tun. Auch häufig festgestellte ungleiche Trachtenlängen sind aus biomechanischer Sicht auf jeden Fall abzulehnen.

4. Art der Fußung 
Die Art der Fußung ist ein einfaches Indiz, ob das Pferd aus biomechanischer Sicht korrekt bearbeitet wurde und ob gröbere Verspannungen oder Probleme im Bewegungsapparat vorliegen. Die gesunde Fußung ist die Trachtenfußung, das heißt, das Pferd berührt zunächst im Bereich der Trachten oder Ballen den Boden und rollt dann über die Sohle ab („Flip“).

Hufes eher unharmonisch zu Boden. Dabei kann die stoßdämpfende Funktion der hinteren elastischen Strukturen (Strahl, Strahlpolster, Ballen, Hufknorpel, Hufrolle) nicht genützt werden. Auf Dauer ist mit Abnützungserscheinungen degenerativer Art im Bereich der Zehe zu rechnen.

Mögliche Auffälligkeiten im Gangbild

In der Gangbildanalyse des Pferdes können sich Fehler in der Hufbearbeitung folgendermaßen darstellen: Zunächst muss unterschieden werden, ob Schmerzen im Hufbereich vorliegen oder ob es vorwiegend um biomechanische Einschränkungen in der Bewegung des Pferdes geht. (Diese Fälle werden in der Regel dem Tierarzt noch nicht vorgestellt.)

Schon bevor „schmerzende Hufe“ zur Lahmheitsursache werden, ergeben sich Auffälligkeiten in der Adspektion der Bewegung, zum Beispiel durch ein Festmachen des Kiefers beim Auffußen oder durch den Schmerzausdruck in den Augen. Mimik und Körperhaltung verraten, dass etwas nicht stimmt. Wird bei der Hufbearbeitung die Biomechanik der Zehe nicht entsprechend berücksichtigt, so führt das oft zu steifen, unharmonischen Bewegungs­abläufen beim Pferd. 

Zu lange Zehen verlängern die Stemmphase und verur­sachen unmittelbar Mehrarbeit in der proximalen Muskulatur. Verspannungen an der Schulter, fehlende Muskulatur in der Sattellage und unerwünschte Erhöhung der Schubkraft der Beckengliedmaßen können die Folge sein. 

Blockierungen der Halsbasis (ZTÜ) führen, wie bereits erwähnt, zu einem typischen Kopfhochreißen beim Antraben. Da die Aufhängung des Schulterblattes blockiert ist, versuchen die Pferde, die Vorhand über den M. brachiocephalicus nach vorne zu „reißen“. 

Eine Zehenspitzenfußung führt zu Verspannungen an Schulter und Rücken und verhindert damit eine los­gelassene Bewegung. 

Conclusio

Der Einfluss der Hufkorrektur auf die Biomechanik der Zehe und in Folge auf das Bewegungsmuster des Pferdes ist enorm. Eine fehlerhafte Korrektur oder ein unbedachter Hufbeschlag können die Ursache für Rittigkeitsprobleme, Blockierungen im Bewegungsapparat, Lahmheiten und Schmerzen beim Pferd sein.

Dysbalancen im Hufbereich können den Muskelaufbau behindern, Koordinationsprobleme verursachen und -führen oft zu einer verminderten Motivation und Leistungsbereitschaft beim Reitpferd.

Jedes Pferd hat aufgrund seines Exterieurs, seiner Bemuskelung und seines Trainingszustandes ein typisches Gangbild. Dieses Bewegungsmuster nach den Gesetzen der Biomechanik zu analysieren und gegebenenfalls mit dem geschulten Hufschmied oder Hufbearbeiter anzupassen ist Aufgabe von Tierärzten und Trainern, die gemeinsam zum Wohle des Pferdes handeln sollten.