Mag. Eva Kaiserseder
„Wir sind noch nicht in der Prophylaxe angekommen!“
Ende Mai findet das European Veterinary Dental Forum in Innsbruck statt, wo Sie eine Keynote halten werden. Der Titel lautet: „Tipps und Tricks rund um die orale Untersuchung beim Kleintier“. Was wären denn diese?
Erst einmal sind wir extrem stolz, den Europäischen Zahntierärztekongress heuer in Innsbruck hosten zu dürfen, dahinter steht die ÖGTZ (Österreichische Gesellschaft der tierärztlichen Zahnheilkunde, Anm.). Natürlich sind wir sehr gespannt, wie es wird, auch, weil wir es geschafft haben, einen deutschsprachigen Stream zu bekommen, normalerweise ist die Kongresssprache ja durchgängig Englisch. Aber da wir relativ viele deutsche Zuhörer haben, wäre es schade, dies nicht zu nutzen. Mein eigener Vortrag wird jedenfalls eine Mischung sein aus Know-how für diejenigen, die sich der Zahnmedizin erst nähern, und die Spezialisten: Ich werde versuchen, diese Schere zu schließen. Nachdem ich erst zweimal fast gebissen wurde, bei doch circa 600 Untersuchungen pro Jahr, kann ich da sicher den einen oder anderen Trick weitergeben. Das Gelingen so einer Untersuchung hat viel mit Psychologie und der Beziehung zu Patient und Besitzer zu tun. Wie kommt das Tier dazu, mir als Tierarzt freundlich gesinnt zu sein? Ich beachte das sogenannte Rudelverhalten, beobachte den Hund, wie er sich dem Tierbesitzer gegenüber verhält, lasse ihm Freiraum, gebe ihm Rückzugsmöglichkeiten und so weiter. Grundsätzlich stellt sich über all dem natürlich die Frage, wie weit man im Wachzustand überhaupt gehen kann: Eine detaillierte Maulhöhlenuntersuchung mit Sondierung der Zähne würde sich kein Hund gefallen lassen. Die Untersuchung findet also im Wachzustand und in Narkose statt. In Allgemeinanästhesie wird dann aber auch gleichzeitig die Behandlung durchgeführt, damit wir das Tier nicht zweimal narkotisieren müssen. Das ist natürlich anders als in der Humanmedizin, es ist daher wichtig, den Tierbesitzern gut zu erklären, dass die Narkosezeit länger dauert und der Mehraufwand mehr kostet. In unseren Breiten ist diese Aufklärung wichtig und funktioniert meist auch sehr gut. Wichtig ist es auch, dem Besitzer die Angst vor eben dieser Narkose zu nehmen. 20 Prozent der Patienten, die vom Praktiker überwiesen worden sind, sind geriatrisch, weshalb dieser sich nicht mehr zutraut, das Tier in Narkose zu legen. Das heißt, der Besitzer hat schon eine gewisse Erwartungshaltung an uns, gehörigen Respekt und natürlich auch Angst. Das müssen wir abfedern. Die Komplikationsrate bei der Narkose beim Hund ist übrigens ähnlich wie beim Menschen – also im Promillebereich!
Wie ist es in Österreich im Vergleich zu Resteuropa um die Tierzahnspezialisten bestellt?
Als wir hier 2013 die ÖGTZ gegründet haben, war die praktizierende Zahnheilkunde noch nicht weit verbreitet, obwohl es mit Prof. Dr. Karl Zetner einen Vorreiter auf diesem Gebiet gab. Er hat sich an der Wiener Uniklinik als einer der Ersten im Bereich Kleintier damit beschäftigt, davor gab es Zahnbehandlungen ja hauptsächlich beim Pferd, nachdem sich die Veterinärmedizin aus dem Militär heraus entwickelt hat. Wien hatte also eine lange Vorgeschichte. Generell gibt es aber viel zu wenige Spezialisten, die sich aus dieser Zeit heraus entwickelt haben, wobei das einfach mit der Entwicklung der Branche an sich zu tun hat, die Tiermedizin hat sich ja extrem gewandelt: Allgemeinpraktiker werden seltener, es entwickelt sich hin zum Spezialistentum. Diese Entwicklung greift erst jetzt so richtig, und das ist die Vorarbeit der letzten 20 Jahre. Die kommt jetzt voll zum Tragen, und, um die eigentliche Frage zu beantworten: Wir haben einen sehr hohen Zustrom zur ÖGTZ und sehr viele Tierärzte wollen in diesen Bereich. Ich bin vor Kurzem einer Einladung von deutschen Zahntierärzten nach Bielefeld gefolgt. Bekanntermaßen sind unsere deutschen Kollegen in punkto Zahnspezialisierung sehr gut positioniert, aber selbst die sind der Meinung, dass erst jetzt die Entwicklung greift. Außerdem merkt man, dass Vorträge von Zahn-spezialisten etwa bei Kongressen viel gefragter sind, das heißt, die Nachfrage ist da und der Markt natürlich auch.
