Ein weites Land:

bedürfnisorientierte Ernährung von Haustieren

Bettina Kristof

Wenn man einen Blick in die Futtermittelregale der Zoofachgeschäfte wirft, verliert man leicht den Überblick. Ob für Welpen oder Senioren, bei Nieren- oder Leberproblemen oder gegen Fettleibigkeit – es gibt im Bereich der Tierernährung kaum etwas, das es nicht gibt.

Vor circa 30 Jahren gab es ein Futter für Welpen, eines für erwachsene Hunde und eines für Senioren. Das ist auch durchaus sinnvoll, denn Hunde in der Wachstumsphase benötigen einen höheren Eiweißgehalt, ein ausgewogenes Kalzium-Phosphor-Verhältnis, Vitamine und Spurenelemente und auch eine größere Kalorienzufuhr als erwachsene Tiere. Senioren wiederum gehen es meistens etwas ruhiger an, brauchen weniger kalorienreiches Futter und eine andere Zusammensetzung als Welpen oder erwachsene Hunde. 

Zusätzlich zu den Futtervarianten, die auf das Alter und die Aktivitätlevels der Tiere abgestimmt sind, gibt es seit einigen Jahren eine große Auswahl an Futtermitteln, die zur Unterstützung einzelner Organfunktionen eingesetzt werden können. Ob Herzbeschwerden, Allergien oder Magen-Darm-Erkrankungen – die Futtermittel­hersteller bieten zahlreiche Diäten in verschiedenen Darreichungsformen und Geschmacksrichtungen an, um kranke oder empfindliche Tiere zu unterstützen.  

Wenn man den boomenden Markt an Diätfutter­mitteln näher betrachtet, stellt man sich unwillkürlich die Frage, ob die Zahl der Haustiere, die eine spezielle Ernährung brauchen, dermaßen zugenommen hat, oder ob die Tierhalter in ihrem Bestreben, ihrem Tier das Beste zu ­bieten, vielleicht zu viel des Guten tun. Wir haben darüber mit Mag. Regina Bregenzer von der Tierarztpraxis Dr. ­Isabella Copar & Mag. Regina Bregenzer ­gesprochen. 

Frau Mag. Bregenzer, das Angebot an spezialisierter Tiernahrung wächst ständig. Wann braucht ein Tier eine besondere Ernährung?
Eine spezielle Ernährung ist bei manchen Erkrankungen sinnvoll, wenn die Krankheit mittels Blutbild oder einer anderen Untersuchung nachgewiesen ist. Nierenerkrankungen kommen bei Katzen recht häufig vor. Bei dieser Krankheit kann man mit eiweißarmem Futter, das die Harnstoffbildung reduziert, eine Verbesserung der Werte erreichen. Es gibt eine große Auswahl an industriell gefertigtem Nierendiätfutter, das Katzen gut akzeptieren. Auch bei Leberproblemen bei Hunden und Katzen ist ergänzend zur medikamentösen Behandlung ein entsprechendes Diätfutter empfehlenswert.  

Der Markt der bedürfnisorientierten Ernährung für Haustiere boomt. Worauf führen Sie das zurück? Haben die Erkrankungen, die damit behandelt werden, so stark zugenommen? Oder hat sich nur unsere Wahrnehmung verändert?
Ich würde sagen, es ist eine Modeerscheinung, ­spezielles Futter zu geben. Derzeit ist gerade getreidefreies Futter in, es hat, so wie alles, Befürworter und Gegner. Futter­mittel mit höherem Fleischanteil empfehle ich nicht, weil Hunde oft auf zu viel Eiweiß mit Überempfindlichkeiten und Juckreiz reagieren können. Die meisten ­Tiere ­bekommen ja nicht nur ihre tägliche Futterportion, sondern außerdem verschiedene Leckerlis in Form von Kauknochen, Pansen et cetera. Bei diesen Zusatz­produkten ist teilweise viel Eiweiß dabei. Besonders proteinhaltiges Futter wird oft als „Premium­futter“ angepriesen. Tierhalter, die ihrem Tier etwas Gutes tun wollen, greifen häufig danach, weil der Name viel verspricht. Bei dem Versuch, das Tier zu verwöhnen, passieren immer wieder grobe Fehler. Man sollte keine Zusätze verabreichen, ohne darüber mit dem Tierarzt gesprochen zu haben – oft wird nicht berücksichtigt, dass das normale Futter ja auch schon einiges enthält. 

