Dog

in Progress

Mag. Eva Kaiserseder

Wie ist der Mensch eigentlich auf den Hund gekommen? Und wie ging dieser Prozess vonstatten? Neue Studien sehen die angeborenen sozialen Fähigkeiten des Wolfes jedenfalls als eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Domestikation überhaupt stattfinden konnte. 

„Tumat dogs“, nach ihrem Fundort in Jakutien, werden sie in Fachkreisen genannt, die zwei einst sicher putzig anzusehenden Welpen aus dem ewigen Eis. Das Naturhistorische Museum Wien präsentiert die aufsehenerregenden Funde, mumifizierte Hundekörper, als Höhepunkt der kürzlich eröffneten Ausstellung „Hund & Katz“. Über 12.000 Jahre sind sie alt, die beiden Eismumien, bei denen sogar Haut und Organe erhalten geblieben sind. „Der Knackpunkt bei diesen Tieren ist, dass sie sozusagen Wolfshundewelpen sind, Hunde in ihrer primitivsten Form, aber definitiv keine Wölfe mehr. Das lässt sich mittels DNA und Zähnen einwandfrei belegen“, so Zoologe Andreas Hantschk, der im NHM für die Museumspädagogik verantwortlich zeichnet. Die Ausstellung ist teilweise interaktiv aufgebaut, das heißt, der Besucher soll in Eigenregie und mittels unterschiedlicher Stationen erfahren, wie die Tiere ihre Welt sinnlich erfahren. Die Ausstellung, die vom Pariser Cité des sciences et de l’industrie gestaltet und für Wien adaptiert wurde, wurde zusätzlich um museumseigene Präparate ergänzt, die sozusagen Beginn und Wege der Domestikation illustrieren sollen. „Mir ist es extrem wichtig, dem Besucher zu vermitteln, wo unsere gemeinsame Geschichte angefangen hat, wie die Umstände waren, unter denen das passiert ist, und warum“, so Hantschk. Hier ein einheitliches Grundwissen vorauszusetzen wäre für ihn der falsche Zugang. Mit gutem Grund, denn die Forschung um den Hund und dessen Domestizierung ist absolut „work in progress“, gerade in den letzten 20 Jahren hat hier enorm viel neues Wissen Einzug gehalten. Ältere Generationen haben zum Beispiel sicherlich noch den populären, von Konrad Lorenz postulierten Irrtum vom Goldschakal als Urahn des Haushundes vor Augen, der mittlerweile vielfach widerlegt werden konnte. Aber wer war dann tatsächlich der Urahn unseres heutigen Gefährten, wann hat sich die Hundwerdung zugetragen und wie kann man sich diesen Prozess überhaupt vorstellen? „Die neuesten Veröffentlichungen sprechen von 40.000 Jahren als relativ fixe Zeitspanne, in der sich diese frühe Domestikation abgespielt haben muss“, erklärt die Zoologin und Kognitionsbiologin Karin Bayer, die am Messerli-Forschungsinstitut der Vetmeduni Vienna im Clever Dog Lab tätig ist. Relativ neu in der Forschung ist außerdem das Wissen um nur einen Entstehungsort des Hundes, nämlich den Nahen Osten; frühere Publikationen haben für zwei Orte, nämlich Europa und den Nahen Osten, plädiert. Vorstellen kann man sich diesen Prozess so, dass der Hund, also dessen frühe Form, an einem Platz entstanden ist und sich erst dann, davon ausgehend, in den Ost- und Westhund gesplittet hat. Diejenigen Wölfe, die als Urahnen des Hundes gelten, sind übrigens längst ausgestorben, heutige Wölfe sind nur mehr Verwandte unserer Vierbeiner. 

