Die Lipizzaner –

ein Blick hinter die Kulissen

Bettina Kristof

Beim Thema Pferde dürfen die Lipizzaner nicht fehlen. Als Erbe der Monarchie und Touristenmagnet haben die edlen Tiere einen hohen Bekanntheitsgrad. Johannes Hamminger, Oberstallmeister der Spanischen Hofreitschule, gab uns einen Einblick in den täglichen Arbeitsablauf der Hengste. Der verantwortliche Veterinär Dr. med. vet. FTA Georg Hladik (Pferdeklinik Pegasus) verriet uns Details der tierärztlichen Betreuung.

Herr Hamminger, Sie selbst haben ja vor 40 Jahren als Eleve in der Spanischen Hofreitschule begonnen und die gesamte Ausbildung bis zum Bereiter absolviert. Seit 1989 sind Sie Oberstallmeister und haben die Verantwortung für alle Lipizzaner in der Wiener Stallburg. Wie darf man sich Ihre Tätigkeit vorstellen?
Ich bin hier in der Spanischen Hofreitschule in Wien für 72 Hengste und das gesamte Stallpersonal, das aus 20 Pflegern, fünf Eleven und zwei Lehrlingen besteht, verantwortlich. Wir arbeiten in drei Schichten: Die erste Schicht putzt und sattelt die Pferde, füttert sie morgens und mittags, bringt sie ins Solarium und zur Magnetfeldtherapie und zu den jeweiligen Bereitern. Die zweite Schicht beginnt am Nachmittag und ist für die abendliche Fütterung zuständig, die dritte Schicht ist in der Nacht anwesend. So haben wir die Pferde rund um die Uhr unter Kontrolle und können jede Auffälligkeit frühzeitig melden und die notwendigen Schritte einleiten.

Sie haben Solarium und Magnetfeldmatte erwähnt. Bekommt jeder Lipizzaner diese Anwendungen?
Die Lipizzaner werden wie Spitzensportler behandelt. Jedes Pferd hat einen individuellen Therapieplan, der gemeinsam mit dem Bereiter, unserem Tierarzt und mir erstellt wird. Vor und nach dem Training kommt jedes Pferd ins Solarium. Dann gibt es je nach Bedarf Anwendungen wie Magnetfeldmatte, Aromatherapie – die führe ich durch – oder Chiropraktik und Akupunktur, da kommt ein Therapeut zu uns in den Stall. Wichtig ist auch das Feedback der Bereiter. Diese erkennen im Training, ob ihr Pferd chiropraktisch behandelt werden muss. 

Wie sieht der Arbeitsalltag eines Lipizzaners aus?
Um sechs Uhr in der Früh wird gefüttert. Anschließend wird jeder Hengst individuell vorbereitet. Junge Pferde, die noch in Ausbildung sind, kommen zweimal täglich in die Reitbahn. Die Vorführungshengste werden gymnastiziert und anschließend locker geritten – wenn es das Wetter erlaubt, stehen Ausritte in den Burggarten auf dem Programm. All diese Maßnahmen sind wichtig, um die Pferde konditionell und mental fit zu halten. Wichtig ist auch, dass die Pferde Spaß bei der Arbeit haben. Weil es in der Stadt naturgemäß wenig Grünflächen gibt, werden unsere Hengste zusätzlich täglich in der weltgrößten Führanlage bewegt. Außerdem steht uns neben dem Burggarten und der Winterreitschule auch die Sommerreitbahn im Innenhof des Michaelertrakts zur Verfügung. 

Werden die Pferde einzeln oder in Gruppen trainiert? 
Die Pferde werden in Gruppen trainiert. Wir haben 72 Hengste, die auf zehn Gruppen und zwei Reitbahnen aufgeteilt sind. Sie trainieren täglich je nach Plan zwischen 7 Uhr und 12.40 Uhr. 

Werden die Pferde von ihrem Bereiter trainiert oder gibt es Trainer?
Jeder Bereiter hat mehrere Vorführungspferde und bildet parallel dazu seine Nachwuchspferde aus. In der Ausbildung unterstützt sich das Bereiterteam gegenseitig, aber auch ich als Oberstallmeister bin stets in Kontakt mit der Reitbahn, um die Pferde bestmöglich zu versorgen. Wir sind ein großes, gut funktionierendes Team. Wir stehen einander mit Rat und Tat zur Seite, besprechen Fehler im Team und sorgen gemeinsam für ein optimales Umfeld.

Warum werden nur Hengste eingesetzt?
Das ist zum einen Tradition, zum anderen deshalb, weil die Anwesenheit von Stuten die Konzentration der Hengste beeinflussen würde. Außerdem kommen uns das Gehabe der Hengste und deren Ausdruck in der Arbeit entgegen.

Wie viele Vorführungen absolviert ein Lipizzaner pro Woche?
Wir haben am Samstag und Sonntag Vorführungen in der Spanischen Hofreitschule und manchmal noch eine Kurzvorführung. Jeder Hengst kommt pro Woche ein- bis zweimal zum Einsatz. Alle drei Monate werden 16 bis 20 Hengste mit ihren Bereitern ins Trainingszentrum Heldenberg gebracht. Die Pferde, die noch in Ausbildung sind, werden dort trainiert, die Vorführungshengste haben Pause und dürfen die Zeit mit leichtem Training, kondi-tionserhaltenden Ausritten im Gelände oder auf den Wiesenkoppeln verbringen. Im Sommer haben alle Hengste sechs Wochen Urlaub im Trainingszentrum.

