Ein Biotop

für jedes Dorf

Tierärztin Tanja Warter

Professor Peter Berthold hat einen eindrucksvollen Plan gegen das Artensterben: Er schafft ein Biotop nach dem anderen. Teichrohrsänger, Schwarzhalstaucher und Bienenfresser erobern die neu geschaffenen „Wohnzimmer“ für Pflanzen und Tiere.

Schilf und Rohrkolben säumen die Ufer, ein Himmel­blauer Bläuling flattert vorbei. Eine Schar Graugänse, Nachfahren jener Tiere, mit denen einst Konrad Lorenz schwimmen ging, landet auf dem Weiher. Feuerlibellen schwirren umher und Frösche quaken. So muss es wohl im Paradies sein. Möglich – aber diese Idylle findet man in dem kleinen Dorf Billafingen unweit des Bodensee-Nord­ufers. Hier hat sich Professor Peter Berthold, emeritierter Leiter des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell, einen Herzenswunsch erfüllt: Er legte ein Biotop mit einer 1,3 Hektar großen Wasserfläche an. Rundherum ließ er alles kreuz und quer wachsen. Bald überwucherte ein Kraut das andere, blühte und verging ganz ohne menschliche Nutzung. Kurz: Professor Berthold schaffte hier Natur pur! Der bezaubernde Weiher in Billafingen bildet die Keimzelle des Biotopverbunds Bodensee, eines beispielgebenden Naturprojekts.

Ausgerechnet in dieser extrem ländlichen Region, in der ohnehin alles so grün ist, begann er mit seinem Projekt. Das scheint auf den ersten Blick sonderbar. Aber Berthold weiß es besser: Über Jahrzehnte beobachtete er hier die Tier- und Pflanzenwelt, zählte und katalogisierte die vorkommenden Arten. Dabei musste er feststellen, dass in einer intensiv genutzten Kulturlandschaft die Vielfalt schlichtweg auf der Strecke bleibt. Rebhuhn oder Steinkauz wurden ebenso selten wie Storch oder Laubfrosch, wie Erzengelwurz und Brauner Wiesenknopf. Wenn wir die Natur schon für uns nutzen, so dachte sich der hochdekorierte Wissenschaftler, der vor allem wegen seiner Erkenntnisse über den Vogelzug berühmt wurde, dann müssen wir auch ein Gegengewicht schaffen. Sein Lösungsansatz: ein dichtes Netz an Biotopen, in denen sich seltene Arten wieder ansiedeln und vermehren können. 

 

Von der Idee zur Umsetzung

Vor 13 Jahren startete er das Naturprojekt mit dem ersten Weiher in Billafingen, einem im Bodenseekreis gelegenen Örtchen mit gerade einmal 700 Einwohnern. Die Vision von unberührter Natur wurde nach Aushub und Bepflanzung schneller Wirklichkeit, als es sich die Ini­tiatoren erträumt hätten. Anfangs war da nur der Teich, besetzt mit Rotauge, Karausche, Flussbarsch, Moderlieschen und sechs weiteren Arten ursprünglicher Fische aus Baden-Württemberg; daneben ein Ufer, an dem früher vorkommende Pflanzen angesiedelt wurden. Für die entsprechenden Samen heuerte Berthold eigene Gärtnereien an, die genetisches Material archivieren, damit nichts von den einstigen Sorten verloren geht. Und nun? 13 Jahre später zählt Professor Berthold hier im Sommer 30 verschiedene Arten von Schmetterlingen, zehn unterschiedliche Disteln, 340 Arten von Blütenpflanzen, 27 unterschiedliche Schnecken, verschiedene Heuschrecken und Wespenspinnen. Im vergangenen Frühling fand er zudem zentnerweise Laich von Amphibien. 

Jahr für Jahr konnte Peter Berthold miterleben, wie die Vogelwelt wieder bunter wurde: „2005 kamen 23 Arten neu hinzu, 2006 sieben Arten, 2008 vier Arten und so weiter.“ Insgesamt sind es heute 165 verschiedene Vogelarten – 50 Arten mehr als vor der Einrichtung des Biotops. Dass sich unmittelbar neben dem Weiher auch noch Störche niedergelassen haben, ist das i-Tüpfelchen für eine beeindruckende Erfolgsgeschichte. Heinz Sielmann, der berühmte Naturfilmer, war schon vor vielen Jahren von der Idee begeistert und unterstützte den Professor mit dem Rauschebart finanziell mit Mitteln aus seiner Stiftung. Inzwischen ist er verstorben; der Weiher von Billafingen trägt ihm zu Ehren den Namen „Heinz-Sielmann-Weiher“. Die Erweiterung des Biotopverbunds Bodensee zählt weiterhin zu den Hauptaufgaben der Stiftung.

