Die Digitalisierung in der Medizin –

Ein kluger Helfer?

Mag. Silvia Stefan-Gromen

Computergestützte Diagnosen sollen künftig nicht nur Kosten sparen, sondern auch neue Möglichkeiten eröffnen: Die Fehleranfälligkeit von Befunden und Behandlungen könnte damit trotz steigender Komplexität reduziert werden.

Gleich ob Human- oder Veterinärmedizin – in den letzten Jahrzehnten haben sich die Rahmenbedingungen grundlegend gewandelt: Der Computer hat in Praxen und Kliniken Einzug gehalten. Röntgen- und Ultraschall­bilder werden mittlerweile digital aufgenommen. MR- und CT-Scanner liefern heute dreidimensionale Bilder und Filme aus dem Körperinneren. 

Zu den Triebfedern in diesem Bereich zählt das Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin MEVIS in Bremen, das im Humanbereich eine Vielzahl innovativer Software-Verfahren entwickelt hat. Vor rund 22 Jahren gegründet, zählt es heute zu den weltweit führenden Instituten für die Computerunterstützung in der bildbasierten Medizin.

Mitte der Neunzigerjahre steckte die Digitalisierung medizinischer Bilddaten noch in den Kinderschuhen: Röntgenbilder wurden in der Regel auf Filmen aufgenommen und von Medizinern auf Leuchtschirmen betrachtet. Gelagert wurden die Aufnahmen in Archivschränken, und um sie zu verschicken, musste man Kuriere oder die Post bemühen. Bildgebende Verfahren wie MRT und CT, die 3D-Aufnahmen aus dem Körperinneren ermöglichen, gab es im Wesentlichen nur in großen Zentren.

Heute dagegen ist die Digitalisierung in der Medizin weitgehend etabliert. Röntgenbilder werden digital aufgenommen, gespeichert und via Internet verschickt. Ärzte stellen ihre Untersuchungsresultate an Bildschirmen fest, können in Aufnahmen hineinzoomen und sich von Software-Tools unterstützen lassen, etwa beim Ausmessen von Tumoren. Und MR- und CT-Scanner zählen mittlerweile zu den Standardwerkzeugen in der Medizin. Sie liefern nicht nur gestochen scharfe Standbilder, sondern komplette Sequenzen dynamischer Funktionsabläufe aus dem Körper.

Computersysteme, die heute im klinischen Alltag unverzichtbar sind, wurden von Fraunhofer MEVIS mitentwickelt: „Bei der Digitalisierung der Befundungsabläufe waren die Bremer Arbeiten wegbereitend“, sagt Horst Hahn, einer der beiden Institutsleiter. „Ein Problem ist, dass Ergebnisse aus der Forschung oft ungenutzt bleiben“, betont Hahn. „Wir bringen die Forschung in die Anwendung und setzen dort an, wo wir weltweit noch immense Hürden sehen.“ 

Unter anderem haben die Fachleute optimierte modulare Softwaresysteme sowie ein Netzwerk von klinischen Partnern aufgebaut, mit denen sie in der Lage sind, Neuentwicklungen zu erproben und in die Praxis umzusetzen. Diese Vernetzung mit Universitätskliniken geht so weit, dass das Institut in Bremen mittlerweile große Forschungsvorhaben koordiniert. So arbeitete ein Konsortium aus zehn Partnern beim BMBF-geförderten Projekt SPARTA daran, die Strahlentherapie bei Tumorerkrankungen zielgerichteter und schonender zu machen. Eine ausgefeilte Software soll helfen, die Bestrahlungen während der mehrwöchigen Behandlung besser an den jeweiligen Zustand der Krebspatienten anzupassen.

Software-Innovation in Vorbereitung

Derzeit arbeitet das Institut unter anderem an Projekten, die sich mit maschinellem Lernen und automatischer Mustererkennung befassen. Ein Beispiel dafür ist eine Software, die Pathologen bei der Diagnose von Gewebeproben unterstützt. In Gigabyte-großen Bildern ermittelt der Rechner automatisch quantitative Gewebeparameter und markiert Regionen, die für die Diagnose relevant sind. Dadurch sparen die Mediziner Zeit und können sich auf das Betrachten der aussagekräftigen Bilder konzentrieren. „Wir wollen Mediziner und Computer so zusammenbringen, dass ihre jeweiligen Stärken optimal genutzt werden“, betont Co-Institutsleiter Ron Kikinis.

Für den schnelleren Transfer in die Praxis entwickelt Fraunhofer MEVIS webbasierte Softwaretools für Diagnostik, Therapie und klinische Studien – etwa für die Nationale Kohorte (NAKO), die bislang umfassendste Gesundheitsstudie Deutschlands. Hierfür haben die Bremer Experten eine browserbasierte Software entwickelt, die für eine schnelle Verfügbarkeit und Qualitätssicherung von 30.000 MRT-Aufnahmen sorgt – eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der Studie.

Treffsichere Diagnosen

„Künftig soll die Computerunterstützung nicht nur Kosten sparen und neue Möglichkeiten eröffnen, sondern auch die Fehleranfälligkeit medizinischer Diagnosen und Behandlungen trotz steigender Komplexität reduzieren“, sagt Horst Hahn und erklärt weiter: „Die von uns entwickelten Programme erleichtern die Datenanalyse und kitzeln verborgene Informationen aus den Bildern heraus. Damit unterstützen sie den Arzt bei der Diagnose. Die Befundung wird treffsicherer und verlässlicher. Außerdem kann das automatische Wiederfinden bereits bekannter Befunde, etwa bei der Therapie-Nachsorge, die Abläufe beschleunigen und damit kostengünstiger machen.“ Da mittlerweile auch andere wichtige Informationen über den Krankheitsverlauf in der Mehrzahl der Fälle digital vorliegen, ließen sich künftig, so Hahn, ganze Patientengruppen detailliert miteinander vergleichen. Das versetze die Ärzte in die Lage, für jeden Einzelfall die optimale Therapie auszuwählen. 

„Die Medizin wird gravierende Umwälzungen durchlaufen, für die die Digitalisierung lediglich ein Vorbote war“, so Hahn. Gerade die Methoden der bildgestützten Therapie besäßen enormes Potenzial. Besonders relevant sind sie für schonende, minimalinvasive Eingriffe. 

Anders als bei einer OP an der offenen Wunde können die Ärzte hier das Geschehen nicht direkt einsehen, sondern sind auf die Unterstützung bildgebender Verfahren angewiesen. Eine weitere Forschungsrichtung betrifft die Übertragung von Planungsdaten in den OP-Saal. Bereits heute werden Eingriffe oft mit Computerhilfe geplant und vorbereitet. 

Das Beste wäre, die Planungsergebnisse den Chi-rurgen direkt am OP-Tisch zugänglich zu machen – was bislang nur eingeschränkt möglich ist. Hier arbeitet die Forschungseinrichtung an mobilen Lösungen, etwa einer Software für Tablet-Computer, die Leberchirurgen während des Eingriffs anzeigt, wo die Blutgefäße des Organs verlaufen und wo am günstigsten das Skalpell anzusetzen ist. Eine ähnliche Tablet-Software soll Chirurgen künftig bei Brustkrebseingriffen unterstützen.

„All diese Verfahren sollen die Mediziner nicht etwa ersetzen, sondern sie unterstützen“, betont Horst Hahn. „Die Entscheidungen trifft nach wie vor der Arzt, doch der Rechner kann dabei helfen, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und nichts Wesentliches zu übersehen.“