Die schwierigen fünf Prozent

Wundmanagement bei schlecht heilenden Wunden

Dr. Astrid Nagl

Die drei Phasen der Wundheilung – Hämostase und Inflammation, Proliferation und Remodellierung – kennen wir alle; bei komplizierten Wundheilungsprozessen können sie aber auch alle gleichzeitig in einer Wunde vorkommen. Wir als behandelnde Tierärzt*innen müssen erkennen, wenn die Wunde nicht normal heilt, damit wir eingreifen können. Dr. med. vet. Dipl. ECVS Claudio Venzin spricht über seine Erfahrungen in der Behandlung von großflächigen Wunden mit komplizierten Heilungs­verläufen. 

Die Behandlung von schlecht heilenden Wunden kann aufgrund der Dauer und Intensität der Therapie für die Patienten­besitzer*innen sehr frustrierend sein. Wie können wir sie zu Beginn der Therapie ins Boot holen?

Wichtig ist, die Klient*innen auf diese emotionale Achterbahnfahrt vorzubereiten. Es hilft, sich mit ihnen schon am Anfang der Behandlung hinzusetzen und ein Auf­klärungsgespräch zu führen, in dem man auf die zeitliche und finanzielle Belastung hinweist. Es kann sein, dass später auch rekonstruktive Operationen zum vollständigen Verschluss der Wunde notwendig sein werden. Die Klient*innen selbst werden viel Zeit und Geduld brauchen, bis komplexe, großflächige Wunden abgeheilt sind. 

Welche Herangehensweise ist bei groß­flächigen Wunden in der Anfangsphase ­hilfreich? Gibt es ein Standardprotokoll – oder entscheiden Sie individuell, was in einer gegebenen Situation für diese Wunde am besten ist?

Generell ist mir sehr wichtig, ein erstes gründliches Debridement und eine gute Lavage durchzuführen. Dieses Debridement kann sich über mehrere Tage erstrecken, das Ziel ist ein sauberes Wundgebiet. Nach jeder Wundbehandlung braucht es dann die richtige Wundauflage. Diese muss der Wundheilungsphase angepasst werden. Grundsätzlich wird in der Entzündungsphase eine saugende Wundauflage gewählt, mein Favorit ist Alginat oder ein Schaumstoffverband (Polyurethanschaumstoff). Mit unserem Debridement und den richtigen Wund­auflagen möchten wir die akute Wunde so schnell wie möglich in eine saubere Wunde umwandeln, sodass die Proliferationsphase beginnen kann. Jede Wunde ist verschieden und braucht unterschiedlich viel Zeit, um zu heilen; darum ist es schwierig, ein allgemeingültiges Protokoll zu haben. In der Regel gilt: Während der Entzündungsphase braucht es resorbierende Wundauflagen, welche das Exsudat resorbieren und mithelfen, die Wunde zu debridieren (autolytische Wundauflagen). Der Verbandwechsel sollte in den ersten Tagen täglich durchgeführt werden; je nach Auflagen und Sekretionsstärke. 

Bei großflächigen, stark produzierenden Wunden kann in der Anfangsphase eine VAC-Therapie (Unterdruck-Wundtherapie) angewendet werden. Welche Vorteile dieser Methode sehen Sie?

Die VAC-Therapie kann sehr viel Exsudat entfernen. Dabei wird die Bakterienzahl reduziert; und somit die Infektionsgefahr. Sie beschleunigt durch den Unterdruck die Angiogenese und die Bildung von Granulationsgewebe, das heißt, die Proliferationsphase wird schnell erreicht und die entzündliche Phase wird drastisch verkürzt; zudem wird die Wundfläche durch den Unterdruck verkleinert. Da das schnell gebildete Granulationsgewebe in den Schwamm einwachsen kann, muss der Schwamm nach zwei bis maximal drei Tagen gewechselt werden, je nach Wundeigenschaft. Der Nachteil ist das etwas kostspie­ligere Equipment – Pumpe, Schwamm, Abdeckung.

Welche Auflagen verwenden Sie in der ­Proliferationsphase?

Nach drei bis fünf Tagen sollten wir die Proliferations­phase erreicht haben – schönes Granulationsgewebe bedeckt die Wundoberfläche und die Wunde sollte nur noch wenig Exsudat produzieren. Nun muss die Wunde feucht gehalten werden, da die Epithelzellbildung keine Austrocknung erträgt. Die günstigste und eine sehr effiziente Wund­auflage ist ein Hydrogel mit nicht adhäsiver Wundabdeckung. Das Granulationsgewebe ist jetzt sehr gut durchblutet und relativ resistent gegen Infektionen. Zu diesem Zeitpunkt braucht es keine Antibiotika oder antiseptischen Lösungen. Die Wundauflagen können mehrere Tage belassen werden, bis der nächste Verbandwechsel durchgeführt werden muss. Je nach Größe der Wunde kann die Proliferationsphase mehrere Wochen dauern. Bei großen Wunden ist oft rekonstruktive Chirurgie nötig, um die Wunde in angemessener Zeit zu verschließen. 

Multiresistente Keime werden immer mehr zum Problem und sind oft auch bei schlecht heilenden Wunden ein Thema. Raten Sie zu einer Breitbandantibiose während der Wundheilungsphase?

Wie schon erwähnt braucht es bei normalen Wunden ­keine lokalen Antibiotika oder Antiseptika. Anders sieht es bei nicht heilenden Wunden aus, oder solchen, die systemische Symptome verursachen – Fieber, Blut­veränderungen et cetera: Hier sollte eine bakteriologische Untersuchung mit Antibiogramm durchgeführt werden. Bei Wunden, die systemische Symptome wie Fieber, Linksverschiebung oder phlegmatöse Ausbreitung verursachen, würde ich systemisch Antibiotika geben. Die Wunden werden debridiert und mit Antiseptika gespült (Polyhexanide o. Ä.), zudem können Honigsalben oder antibiotische Salben verwendet werden. Bei lokal begrenzten Wunden ist eine systemische Antibiose meist nicht nötig – diese führt leicht zu Resistenzbildung.