Ein Netzwerker namens Darm

Interview mit Dr. Kathrin Busch-Hahn

Tierärztin Tanja Warter

An der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München gibt es die „Spezialsprechstunde Darmgesundheit“. Das intestinale Mikrobiom und seine Wechselwirkungen mit anderen Organen stehen im Mittelpunkt von Forschung und Therapie. Ein Gespräch mit Dr. Kathrin Busch-Hahn, Leiterin der Spezialsprechstunde, über Durchfall, eine Kotbank und die Faszination Mikrobiom. 

Die Spezialsprechstunde wurde 2018 ins Leben gerufen. Die meisten Patienten kommen mit Überweisung, aber manche Besitzer nehmen auch in Eigeninitiative den Weg auf sich, weil der Leidensdruck so groß geworden ist. Zwischen 60 und 70 Prozent der Patienten sind Hunde, der Rest Katzen.

Was sind denn die häufigsten Beschwerden, mit denen Patienten zu Ihnen kommen? 

Auf Platz eins der Rangliste der Symptome steht ganz klar und mit großem Abstand der chronische Durchfall. Auf Platz zwei kommen obere gastrointestinale Symptome wie Licky Fits (Anm.: zwanghafte Leck- und Schmatzanfälle, die oft durch Probleme im oberen Magen-Darm-Trakt verursacht werden), die meist schwer in den Griff zu bekommen sind.

Wir wollen uns in dieser Ausgabe dem Darm widmen. Deshalb gleich vorweg: Ist chronischer Durchfall überhaupt heilbar? 

Nein. Chronischer Durchfall ist eine komplexe Sache und immer multifaktoriell. Wir versuchen, den Besitzern immer zu vermitteln, dass die chronische Enteropathie nicht heilbar ist wie eine bakterielle Harnwegsinfektion oder ein Knochenbruch. Es läuft nicht nach dem Motto „Tablette rein oder operieren, und dann ist das Tier wieder gesund!“ Tatsächlich ist chronischer Durchfall eine Erkrankung, die wie ein Damoklesschwert immer über einem hängt und jederzeit zuschlagen kann. Manchmal reicht es, wenn der Hund beim Spaziergang irgendwo ein Fremdprotein aufschnappt, welches er eigentlich nicht haben dürfte, und schon geht es wieder los. Mit Rückfällen muss man leider häufig rechnen. Aber man kann Durchfall managen. 

Wenn wir von Management sprechen: Wie viele Patienten verbessern sich, nachdem die Fütterung umgestellt wurde? 

Über die Fütterung bekommen wir 40 bis 50 Prozent der Fälle gut in den Griff. Aber das klingt einfacher, als es ist, denn es reicht meist nicht aus, nur auf ein anderes Futter umzustellen, sondern das beinhaltet auch Supplemente, Präbiotika, das Fütterungsregime und vieles mehr. Die Mühe ist es jedoch wert, denn es lässt sich viel erreichen und weitere therapeutische Schritte wie Immun­suppression sind eben häufig mit Nebenwirkungen behaftet. Häufig spielen aber verschiedene Auslöser zusammen, und neben dem Futter können auch frühere Medikamentengaben oder Umweltfaktoren eine Rolle spielen. Auch die Psyche sollte man nicht außer Acht lassen – bei nervösen oder sehr ängstlichen Hunden kann der andauernde Stress mitbeteiligt an der Entstehung von chronischem Durchfall sein. Gleichzeitig wissen wir aber auch aus der Humanmedizin, dass Darmerkrankungen wie Morbus Crohn das Verhalten beeinflussen können. Wir inkludieren deswegen bei gestressten und ängstlichen Hunden sehr gerne unsere Expertinnen für Verhaltenskunde, um unsere Therapiemaßnahmen zu unterstützen.

Nicht erst seit dem Bestseller „Darm mit Charme“ ist auch die öffentliche Aufmerksamkeit für das intestinale Mikrobiom – früher sprach man von der „Darmflora“ – immer stärker geworden.

Ja, das intestinale Mikrobiom ist unser Hauptforschungsgebiet und fasziniert und überrascht uns immer wieder aufs Neue. Ich denke häufig, ich habe so ein Glück, dass ich ausgerechnet in dieser Zeit in diesem Fachgebiet arbeite! Das intestinale Mikrobiom spielt nicht nur im Darm selbst, sondern in so vielen anderen Organsystemen eine zentrale Rolle. Relativ bekannt ist ja inzwischen die Darm-Hirn-Achse. Es gibt aber auch zahlreiche andere Verbindungen im Körper, wie etwa eine Darm-Immunologie-Achse, eine Darm-Leber-Achse, eine Darm-Lungen-Achse oder eine Darm-Haut-Achse. 

Da wäre man glatt verleitet zu sagen: Der Darm regiert alles. 