Wieso sind viele Tierhalter bereit, in teure Futtervarianten zu investieren?
Haustiere haben einen enormen Stellenwert erlangt. Am Land wird das viel normaler gesehen, aber in der Stadt wird ein großer Aufwand rund um die Haustiere betrieben. Das Tier ist hier oftmals Partner- oder Kinderersatz, man will das Beste für das geliebte Tier tun. Viele nehmen die Ernährung des Tieres wichtiger als die eigene. Das wird von der Industrie zum Teil ausgenützt, damit lässt sich Geld machen, das Haustier ist zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden. 

Das Angebot an speziellen Futtermitteln wächst ständig. Der Handel bietet Biofutter, Futter ohne ­Getreide, Feucht- oder Trockenfutter, mit Straußen- oder Känguru­fleisch, gegen unterschiedliche Allergien, Lightvarianten – um nur einige zu nennen. Die Angebotspalette ist mittlerweile unübersichtlich, dieser Umfang ist aus meiner Sicht nicht wirklich notwendig. Die große Auswahl ist für den Konsumenten eher verwirrend. Es ist wichtig, bei der Kaufentscheidung auf seinen Hausverstand zu vertrauen. Weniger ist oft mehr!

Führen Sie häufig Ernährungsberatungen durch?
Meistens im Rahmen einer Untersuchung und am häufigsten, wenn es ums Abnehmen geht. 60 Prozent der Hunde und nahezu 80 Prozent der Katzen in ­unserer ­Ordination sind übergewichtig. Daraus resultieren Folge­erkrankungen von Diabetes über Verstopfung bis zu Gelenkserkrankungen. Unser Bild von einem gesunden Tier ist mittlerweile so verzerrt, dass eine normalgewichtige Katze vom Großteil der Bevölkerung als zu mager angesehen wird. Nicht umsonst ist das gefürchtetste Gerät in der Ordination die Waage.

Worauf führen Sie es zurück, dass so viele Tiere übergewichtig sind?
Einerseits haben viele Tiere zu wenig Bewegung: Hauskatzen etwa, die keinen Ausgang haben, oder Hunde, deren Halter durch den Beruf zu wenig Zeit für lange Spaziergänge haben. Andererseits halten sich die Tierbesitzer oftmals zu starr an die Futtermengenangaben, die auf den Produktpackungen angegeben sind und nicht immer stimmen. Man muss bei der Futtermenge aber berücksichtigen, ob sich ein Tier viel bewegt oder nicht, ob es vom Wesen her temperamentvoll oder eher ruhig ist. Auch das Alter spielt eine Rolle: Ein junger Hund braucht wesentlich mehr Futter als ein Senior. Und ein wichtiger Punkt sind Goodies, die häufig gegeben werden und natürlich auch Kalorien haben. Man sollte sein Tier beobachten und im Fall der Gewichtszunahme gleich die Notbremse ziehen.  

Erarbeiten Sie gemeinsam mit dem Tierhalter einen Ernährungsplan, wenn das Tier abspecken soll?
Ja, denn es fällt vielen Tierbesitzern sehr schwer, dem Hund das normale Futter, das er bekommt, so zu reduzieren, dass der gewünschte Effekt erzielt wird. Wenn ein Tier abnehmen soll, empfehle ich Diätfuttermittel. Diese haben einen geringeren Nährwert als normales Futter, enthalten aber alle wichtigen Mineralstoffe und Spurenelemente. Das Diätfutter sollte so lange gegeben werden, bis das Tier wieder sein normales Gewicht hat. Damit das Tier nicht gleich wieder zunimmt, sollte man danach die Lightvariante eines Fertigfutters geben. Die meisten Futtermittelhersteller bieten dies bereits an.