 
 

 

Gemeinsames Naturerlebnis

Viele Gebiete, in denen die Natur ungestört ihren Lauf nehmen soll, dürfen von Menschen nicht betreten werden. Mit so einer Ausgrenzung der Besucher hatte Peter Berthold nie etwas im Sinn. Jeder soll sehen und erfahren dürfen, wie sich Natur entwickelt und entfaltet, wenn der Mensch nicht regulierend eingreift. Durch das Biotop von Billafingen führt ein Spazierweg, und es gibt eine Aussichtsplattform, von der aus Besucher das Treiben auf dem Wasser beobachten können. Die Einwohner des Dörfchens und Leute aus umliegenden Gemeinden nützen – Überraschung – die Naherholung tatsächlich. Die Buntheit, das Summen und Zirpen, das Vogelgezwitscher oder das Geschnatter der streitenden Gänse fasziniert alle gleichermaßen. Ein paar Benimmregeln hat Peter Berthold trotzdem aufgestellt: Baden, fischen, Pflanzen pflücken oder Störungen der Tiere sind nicht erlaubt. Die meisten Besucher wissen das ohnehin. 

Inzwischen kommt Professor Berthold kaum noch nach, so viele Ansuchen landen auf seinem Tisch. In den Nachbarorten von Billafingen werden Bürgermeister und Grundbesitzer schon ungeduldig – sie wollen auch endlich einen Weiher bei sich einrichten. 26 Feuchtbiotope gibt es mittlerweile, 50 weitere Standorte sind in Planung. Neben der Neuanlage von Stillgewässern gibt es zwei zusätzliche Schwerpunkte: die Erweiterung von besonders wertvollen Streuobstwiesen und die Einrichtung von extensiven Weideflächen. Schon jetzt konnten neben den Biotopen 83 zusätzliche Maßnahmen umgesetzt werden, beispielsweise im Umfeld der barocken Wallfahrtskirche Birnau. Eine Zeit lang kursierten Überlegungen, auf den umliegenden Wiesen Wein anzubauen. Peter Berthold schritt vehement ein. „Dann könnt ihr die Birnau auch in Weinau umtaufen“, wetterte er. Mit Erfolg: Die Streuobstwiesen neben der Basilika sind bis heute erhalten, und alte Birnen- sowie ein paar Apfelbäume tragen Früchte frei von jeglichen Spritzmitteln. 

 
 

 

Geglückte Überzeugungsarbeit

Für die Erhaltung einer Feuchtwiese gelang es Peter Berthold, gleich mehrere Landwirte von der Idee zu überzeugen, den schwierig zu nutzenden Grund als Weidefläche für Wasserbüffel zu nützen, anstatt ihn trockenzulegen. Man muss wissen: Wasserbüffel haben elastischere Klauen als andere Rinder, sie können auf Feuchtwiesen spazieren, ohne mit den Füßen den gesamten Untergrund zu vertreten. Zudem sind die Tiere genügsame Fresser. Auf den Weideflächen finden jetzt auch Bekassine und Kiebitz wieder Nahrung. Dass Peter Berthold ganz nebenbei auch noch einen Birnensortenerhaltungsgarten gegründet hat, wundert da kaum noch. Dass darin allerdings 400 Sorten gedeihen und somit erhalten bleiben, verblüfft doch sehr. Aus dem Supermarkt kennen wir vielleicht drei Sorten…

Der neu gegründete Scheunenerhaltungsverein rundet das ganze Bild ab. Gebäude mit jahrzehnte-, gar jahrhundertelanger Geschichte bekommen einen neuen Nutzen. Aber im Zentrum von Bertholds Schaffen steht freilich die Natur. „Entscheidend war für mich von Anfang an, nicht wahllos hier und da eine Oase zu schaffen“, sagt Peter Berthold, „sondern einen sinnvollen Verbund. Liegen die Biotope und Schutzgebiete dicht genug beisammen, haben Amphibien, Reptilien oder Insekten wieder die Möglichkeit, zu wandern. Sie können neue Lebensräume erobern.“ Daraus entstand sein Leitspruch: Jedem Dorf sein Biotop. „Dann ist mit dem Artenrückgang Schluss!“