Ja, dieser Gedanke beschleicht mich auch manchmal, und das gibt dem Wort „Bauchgefühl“ noch mal eine ganz andere Bedeutung. Es würde auch bedeuten, dass wir jede Erkrankung im Körper, von Diabetes mellitus über Epilepsie bis hin zur atopischen Dermatitis, allein durch die Beeinflussung des Darms heilen könnten – eine Traumvorstellung für jeden Gastroenterologen, aber so einfach ist es leider nicht. Wichtig ist, zu wissen, dass alle Achsen zu den anderen Organen keine Einbahnstraßen sind; die Organe kommunizieren auch mit dem Darm und beeinflussen die Zusammensetzung des Mikrobioms. Nehmen wir zum Beispiel die Leber: Sie bekommt über die Portalgefäße zwar stets Input aus dem Darm, sendet über die Galle aber ebenfalls Feedback. Wir haben hier also eine klassische Huhn-Ei-Situation.

Wie stehen Sie zu Antibiotikagabe bei Durchfallerkrankungen?

Unser Ziel ist es immer, die Gabe von Antibiotika zu reduzieren. Therapeutisch eingesetzt können Antibiotika zwar kurzfristig zu einer Verbesserung der klinischen Symptomatik führen, aber nach Absetzen kommen die Symptome meist zurück, und wir sind manchmal in einer schlechteren Situation als zuvor, da das Mikrobiom nachhaltig geschädigt wurde. Außerdem haben wir erste Hinweise, dass – ähnlich wie in der Humanmedizin, wo dies schon länger bekannt ist – Antibiotika im Welpenalter das Risiko für chronische Enteropathien oder vielleicht auch andere chronische Entzündungen erhöhen kann.

Welche Alternativen nutzen Sie?

Neben diätetischen Maßnahmen setzen wir seit längerer Zeit auf Kottransplantationen, auch Fecal Microbiota Transplantations (Anm.: abgekürzt FMT) genannt. Dafür unterhalten wir eine Kotbank und sind zusammen mit anderen internationalen Forschungsgruppen an der Erstellung von Guidelines für Kottransplantationen beteiligt. FMTs sind vor allem bei Junghunden, die Durchfall nach Antibiotikagabe entwickelt haben, sehr erfolgreich. Hier reichen oft schon ein bis zwei Transplantationen und der Durchfall ist verschwunden. Aber auch bei anderen gastro­intestinalen Symptomen zeigen sich erste Erfolge, wie etwa bei einer Französischen Bulldogge mit Licky Fits. Auch bei ihr waren die Symptome nach einmaliger Transplantation verschwunden.

 

Und bei älteren Hunden mit chronischen Problemen?

Je länger die Symptomatik besteht, desto hartnäckiger ist häufig deren Therapie. Wir wissen, dass das eigene, ursprüngliche Mikrobiom die Tendenz hat, nach Transplantation wieder zurückzukommen – oft nach etwa drei bis vier Wochen. Wie oft ein Patient also Spenderkot benötigt, ist individuell sehr verschieden und kann von zwei bis drei FMTs bis hin zu einer dauerhaften Gabe reichen. Während Nebenwirkungen wie vereinzelter Durchfall nach FMT sehr selten sind, sehen wir immer mal wieder überraschende positive Nebenwirkungen. So berichtete beispielsweise eine Kollegin, dass ihr aggressiver Alaskan Malamute nach FMT deutlich entspannter war, und mehrere Besitzerinnen und Besitzer beobachteten bei ihren Hunden eine Verbesserung des Juckreizes und des Haarkleids, eine erhöhte Aktivität oder reduziertes Angstverhalten. 

Ist Kottransplantation auch bei Katzen ein Thema?

Ja, auf jeden Fall. Wenn diese etwas anspruchsvolleren Patienten gut mitmachen, was bei circa 80 Prozent der Fall ist, sind die Erfolge tendenziell sogar noch besser. Bei fehlender Compliance ist es deswegen meist noch trau­riger, wenn wir keine FMTs durchführen können, weswegen wir hoffen, dass wir langfristig die rektale Gabe durch die orale Verabreichung von hauseigenem gefriergetrocknetem Kot in einer Kapsel ersetzen können.

Wann ist ein Mikrobiom denn gut und ein Tier als Spender geeignet?

Ich glaube, um diese Frage sicher beantworten zu können, ist noch einiges an Forschung notwendig. Quantitative PCR-Untersuchungen der wichtigsten Bakterienstämme im Darm, wie beispielsweise der Dysbiose-Index, geben uns erste Hinweise, ob ein Mikrobiom qualitativ hochwertig ist. Leider ist das nur die Spitze des Eisbergs: Allein durch die bloße Anzahl an Bakterien können wir keine Aussage über deren „Fleiß“, auch bekannt als Metabolom, machen. Wir wissen jedoch ziemlich genau, was wir nicht wollen, und das ist ganz schön viel: Neben der Tatsache, dass die Spender natürlich keinerlei Krankheiten haben sollten und keine Antibiotika bekommen haben sollten, müssen sie auch Idealgewicht und ein ausgeglichenes Gemüt aufweisen und einen verlässlichen Besitzer haben. Insgesamt gibt es noch so viel zu erforschen – man darf gespannt bleiben, wohin uns die Reise führen wird!