Die Wandlung der Sinne

Die Veränderungen, die während dieser Domestizierung mit dem Hund vor sich gegangen sind, lassen sich, abgesehen von der Genetik, vor allem im Körperbau und in der Sinneswahrnehmung feststellen. Dass auch die Sinne des Hundes, nicht nur die des Wolfes, menschliche Sinne in manchen Bereichen um ein Vielfaches übertreffen, dürfte keine Überraschung sein. Zum Beispiel seine absolute Domäne, der Geruchssinn: Hatte ein durchschnittlicher Wolf noch satte 250 Millionen Riechzellen aufzuweisen – überlebensnotwenig als Beutegreifer –, weist der Hund, je nach Rasse, „nur“ mehr durchschnittlich 200 Millionen auf, wobei es hier starke rassespezifische Schwankungen von Bloodhound bis Mops gibt. Zum Vergleich: Der Mensch wartet mit mageren fünf bis zehn Millionen Riechzellen auf. Diese für uns kaum vorstellbare canine Geruchsdimension ist daher auch noch ein relativ wenig erforschtes Gebiet beim Hund. „Man muss nur an absolute Spezialisten wie Minensuchhunde oder Krebsspürhunde denken, dann kann man sich vorstellen, welche neue Dimension sich hier erschließt, in der man auch Vorsicht walten lassen muss. Man weiß schlicht noch nicht genau, wo der Hund hier ganz konkret ansetzt und was da alles bei ihm passiert“, so Bayer. Der Sinn, bei dem der Hund uns Menschen gegenüber allerdings wortwörtlich das Nachsehen hat, ist das Sehen. Dieser Sinn ist weniger stark ausgeprägt. Hunde sehen nämlich nicht nur weniger scharf, sondern sind im Farbspektrum durch die geringere Anzahl der Zapfenzellen (zwei statt drei beim Menschen) limitiert: Rot- und Grüntöne können sie nicht sehen.  Wettgemacht wird das allerdings durch einen viel größeren Sehwinkel und eine bessere Sicht in der Dämmerung.

Rätselhafte Domestikationsursachen

Warum der Wolf eigentlich die Nähe zum Menschen suchte, dazu gibt es viele Hypothesen. „Auf der Hand liegt, dass es zum Beispiel Gratisessen gab, denn überall dort, wo Menschen hausten, gab es für die Tiere verwertbare Abfälle. Der Nutzen war in diesem Bereich definitiv ein gegenseitiger, denn die Wölfe fraßen nicht nur Nahrungsmittelabfälle, sondern auch Kot, das hieß, sie hielten die Behausungen des Menschen rein. Noch heute wird das in Teilen Afrikas so gehandhabt, Stichwort Windelersatz. Dass die soziale Rolle des Hundes dort nach wie vor eine völlig andere ist als in Westeuropa anno 2017, liegt auf der Hand. Und man darf nicht vergessen, dass Hundefleisch über weite Strecken auch gegessen wurde, ganz selbstverständlich, nicht nur in Notzeiten“, so Bayer. 

Die Funktion des Hundes als Jagdbegleiter und Wächter des Hauses, also das, was dem durchschnittlichen Mitteleuropäer dieser Tage wohl am ehesten assoziativ einfällt, war so gesehen nur ein kleiner Teil im Domestikationsspektrum. Vielmehr hat vermutlich die enorme schon vorhandene Bandbreite des Wolfes für seine -Attraktivität beim Menschen gesorgt, den „Domestikationsturbo“ angeworfen und Hunde damit zu unserem allerersten „Nutztier“ gemacht. Denn Rassen im heutigen Sinne, bei denen es stark um die Optik und das Erscheinungsbild geht, gibt es zwar erst seit etwa 100 Jahren, verschiedene Gebrauchs-typen, die darauf abstellten, welchen Nutzen es zu erfüllen galt, die haben sich schon wesentlich früher herauskristallisiert. So gab es etwa Arbeitshunde, Hütehunde und in der Antike sogar Kriegshunde, die tatsächlich mit in die Schlachten genommen wurden. „Diese Art Hund gab es erstaunlicherweise bis in den Zweiten Weltkrieg hinein noch, Hunde haben hier übrigens nicht nur als Tragetier funktioniert, sondern auch als Waffe, wenn man so sagen will“, erzählt Bayer. 

Es stellt sich also die Frage nach der Henne und dem Ei: Was war zuerst da? Der Wolf, der die Nähe des Menschen gesucht hat, oder der Mensch, der kapiert hat, welche Möglichkeiten der Wolf bietet, und sich diese Eigenschaften zunutze gemacht hat? Eine aktuelle Studie stützt eher zweitere Hypothese. So hat ein Forscherteam, darunter mit Friederike Range und Zsófia Virányi zwei Verhaltensforscherinnen vom Wolf Science Center der Vetmed-uni Vienna, herausgefunden, dass Hunde untereinander überhaupt nicht sozialer und kooperativer als Wölfe sind. „Wölfen wird zwar generell ein stärkerer explorativer Drang, Dinge zu erkunden, nachgesagt. Sie stachen die Hunde aber eindeutig aus, als es darum ging, sich mit einem Partner abzustimmen“, erklärt Range. Mittels eines sogenannten „Loose String“-Versuchsaufbaus sollte herausgefunden werden, ob die Domestikation Hunde wirklich zu besseren Teamplayern gemacht hat. Was die Studie gezeigt hat: Wölfe können zusammenarbeiten, wenn sie nur gemeinsam an Futter kommen. Rudellebende Hunde hatten zwar das gleiche Interesse an den Aufgaben, sie waren im Gegensatz zu den Wölfen aber nicht in der Lage, zu kooperieren, und gingen dadurch leer aus, so die Forscher. Die Tendenz zur smarten und effizienten Zusammenarbeit scheint also eher den -Wölfen als den Hunden gegeben. Und es klingt ganz danach, dass der Mensch die ohnehin schon vorhandenen sozialen Fähigkeiten des Wolfes als interessante Basis für ein Miteinander gesehen haben könnte. 