Ist dem Patientenbesitzer die Wichtigkeit des Themas Zahngesundheit eigentlich bewusst?
Als ich angefangen habe mich mit der Zahnheilkunde zu beschäftigen, war dieses Bewusstsein wenig bis nicht vorhanden. Die Tiere kamen sporadisch auf die Uniklinik, und was wir dort oft gesehen haben, also da haben einem die Worte gefehlt: Tiere, die extrem aus der Maulhöhle stanken, starke Entzündungen und Schmerzen hatten. Man kann sich ja kaum vorstellen, unter welchen Umständen die Tiere da jeden Tag auf die Straße gingen, mit diesen chronischen Schmerzen. Viele Besitzer sind der Meinung, der Hund wird alt, deswegen stinkt er aus dem Maul, deswegen wird er müde und weniger verspielt, aber oft hängt das natürlich mit dem schlechten Zustand des Gebisses und den einhergehenden Schmerzen zusammen; vor allem, weil es im geriatrischen Spektrum eine extrem hohe Inzidenz von 99 Prozent einer Erkrankung der Maulhöhle gibt. Mir war es daher wichtig, überhaupt ein Bewusstsein zu schaffen, von Prophylaxe konnte noch keine Rede sein. Wir müssen Besitzern vermitteln, dass -Hundezähne genauso empfindlich wie Menschenzähne sind. Große Erfolge und die Bestätigung unserer Behandlung gab es dann, wenn nach einer OP das Ergebnis ein wieder vitaler, spielfreudiger Hund war.
Sind Zahnprobleme grundsätzlich ein geriatrisches Problem oder würden Sie sagen, diese kommen altersunabhängig vor?
Gute Frage. Bestimmte Krankheiten kann man ins geriatrische Spektrum geben, etwa Tumoren der Maulhöhle, die viel häufiger bei älteren Tieren auftauchen. Auch eine Parodontitis bei einem aktiven, großen Labrador wird erst später auftauchen, aber die Zwergrassen oder brachy-cephalen Rassen, die haben von Anfang an wenig Chance, ihre Zähne durch Beißen und Kauen zu reinigen, die haben dasselbe Problem, das sie mit zwei Jahren haben, auch -später im Alter. Was man auch nicht -vernachlässigen darf: die hohe Unfallhäufigkeit bei der Maulhöhle, das -Abbrechen eines Zahns, Verletzungen der Zunge oder Lippe. Die Frage ist: Erkennt man das auch? Besitzer sollten sensibilisiert werden, nicht erst dann an die Zähne zu denken, wenn der Hund zwölf Jahre alt ist, sondern von Anfang an. Die Kontrolle der Maulhöhle klingt gut, holt die -Besitzer aber auch aus der Komfortzone heraus, weil das täglich und zuverlässig gemacht werden muss. Aber wenn ein Tumor unentdeckt wächst und dann schon drei bis fünf Zentimeter groß ist und im Kiefer-knochen sitzt, kann man nur noch sehr eingeschränkt -kurativ arbeiten.
Wie kann man sich die tägliche Zahnreinigung beim Hund konkret vorstellen?
Ähnlich wie beim Menschen, denn der Hund gilt -teilweise als Tiermodell für den Menschen. Der Vorteil am Hund ist die Form des Gebisses und der einzelnen -Zähne: Konkret kann er sich durch Kauen, Spielen, Fressen die Zahnoberfläche deutlich besser reinigen als wir. Ein aktiver Hund, der viel mit der Maulhöhle arbeitet, bei dem ist es zum Beispiel auch möglich, dass nur jeden zweiten Tag geputzt wird, aber grundsätzlich raten wir den Besitzern, wirklich täglich zu putzen. Damit kann man die Zähne und den Zahnhalteapparat ein Leben lang gesund halten, vielleicht auch in Verbindung mit Kauprodukten.
Ist Prothetik beim Hund eigentlich ein Thema?
