Die Kuh, das Feuer und die Brille

Ein Interview mit Dr. Florian Diel

Tierärztin Tanja Warter

Feuer im Stall ist der Albtraum für jede Landwirtin und jeden Landwirt. Einer Umfrage zufolge bleibt für die Evakuierung der Tiere oft nur eine halbe Stunde Zeit, manchmal sind es gar nur 15 Minuten. Florian Diel ist praktizierender Tierarzt und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der deutschen Hochschule Weihenstephan-Triesdorf im Team von Prof. Dr. Dr. Eva Zeiler. In seiner Dissertation beschäftigte er sich mit Evakuierungsstrategien von Rinderherden im Falle eines Stallbrandes unter Berücksichtigung der ethologischen und sinnesphysiologischen Bedürfnisse der Tiere.

Wenn es brennt, müssen Tiere schnell in Sicherheit gebracht werden; da bleibt keine Zeit für gutes Zureden. Sie haben sich dem Thema aus dem Blickwinkel der Tiere genähert...

Ja – Rinder haben Angst vor dem Unbekannten. Wenn es keine Gewöhnungszeit gibt, geraten sie leicht in Stress. Wir haben für das Tierrettungsthema mit vergleichenden Fragestellungen begonnen und geschaut: Wo in der Praxis besteht bereits der Bedarf, Tiere in einer unbekannten Situation zügig und stressfrei zu treiben? Wir landeten schnell bei Temple Grandin (Anm. der Red.: amerikanische Expertin auf dem Gebiet der Verhaltensbiologie der Nutztiere) und den Schlachthöfen, die sie in einer Weise konzipiert hat, dass die Rinder möglichst angstfrei durch die Gänge gehen. Die Umstände sind ähnlich: gestresste Tiere, fremde Umgebung, laute Geräusche.

Aber ein Landwirt kann für den Brandfall ja keinen Fluchttunnel hinaus ins Freie errichten...

Stimmt. Temple Grandin hatte den Vorteil, dass sie sich auf das Ereignis, die Anlieferung der Tiere, vorbereiten konnte. Sie ließ im Vorfeld entsprechende Treibanlagen mit Sichtschutz und mit abgerundeten Treibgängen bauen. Das alles ist für einen landwirtschaftlichen Betrieb natürlich nicht umsetzbar. Aber Temple Grandin nahm auch die Begleitumstände ins Visier, und dazu zählt die Sinnesphysiologie der Tiere. Wodurch werden sie abgelenkt? Was führt dazu, dass Tiere plötzlich innehalten und nicht weiterlaufen wollen? Diese Fragen sind auch im Evakuierungsfall hochrelevant. Ganz entscheidend ist die Hell-dunkel-Adaption der Augen beim Rind.

Warum? Was ist das Problem dabei?

Rinder brauchen wesentlich länger, um sich auf veränderte Lichtverhältnisse einzustellen – bis zu fünf Mal länger als wir Menschen. Werden die Tiere geblendet oder ist es vor ihnen dunkel, gehen sie keinen Meter weiter und verharren auch im Brandfall im Stall.

Gerade schlimme Brände passieren aber nachts, also in der Dunkelheit. 

Ja; weil das Feuer später entdeckt wird als tagsüber, kommt es nachts eher zum Vollbrand. Dann rückt die Feuerwehr mit Blaulicht, Sirenen und Strahlern an und zuerst wird das Brandobjekt ausgeleuchtet. Dies dient der Arbeitssicherheit und hilft, einen Überblick zu bekommen. Dabei kann es zum Beispiel schnell passieren, dass die Rinder den Strahlern entgegengetrieben werden und die Tiere massiv geblendet werden. Auch dann bleiben sie wie im Fall der Dunkelheit stehen oder kehren um. Man muss das aus der Perspektive der Tiere sehen: Sie können die Austriebsfläche gar nicht wahrnehmen. Dies in Kombination mit lauten Geräuschen und fremden Eindrücken – da ist es nicht verwunderlich, wenn sich das Tier sagt: Ich bleibe lieber hier drinnen, wo ich mich auskenne und mich eigentlich sicher fühle!

Und die Retter wundern sich...