Halten sich die Tierhalter an Ihre Empfehlungen?
Das ist verschieden. Am schwierigsten ist es, ein erfolgreiches Ernährungsmanagement zu betreiben, wenn mehrere Personen im Haushalt leben. Es sind nicht immer alle konsequent und bereit, sich an den Diätplan zu halten. Es geht vor allem darum, nicht zu viele Leckerlis zusätzlich zu füttern oder sonstige Leckerbissen zuzustecken. Damit die Diät Wirkung zeigt, müssen alle an einem Strang ziehen! Das ist im Krankheitsfall leichter durchzusetzen, als wenn das Tier „nur“ abnehmen soll.

Verkaufen Sie spezielle Diätfuttermittelmarken in Ihrer Ordination? 

Aus logistischen Gründen haben wir nur eine Diätfutter­mittelmarke in der Ordination lagernd. Das Angebot ist mittlerweile so groß, dass wir nicht alles vorrätig haben können. Wenn Diätfutter verabreicht werden soll, informiere ich den Tierhalter über die verschiedenen Möglichkeiten, die es auf dem Markt gibt, und bestelle im Bedarfsfall das entsprechende Futter.

Womit hängt der Anstieg der Zahl der Tiere, die eine spezielle Diät brauchen, zusammen? Sind Umwelt­belastungen, Stress oder etwas anderes der Grund?
Ich denke, dass Allergien und andere Probleme oft mit der Sozialisierung zu tun haben. Wenn Tiere viel allein gelassen oder nicht ihrer Art entsprechend gehalten werden, stresst sie das. Auch wenn sie zu viel Ansprache bekommen oder überbehütet und zu stark von den Tierhaltern vereinnahmt werden, erzeugt das Stress. Die Erziehung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle: Ein Hund braucht klare Grenzen, denn das Verlangen nach einem bestimmten Gefüge und einer Rangordnung ist ihm angeboren. Hunde zu sehr zu vermenschlichen und ihnen damit kein hundegerechtes Leben zu ermöglichen erzeugt Stress, und dieser ist zum Teil mitschuldig an so mancher Erkrankung, die fälschlicherweise als reine ­Allergie oder Unverträglichkeit behandelt wird. 

  

Denken Sie, dass es einen Zusammenhang zwischen speziellen Erkrankungen bei Tieren und ihrer sozialen Rolle gibt?
Ich sehe da einen großen Zusammenhang. Magen-­Darm-Probleme und Allergien haben oft psychische Ursachen. 

Ist es sinnvoll, Tiere bei Verdacht auf eine Allergie mit einem speziellen Diätfutter zu versorgen?
Das Problem ist, dass viele Tierbesitzer bei bestimmten Symptomen ihres Tieres eine Futtermittelallergie vermuten und dann beginnen, herumzuprobieren. Sie wissen nicht, ob die Beschwerden auf das Futter zurückzuführen sind, und falls doch, auf welchen Inhaltsstoff. Aufgrund einer Vermutungsdiagnose wird eine Ausschlussdiät gegeben. Man hat etwa den Verdacht, dass der Hund kein Rindfleisch verträgt, und füttert es ­daher nicht. Wenn dann nicht innerhalb kurzer Zeit eine ­Besserung der Beschwerden eintritt, wird wieder ein anderes Futtermittel probiert und so weiter. 

Bei Unverträglichkeiten empfehle ich den ­Tierhaltern, zehn Tage lang alles aufzuschreiben, was das Tier bekommt, und die Symptome zu beobachten. Das ist für eine erste Beurteilung durch den Tierarzt wichtig. Dieser kann dann weiterführende Untersuchungen machen und eine Diagnose erstellen. Erst dann ist es sinnvoll, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und gegebenenfalls eine Diät zu erwägen. Wenn eine Allergie vermutet wird, ist ein Allergietest angezeigt, damit man dem allergieauslösenden Inhaltsstoff auf die Spur kommt.

Es gibt Futtermittelanbieter, die bestimmte Diäten im frei verkäuflichen Handel anbieten. Kann es ge­fährlich sein, wenn ein Tierhalter die falsche Diät für sein Tier auswählt?
Gefährlich vielleicht nicht, aber wenn falsch gefüttert wird, werden sich vorhandene Probleme verstärken. Ich halte grundsätzlich nichts davon, auf Verdacht ­Diätfutter zu verabreichen. Erst nach der Diagnose eines ­Tierarztes sollte Spezialfutter gegeben werden.