Grundsätzlich besteht natürlich immer Interesse daran, den Zahn zu erhalten, allerdings im Sinne seiner Funktion und nicht der Ästhetik. Es gibt weniger oder mehr funktionelle Zähne, Letzteres sind dabei beispielsweise Eck- und Reißzähne, die wie Zeigefinger und Daumen beim Menschen funktionieren, damit können Hunde jagen und töten, aber auch greifen und tragen. Da wird also auf jeden Fall ersetzt, vor allem bei Gebrauchshunden. Nachdem diese Zähne in der Maulhöhle aber sehr exponiert und lang sind und es viel höhere Scherkräfte gibt, die auf den Zahn einwirken, passen die Materialien, die im Humanbereich verwendet werden, für unsere Bedürfnisse leider nicht. Sie brechen und sind zu spröde. Am stabilsten ist da noch Hartmetall als Material für Funktionskronen. Klar, Metall ist nicht besonders ansehnlich, aber die Krone verhindert, dass ein Polizeidiensthund plötzlich wegen eines abgebrochenen Eckzahns den Dienst nicht mehr leisten kann oder aus der Ausbildung ausscheidet.
Welche Themen sind seitens der Tierärzte Dauer-brenner in der Praxis?
Wir haben an der Basis sehr zu kämpfen, sprich, die gebetsmühlenartige Sensibilisierung der Besitzer in Bezug auf das Thema Zahnpflege ist eine Geschichte, die nie aufhört. An der Spitze hingegen gibt es sehr starke Weiterentwicklungen des Faches, angetrieben auch durch die Humanmedizin; wir arbeiten mit 3-D-Drucken: Titanimplantate als sogenanntes „customized plating“, also speziell angefertigte Platten bei komplizierten Kieferfrakturen oder Kieferresektionen, sowie Zahnkronen gibt es bereits im 3-D-Druck. Das Thema Implantologie ist heiß umstritten unter den Spezialisten: Die Geister scheiden sich an der Frage, ob man dem Tier damit nutzt oder ihm nicht eher schadet. Auch onkologische Fragestellungen beschäftigen uns, und, wie bei Allgemeinmedizinern auch, Dr. Google: Wie bringe ich Patientenbesitzer von ihren im Netz vorgefertigten Meinungen und Urteilen weg?
Was würden Sie noch unerfahrenen Kollegen in Sachen bildgebende Diagnostik mit auf den Weg geben?
Als Erstes würde ich ein Dentalröntgen empfehlen, denn ohne ist die vollständige Beurteilung eines Zahns eigentlich nicht möglich. Warum? Um überlagerungsfrei die Zahnwurzel und den umgebenden Alveolarknochen zu beurteilen, braucht es Intraoralaufnahmen, und darum brauche ich ein Dentalröntgen, das sind Basics, die zur oralen Untersuchung dazugehören. Ein Beispiel zeigt auch das Thema Zahnresorption bei Katzen: 60 Prozent aller Katzen sind betroffen, ohne Dentalröntgen lässt sich das häufig nicht feststellen. Ohne diese Diagnostik würde ich eine Katze hinterlassen, die Schmerzen hat, und das wäre wohl keine „good veterinary practice“. Die Anwendung ist allerdings etwas, das ich vorab lernen sollte: Aufnahmetechniken im Unterkieferbereich sind einfach zu bewerkstelligen, im Oberkieferbereich wird es dann relativ kompliziert, denn da ist der harte Gaumen dazwischen, und es lassen sich eigentlich nur Projektionen anstellen. Gar nicht so leicht, sich hier dreidimensional zu orientieren. Da würde ich also durchaus raten, Kurse zu machen und mich auch vor dem Kauf eines Gerätes vorab mit Spezialisten zu beraten. Ist das Gerät allerdings einmal angeschafft, dann würde ich das als Grundstein für die Spezialisierung sehen.
Was ist denn der aktuelle Goldstandard bei der so wesentlichen Prophylaxe?
Prophylaxe, dort wären wir gerne, die passiert nach wie vor kaum. Es gibt zwar Besitzer, die ihren Tieren die Zähne putzen, aber sie sind leider selten. Gleichzeitig sind diese Besitzer aber auch deutlich früher bei mir zur Abklärung eines Problems: Die Maulhöhle ist ja nur die Spitze des Eisbergs, das heißt, hier passiert der Erstkontakt und die Einschaltung des Immunsystems; die Maulhöhle als Teil des -Magen-Darm-Traktes, der die größte Immunleistung im Körper bringt. Ist die Maulhöhle einmal erkrankt, dann belastet das das gesamte Immunsystem und andere Organsysteme, andererseits zeigen sich auch viele Erkrankungen durch -Immunsuppression sekundär in der Maulhöhle. Weiters geht die jahrelange Kontamination mit Plaque, Zahnstein und einhergehenden Entzündungen auch auf Kosten innerer Organe. Studien zeigen, dass eine Kontamination über zehn Jahre zu Erkrankungen der -Leber, Niere oder des Herzens führt, also ist die -Prophylaxe für den – gesamten Organismus – extrem wichtig!