Deutschland:

Verbot des Küken-Tötens ab 2022 beschlossen

Mag. Silvia Stefan-Gromen

In unserem Nachbarland werden in der Legehennenhaltung jährlich mehr als 40 Millionen männliche Küken kurz nach dem Schlüpfen getötet. Das ist nun ab 1. Jänner 2022 per Gesetz untersagt – damit geht Deutschland weltweit einen einzigartigen Weg, denn es ist das erste Land, das diese Praxis verbietet.

Der Deutsche Bundestag hat am 20. Mai 2021 das Gesetz zum Verbot des Kükentötens verabschiedet. Die Gesetzesänderung erfolgte nach einer Entscheidung des Bundes­verwaltungsgerichts, das bereits 2019 beschlossen hatte, dass das Schreddern der Küken verboten werden muss.

Doch nicht alle scheinen mit der aktuell verabschiedeten Regelung einverstanden zu sein, denn bereits im Vorfeld äußerten sich Sachverständige gegenüber dem Gesetzesentwurf kritisch: Beanstandet wurde das ab 2024 geplante Verbot von Eingriffen am Hühnerei sowie der Abbruch des Brutvorgangs ab dem siebenten Bebrütungstag. Es würde an praxistauglichen technischen Lösungen fehlen, die eine Geschlechtsbestimmung vor dem siebten Bebrütungstag ermöglichen.

Der Vizepräsident des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V., Henner Schönecke, forderte zudem eine EU-weite Regelung und warnte davor, dass ein nationales Verbot des Kükentötens kleine Brütereien benachteiligen würde und große internationale Betriebe ihr Brutgeschäft ins Ausland verlagern könnten. Weiteres äußerten Geflügelbetriebe Kritik an den fehlenden rechtlichen Vorgaben für die Bruderhahnaufzucht sowie auch den erforderlichen Stallkapazitäten für die erwartbar große Anzahl an Bruderhähnen bei Inkrafttreten des Gesetzes.

Der Deutsche Tierschutzbund wies zudem darauf hin, dass nach wie vor Ausnahmen beim Kükentöten erlaubt seien – zum Beispiel dann, wenn die getöteten Küken an andere Tiere wie etwa Wildvögel verfüttert werden sollen. Die Befürchtung läge daher nahe, dass das Verbot auf diese Weise unterlaufen werden könnte.

Lage in Österreich: Hierzulande dürfen Küken geschreddert werden. Seitens der Geflügelwirtschaft heißt es jedoch, dass dies de facto in der Praxis nicht gemacht werde. Insgesamt werden für den österreichischen Markt ca. sechs Mio. männliche Legeküken pro Jahr, so heißt es, mit CO2 getötet. Die Argumente, mit denen das Verfahren begründet wird, lauten wie folgt:

• Männliche Küken eignen sich nicht für die Eierproduktion.

• Hähne sind als Masttiere ungeeignet. Sie setzen nur wenig Fleisch an und sind für die Betriebe nicht ertragreich.

• Hahnenfleisch wird in Österreich kaum verzehrt.

Die österreichische Regierung stimmte 2020 gegen das Verbot des Kükentötens. Auf Antrag der SPÖ wurde im Parlament über das Verbot abgestimmt, Grüne und ÖVP haben jedoch nicht zugestimmt und daher wurde der ­Antrag abgelehnt.

Deutschland als Vorreiter

Das Keulen von eintägigen männlichen Küken ist ethisch umstritten, daher setzt Deutschland als weltweit erstes Land durch, dass diese Praxis verboten wird. Und welche Lösung wird es nun in Hinkunft geben?

Deutschland setzt auf eine Technik, die das Geschlecht im noch nicht ausgebrüteten Ei erkennbar macht. Männliche Küken werden so gar nicht erst ausgebrütet, die Tötung entfällt. Derzeit stehen folgende Alternativen für die kommerzielle Produktion zur Verfügung, bei denen eintägige Hähne nicht getötet werden müssen:

• Aufzucht beider Geschlechter: Dabei werden auch männliche Küken aufgezogen.