Wie viele Pferde sind bei Vorführungen im Einsatz?
Pro Vorführung werden 24 bis 26 Pferde in verschiedenen Programmpunkten gezeigt. Insgesamt haben wir in Wien circa 50 Schulhengste, die entsprechend ihren Begabungen ausgebildet sind. Inklusive der in Ausbildung befindlichen Hengste haben wir 72 Pferde in Wien und 42 weitere in Heldenberg.

Kommt es durch die schwierigen Lektionen zu mehr Verletzungen?
Nein! Unsere Hengste wachsen unter optimalen Bedingungen auf den steirischen Hochalmen und im Gestüt auf, wo sie bereits in jungen Jahren Muskeln aufbauen und den Bewegungsapparat stärken. Unser Ausbildungsgrundsatz lautet: „Das Pferd bestimmt das Tempo der Ausbildung.“ Diesem entsprechend haben unsere Hengste Zeit, sich zu entwickeln. Die professionellen Bereiter fördern die Pferde mit viel Fachwissen und Feingefühl.

Bekommen Lipizzaner ein besonderes Futter?
Ja, es gibt ein spezielles Futterprogramm für die Hengste, das aus einem Sportmüsli, einem Alpengrünmüsli mit Alpenkräutern, leicht verdaulichen Pellets und Hafer besteht. Jeder Hengst hat seinen persönlichen Futterplan, der vom Tierarzt gemeinsam mit dem Bereiter und mir erstellt wird. Die Pferde werden regelmäßig abgewogen und bekommen bei Übergewicht einen Diätplan verordnet. Pferde, die zu mollig aus der Sommerpause zurückkommen, müssen abspecken.

Wie viele Lipizzaner fahren auf Tournee? 
27 bis 32 Hengste fahren auf Tournee, also ungefähr die halbe Mannschaft, weil wir ja auch zeitgleich in Wien Vorführungen haben. Die Tourneen finden einmal pro Jahr statt, meist in Europa, 2005 waren wir aber auch für sechs Wochen in den USA. Damals sind wir mit einem Passagierflugzeug nach New York geflogen. Die Pferde waren nur durch eine Tür vom Passagierraum getrennt, ich konnte sie also immer wieder besuchen. Wenn wir in Europa bleiben, fahren die Lipizzaner in einem Spezial-transporter. Diese Wagen sind besonders weich gefedert, die Pferde rollen ganz sanft dahin. Jeder Transporter fasst sechs Stellplätze. Die Pferde werden darin so wie im Stall nach Rangordnung untergebracht.

Bereiten Sie auch die Unterbringung der Hengste auf Tournee vor?
Ja, das ist sogar ganz wesentlich. Wir planen die Unterbringung zwar von Wien aus, sind aber im Vorfeld auch vor Ort, um perfekte Rahmenbedingungen zu gewährleisten. Auch die Reitplätze müssen ideale Bodenverhältnisse haben. Oft werden große Hallen zu Stallungen umgebaut. Wir haben einen genauen Lageplan für die Unterbringung der Hengste – alles muss passen, vom Futter über die Namensschilder bis hin zur Einstreu in den Boxen. Die Pferde müssen optimale Bedingungen vorfinden, um entspannt an ihre Arbeit gehen zu können und gesund zurückzukommen. Wir haben inzwischen sehr viel Erfahrung und sind ein bestens eingespieltes Team.

Teamarbeit ist wohl ein wichtiges Thema?
Auf jeden Fall. Jedes Pferd hat seinen Pfleger, dem der jeweilige Reiter voll vertrauen kann. Wir sind tatsächlich ein gutes Team, in dem sich jeder auf den anderen verlassen kann. Bei uns läuft alles in Ruhe und mit Feingefühl ab. Diese Harmonie überträgt sich auch auf die Tiere. Vor der Vorführung ist es bei uns ganz ruhig. Es gibt einen genauen Zeitplan, jeder weiß, was er zu tun hat. So können die Hengste in entspannter Konzentration ihre Aufgaben bewältigen. 

Wie lange sind Lipizzaner arbeitsfähig?
Die Hengste sind mit zehn Jahren fertig ausgebildet und nehmen im Optimalfall bis zu einem Alter von 25 Jahren an den Vorführungen teil. Danach dürfen sie ihre Pension am Heldenberg oder in Piber genießen. Unser ältester Pensionist, N. Nima I, ist mittlerweile 38 Jahre alt und ein echter Star bei Gestütspräsentationen.

Wie viele Tierärzte betreuen die Lipizzaner?
Wir arbeiten sehr eng mit der Pferdeklinik Pegasus zusammen. Dr. Georg Hladik und sein Team betreuen unsere Pferde seit vielen Jahren. Für chiropraktische Anwendungen und Akupunkturbehandlungen ist Dr. Gernot Gaggl unser Vertrauenstierarzt.

Herr Dr. Hladik, Sie betreuen die edlen Pferde seit 2004. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Als die tierärztliche Betreuung der Lipizzaner neu vergeben wurde, habe ich an der offiziellen Ausschreibung teilgenommen und den Zuschlag erhalten. Der Wechsel erfolgte wahrscheinlich deshalb, weil sich die Spanische Hofreitschule eine individuelle Betreuung der -Lipizzaner gewünscht hat. Das kann ich mit meiner Pferdeklinik anbieten. Jedes Pferd wird vom Beginn bis zum Ende einer Erkrankung von einer Ansprechperson behandelt.

Wie kann man sich die Betreuung vorstellen?
Ich bin zweimal in der Woche in Wien und einmal wöchentlich im Trainingszentrum Heldenberg und betreue sämtliche Hengste. Die Zusammenarbeit ist sehr angenehm, denn ich habe dort mit Profis zu tun, die etwas von Pferden verstehen. Es ist eine schöne Aufgabe, denn die Lipizzaner bekommen jede Behandlung, die sinnvoll ist und zu ihrem Wohl beiträgt.