Kurt Kotrschal, dessen Arbeiten als Biologe und Verhaltensforscher sich weitgehend um die Mensch-Hund--Beziehung drehen, formuliert das im „Standard“-Interview so: „Die bisherigen Domestikationshypothesen gingen davon aus, dass Hunde die netteren Wölfe sind – aber so ist das nicht. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Hunde eine steilere Dominanzhierarchie im Kopf haben, dass sie weniger tolerant und weniger kooperativ untereinander sind als Wölfe. Aber natürlich sind sie wesentlich kooperativer mit Menschen. Sie sind fähig, unsere sozialen Fehler zu schlucken, von uns dominiert zu werden. Die Hundwerdung ist eine Anpassung von Wölfen an uns. Man stellt insgesamt immer mehr fest, dass Hunde und Menschen zwar unterschiedlich aussehen, aber vom sozialen Grundmodell nahezu identisch sind.“


Hunde können den Menschen „lesen“

Zu diesem Denkansatz passt auch die Erkenntnis, dass Hunde sich bis zu einem gewissen Grad in Menschen hineinversetzen können. „Theory of Mind“ wird der dazugehörige Begriff aus der Psychologie bzw. der Ko-
gnitionsbiologie genannt. Dieser noch gar nicht so alte Begriff, der Mitte der 80er etabliert wurde, bezeichnet die menschliche Fähigkeit, über die Bewusstseinsvorgänge anderer Personen, sprich deren Gefühle, Bedürfnisse, Ideen, Absichten, Erwartungen oder Meinungen, nachzudenken und daraus Handlungen abzuleiten. Bei Hunden und Tieren im Allgemeinen war und ist diese Fähigkeit allerdings sehr umstritten. Eine Vorform bzw. ein Element der Theory of Mind ist die Perspektivenübernahme. Im einfachsten, wörtlichen Sinn bedeutet das die Fähigkeit, die räumliche Position eines anderen einzunehmen und daraus abzuleiten, was man von dort aus sehen kann. Ein neuer, rigoros experimenteller Ansatz von Ludwig Huber am Messerli-Forschungsinstitut der Vetmeduni Vienna liefert dafür einen stichhaltigen Beweis bei Hunden. Konkret sah das so aus, dass dabei immer zwei Personen beteiligt waren, ein „Wissender“, der Futter für den Hund unsichtbar in einer von mehreren Schalen platziert oder weiß, wo es von jemand anderem platziert wurde, und ein „Unwissender“. Der Unwissende war beim Verstecken des Futters entweder nicht im Raum oder hielt sich die Hände vors Gesicht. Eine undurchsichtige Wand versperrt den Tieren die Sicht beim Verstecken des Futters. Indem die Vierbeiner die Position des Menschen einnehmen, verstehen sie, was der Mensch sehen konnte und somit weiß. Dass der Hund überhaupt dieses Wissen hat und abrufen kann, ist für die Frage der Perspektivenübernahme – und in der Folge für die Frage der Theory of Mind beim Tier – von großer Bedeutung. 

Dass der Hund zu sozialem Lernen, also Wissensaneignung durch Beobachtung und Nachahmung, grundsätzlich fähig ist, gilt hingegen als nichts Neues. Damit wird schon seit einigen Jahren beim Hundetraining gearbeitet, mittels der sogenannten „Do as I do“-Methode etwa. Hier geht es, grob gesagt, darum, die Fähigkeiten des Hundes zur Imitation zu nutzen. Dieser Aspekt des sozialen Lernens ist dem Hund angeboren. „Es wird hier kein Befehl ausgeführt, sondern ein Konzept erlernt und vom Hund ausgeführt, natürlich in der Limitation seines Körpers“, erklärt Bayer. Nicht nur eine Herausforderung für den Hundehalter, sondern auch für den Hund, der hier denkerisch enorm gefordert wird. Aber egal, auf welche Erkenntnisse die Forschung noch stoßen wird, die Beziehung des Menschen zum Hund scheint eine unverbrüchliche und universelle zu sein und zu bleiben.