• Zweinutzungsrassen: Auch die Haltung von Zweinutzungsrassen ist eine Alternative zum grausamen Küken­töten. Dabei werden männliche Hühner gemästet, während ihre Schwestern primär für die Eierproduktion zuständig sind.

• Das endokrinologische Verfahren („Seleggt-Verfahren“): Die Eier werden über einen Zeitraum von ca. neun Tagen bebrütet. Am neunten Bruttag lässt sich das Geschlecht der Embryos unterscheiden. „Männ­liche Eier“ werden aussortiert und zerstört. Seit 2020 sind die ersten Eier von Legehennen, deren Brüder vor dem Schlüpfen mit dem Seleggt-Verfahren aussortiert wurden, in ausgewählten deutschen und österreichischen Supermärkten erhältlich. Die Packungen tragen Kennzeichnungen wie „respeggt“ oder „ohne Kükentöten“.

• Spektroskopisches Verfahren: Die Eier werden ca. vier Tage lang bebrütet. Danach wird ein Lichtstrahl in das Ei geleitet – durch die Analyse des reflektierten Lichts können Forscher bestimmen, ob es sich um einen weiblichen oder einen männlichen Embryo handelt.

Dr. Janja Sirovnik vom Institut für Tierschutzwissenschaften und Tierhaltung der Vetmeduni Vienna beurteilt die einzelnen Verfahren aus Sicht der Forschung folgendermaßen:

„Die Aufzucht von Zwei­nutzungsrassen würde die Erwartungen der Gesellschaft am besten erfüllen. Dabei haben jedoch die Hühner einen geringeren Fleischertrag bei längerer Mastdauer. Außerdem legen sie weniger Eier pro Jahr. Die Konsequenzen wären ein erheblicher Preisanstieg bei Eiern und Fleisch. Auch der größere Bedarf an Ressourcen- und Raumnutzung stellt die Geflügel­industrie vor Probleme, denn man würde mehr Tiere zur Deckung des Bedarfs benötigen.“

Die Alternative wäre, bei Hybridhühnern beide Geschlechter aufzuziehen. „Die Körpergewichts­zunahme männlicher Hybride ist ­allerdings sehr gering, sie haben normalerweise im Alter von zehn Wochen etwa ein Kilo Lebendgewicht. Eine längere Aufzucht ergibt aufgrund der Nachhaltigkeit keinen Sinn, da sich bei den Tieren die Futterverwertung nach der zehnten Woche erheblich verschlechtert. Das tägliche Körpergewicht stagniert, wobei gleichzeitig die Futteraufnahme zunimmt“, erklärt Sirovnik.

Wenn man sich österreichische Bio-Betriebe ansehe, so Sirovnik, setzen diese Legehennenbrüder für die Fleischproduktion ein, wobei die Einnahmen aus dem Verkauf der Eier die Fleischproduktion subventionieren müssten. Der klare Vorteil dieses Verfahrens gegenüber der Zweinutzungsrassen bestehe darin, dass dieses die etablierte Eierproduktion nicht beeinträchtigt. Allerdings hat die Aufzucht von Legehennenbrüdern aufgrund des hohen Futterbedarfs und der geringen Fleischproduktion erhebliche Nachteile hinsichtlich der Ressourceneffizienz – hier wiederum wäre das Verfahren der In-Ovo-Geschlechtsbestimmung zielführender.
„Eine Reihe von Labors auf der ganzen Welt sucht nach innovativen nicht invasiven Methoden, um das Geschlecht von Hühnern in den frühen Stadien der Entwicklung vor dem Schlüpfen zu bestimmen. Das würde die Eliminierung männlicher Embryonen vor der Entwicklung der Schmerzempfindlichkeit ermöglichen. Die Forscher sind sich aktuell einig, dass Hühner bis zum siebenten Embryo­naltag keine Schmerzen verspüren können und dass sie nach dem 15. Tag der Embryonalentwicklung vollständig schmerzempfindlich sind“, so Sirovnik. Der Schmerz würde sich höchstwahrscheinlich schrittweise ab Tag sieben entwickeln. Vor diesem Hintergrund müsste man künftig auf eine Methode setzen, die in der Lage ist, das Geschlecht vor dem siebenten Embryonaltag zuverlässig zu bestimmen.