Klar. Wenn man sich keine Gedanken darüber macht, denkt man: Du dummes Vieh, hier brennt alles ab, wa­rum läufst du nicht auf die Weide und bist in wenigen Metern in Sicherheit? Aber für das Tier ist das keine Option. Es kann diese Möglichkeit gar nicht erkennen. Das verstehen wir dank neuer Technologie viel besser, denn das gesammelte Wissen konnte inzwischen in eine VR-Brille umgesetzt werden: Mit der Echemer Kuhbrille kann man als Mensch die Welt mit den Augen einer Kuh anschauen. Gerade beim Überzeugen von dritten Personen ist die VR-Brille fantastisch, weil man jeden Landwirt oder auch Feuerwehrleute erleben lassen kann, was die Kuh sieht und was nicht.

Sie sind also ein Fan dieser Brille?

Kann man sagen. Es werden Dinge offensichtlich, die einem sonst gar nicht auffallen würden. Das ist nicht nur für den Brandfall relevant, sondern sogar für die tag­tägliche Arbeit – man denke nur ans Treiben zum Klauen­pflegestand oder an das Verladen von Mastrindern. Es gibt so viele Tätigkeiten, von denen man weiß, dass sie unangenehm für das Tier sind, die aber erledigt werden müssen. Die Brille kann Schwachstellen aufdecken, die sich mit einfachen Anpassungen verbessern ließen.

Welche Maßnahmen empfehlen Sie Landwirten vor diesem Hintergrund zum Schutz der Tiere im Brandfall?

Zuerst möchte ich Mut machen, sich überhaupt mit dem Thema zu beschäftigen. Viele Menschen denken bei Brandschutz zuerst, dass jemand kommt, alles kontrolliert und Auflagen macht. Das ist aber unbegründet. Es soll tatsächlich darum gehen, sich beispielsweise mit der Familie zusammenzusetzen und zu besprechen: Wenn etwas wäre, was machen wir dann? Wie bringen wir die Tiere zum Beispiel raus? Dann fällt beim Überlegen schnell auf, wo ungünstige Ecken sind, um die man die Tiere schlecht treiben kann; oder wo ein elektrisches Rolltor ist, das im Brandfall ausfällt – man kann checken, ob sich das auch manuell öffnen lassen würde. Oder man bemerkt, dass das Gitter für den Gülleabwurf auf der Strecke liegt; die Tiere würden es nicht überqueren. Also bereitet man eine Holzplatte zum Abdecken vor, die für den Fall des Falles einfach daneben an der Wand lehnt. Und wohin dann mit den Tieren? Vielleicht ist die Maschinenhalle die Lösung, aus der man schnell den Traktor rausfährt. Es kommen beim Besprechen in jedem Betrieb richtig gute Ideen zusammen, die man festhalten kann.

Man könnte sich zusätzlich mit der lokalen Feuerwehr absprechen. Wäre das gut?

Definitiv. Die örtlichen Feuerwehren sind sogar froh, wenn Kontakt gesucht wird oder wenn sie zu einer Betriebs­besichtigung geladen werden. Das hat nichts mit einer Kontrolle zu tun; da wird nichts beanstandet. Der Kommandant hat ein eigenes intrinsisches Interesse, dass ­seine Mannschaft auf einen Einsatz vorbereitet ist. Man kann unter anderem klären, wohin die Tiere kommen sollen, und besprechen, dass dort keine Löschfahr­zeuge ­stehen sollten; vor allem aber, dass diese Fläche im Ernstfall sofort gut ausgeleuchtet werden muss, damit die Rinder zügig dorthin gehen. Im Brandfall ist jede Sekunde wertvoll. Und diese Maßnahmen kosten keinen Cent.

Vielen Dank für das Gespräch!

Tipp!

Die Virtuelle Hochschule Bayern bietet kostenfrei den Kurs „Auf Du mit der Kuh: Sinnesphysiologie und Ethologie verstehen, Verhalten deuten und lenken“ an; nur eine Registrierung ist erforderlich. Dort sind auch Videos, aufgenommen mit der Echemer Kuhbrille, zu sehen. Homepage: www.open.vhb.org