Auf dem europäischen Markt würden derzeit nur zwei Unternehmen Küken anbieten, die mittels der ­Methode der In-Ovo-Geschlechtsbestimmung geschlüpft sind:
Das Unternehmen Seleggt (www.seleggt.de), das den beschriebenen endokrinologischen Ansatz verfolgt, und das Unternehmen AAT (www.agri-at.com), das das Geschlecht von braunen Schichten nach dem 13. Schlupftag mit einer hyperspektralen Analyse der Federfarbe bestimmen kann.

Eine weitere von AAT bereits intensiv erforschte und getestete Methode sei die Raman-Messung, die Embryonen zwischen dem dritten und fünften Tag sexen könne. Dies sei, so Sirovnik, ein sehr anspruchsvolles Verfahren, das wegen der hohen Fehlerquote noch nicht über den Labormaßstab hinaus skaliert werden konnte.

Eine Methode zum Sortieren von Embryonen vor dem Einbringen in den Inkubator sei derzeit noch nicht verfügbar. Australische und israelische Forscher würden an der Entwicklung genmanipulierter Hühner arbeiten, die bereits vor der Inkubation der Eier eine Geschlechtsbestimmung ermöglichen würden.

„Es ist jedoch fraglich, ob Eier von gentechnisch veränderten Hühnern in der EU für den menschlichen Verzehr zugelassen werden“, betont Sirovnik. Es gäbe auch andere Versuche, das Geschlecht von Embryonen zu bestimmen, aber diese Techniken würden sich noch in einem frühen Stadium (siehe auch Abb. 1) befinden.

„Insbesondere im Hinblick auf die Nachhaltigkeit, ist die In-Ovo-Geschlechtsbestimmung die zu favorisierende Methode, vor allem auch, um den Ausstieg aus der Keulung von Küken schnell vorzuantreiben“, so Sirovnik. Derzeit würden Embryo-Geschlechtsbestimmungsverfahren eine relativ hohe Fehlerrate aufweisen (drei bis fünf Prozent); demnach würde es immer noch männliche Küken geben, die aufgezogen werden müssten. Weitere Forschungsarbeiten seien erforderlich, um Verfahren zur Geschlechtsbestimmung in einem frühen Stadium (vor dem siebenten Entwicklungstag) und mit hoher Genauigkeit zu entwickeln. „Wir haben derzeit leider noch keine prakti­kable Lösung für den Aufbau einer Lieferkette ohne Keulung männlicher Küken“, stellt Sirovnik fest.

DI Michael Wurzer, Geschäftsführer der Zentralen Arbeitsgemeinschaft der Österreichischen Geflügelwirtschaft (ZAG):

„Die Zentrale Arbeitsgemeinschaft der Österreichischen Geflügelwirtschaft (ZAG) hat das Ziel, möglichst rasch gesellschaftlich akzeptierte Alternativen zur gängigen Praxis, der Tötung der männlichen Legeküken, umzusetzen und damit aktiv an der Lösung dieses tierethischen Problems mitzuwirken. Die Umsetzung zur Erreichung des genannten Ziels soll in Stufen erfolgen. Seitens der Geflügelwirtschaft soll bis Herbst 2021 in enger Abstimmung mit dem Sozialministerium, dem Landwirtschaftsministerium und der Landwirtschaftskammer eine verbindliche Branchenvereinbarung ausgearbeitet und schriftlich vorgelegt werden. Dazu wird eine Arbeitsgruppe mit den wesentlichen Stakeholdern gebildet, die den Prozess begleiten. Wichtig ist, dass die Maßnahmen unter Beachtung der möglichen Auswirkungen auf den heimischen Eiermarkt getroffen werden, deshalb wird auch eine verbindliche Branchenvereinbarung mit einem konkreten Maßnahmenplan einem einfachen gesetzlichen Verbot der Tötung der Küken vorgezogen.“

Welche Alternativen gibt es in Österreich?

1.) Aufzucht der männlichen Legeküken
Österreich war das erste Land weltweit, das im gesamten Biosegment die Aufzucht der männlichen Legeküken durchgängig umgesetzt hat. Auch der weitere Ausbau der Aufzucht der männlichen Legeküken wird in den oberen Qualitätssegmenten, v. a. der Freilandhaltung, seitens der Branche angedacht.

2.) Früherkennung des Geschlechts im Brutei
In der Arbeitsgruppe werden die am Markt zur Verfügung stehenden Methoden bewertet. Berücksichtigt dabei wird die großtechnische Praxistauglichkeit, aber auch der Zeitpunkt der Bestimmung des Geschlechts im Brutei. Da ab dem siebenten Tag der Bebrütung möglicherweise ein Schmerzempfinden des Embryos einsetzt und die am Markt verfügbaren Verfahren erst später ansetzen, muss geklärt werden, ob die verfügbaren Methoden als Brückenlösung angewendet werden sollen. Die Raman­spektroskopie (Geschlechtserkennung im Brutei ab Tag 4 der Bebrütung) ist als Verfahren noch nicht praxisreif.

3.) Anerkennung von Futterküken, die von Zoos nachweislich benötigt werden
Österreichische Zoos und Greifvogelstationen haben ein großes berechtigtes Interesse, dass Küken weiterhin als Futtertiere zur Verfügung stehen. Andernfalls müssten Küken aus anderen Ländern zugekauft werden oder andere Futtertiere gezüchtet werden. Die ZAG erhebt den tatsächlichen Bedarf an Futterküken in österreichischen Zoos und wird die Behörde dazu transparent informieren. Im Bereich der besonders preissensiblen Bodenhaltung sollen tatsächlich benötigte Futterküken anerkannt werden.

Weitere Schritte?

Obige Lösungswege werden im Rahmen der Arbeitsgruppe analysiert und hinsichtlich tierethischer, umweltrelevanter (CO2-Fußabdruck) und wirtschaftlicher Kriterien bewertet. Je nachdem, welche alternativen Methoden in welchem Umfang zum Einsatz kommen, kann eine Systemumstellung schneller oder langsamer erfolgen. Realistisch und sinnvoll erscheint in der Praxis ein Mix dieser Maßnahmen. Der Stufenplan wird im Rahmen der Branchenvereinbarung festgehalten. Die Umsetzung der Maßnahmen kann über die PHD-Datenbank des österreichischen Geflügelgesundheitsdienstes QGV dokumentiert und kontrolliert werden. Die österreichische Geflügelwirtschaft informiert in regelmäßigen Abständen über die Fortschritte.

Um negative wirtschaftliche Auswirkungen so gering wie möglich zu halten, bekennen sich die Behördenvertreter zur Verbesserung der Rahmenbedingungen bei der Vermarktung von Eiern, insbesondere hinsichtlich verbesserter und verbindlicher Kennzeichnung von Eiprodukten hinsichtlich Herkunft und Haltungsform, sowie zum Einkauf von österreichischen Eiern und Eiprodukten in den öffentlichen Einrichtungen der Gemeinschafts­verpflegung von Bund und Ländern. Die öffentliche Kommunikation erfolgt akkordiert über die neu gebildete Arbeitsgruppe mit Vertretern der beiden Ministerien gemeinsam und in guter gemeinsamer Vorabstimmung.