Der Stellreflex der Katze

Anatomische Überlegungen

Horst Erich König1, Eva Polsterer2, Ismail Hakki Nur3 und William Perez4

Einleitung und Literatur

Über die Drehung der Katze im freien Fall aus größerer Höhe, den Stellreflex, ist schon viel geschrieben worden (https://en.wikipedia.org/wiki/Cat_righting_reflex) – restlos ist der Vorgang aber immer noch nicht geklärt. Sicherlich spielt das Gleichgewichtsorgan im Innenohr eine wichtige Rolle (Hartmann, 1992), auch die ­Schnurrhaare am Kopf und die Vibrissen in Höhe des Karpalgelenks könnten dabei eine Bedeutung haben (König und Perez, 2022). Vermutet wird, dass die für die Katze spezifischen Mechanorezeptoren in der Bauchhöhle in Verbindung mit den aufsteigenden Bahnen im Rückenmark, die auch das Kleinhirn informieren, damit in Verbindung stehen (König, 2020, König und Perez, 2022, Owaki et. al., 2014 und Stoffel 2010). Auch ähnliche Mechanorezeptoren im Fett- und Bindegewebe an der Schwanzbasis könnten damit zu tun haben. Neuere mathematisch-physikalische Untersuchungen klären den Vorgang, ohne allerdings auf anatomische Voraussetzungen einzugehen (Bischoff, 2023, Challis, 2022).

Eigene Überlegungen

Der Stellreflex der Katze ist angeboren. Er entwickelt sich zwischen dem dritten und fünften Lebensmonat.
Im Kopfbereich von Katzen befinden sich Schnurrhaare, die die Windrichtung und die Windgeschwindigkeit messen. Im freien Fall tragen diese dazu bei, bei der Orientierung des Körpers zur Schwerkraft und zum Luftzug hilfreich zu sein (König und Perez, 2022). Dabei geben die Statolithen (Statoconia) in Verbindung mit den Sinneszellen im Gleichgewichtsorgan des Innenohrs über den N. vestibularis einen Initial-Impuls an die efferenten Nervenbahnen und das Kleinhirn (Hartmann, 1992, König und Liebich, 1919). Vibrissen am Karpalorgan sind ebenfalls empfindlich für den Luftzug während des freien Falls. Sie könnten die Bewegung der Vordergliedmaßen zum Rumpf einleiten. Die Drüsen am Karpalorgan, an der ­Basis der Vibrissen, haben mit dem Stellreflex nichts zu tun, sie dienen der Markierung des Territoriums beim Klettern.
Nachdem sich der Vorderkörper gedreht hat und die Vordergliedmaßen sich dem Rumpf genähert haben, kommen Mechanorezeptoren (Vater-Pacini-Lamellenkörperchen) im Organbereich der Körpermitte zum Zug. Sie befinden sich in großer Anzahl im Pankreas der Katze (König und Perez). Auch die erhöhte Beweglichkeit der Katzenwirbelsäule, in Verbindung mit der tief gelegenen Muskulatur des Stammes (König und Perez, 2022), trägt ihren Teil dazu bei, dass sich der Katzenkörper weiterdreht. Um die Drehung des kaudal der Körpermitte gelegenen Teils des Rumpfs zu vervollständigen, kommen zahlreiche Mechanorezeptoren zum Zug, die im Organbereich weiter kaudal der Körpermitte liegen (König, 2020). Sie befinden sich in den Mesenterien des Colon descendens und des Rectum sowie in den Bändern der Harnblase. Die Zahl der Mechanorezeptoren im Organbereich der Katze beträgt mehrere Hundert (Owaki et al., 2014, Sakada und Sasaki, 1984); Stoffel (2010) erwähnt diese Lamellenkörperchen ebenfalls und definiert sie als Mechanorezeptoren. Mathematisch-physikalische Berechnungen zeigen zudem, dass die Fallgeschwindigkeit der Katze aus sehr großer Höhe, je nach Größe und Gewicht des Tiers, durch den Reibewiderstand der Luft auf ca. 100 bis 120 km/h limitiert wird (Bischoff, 2023, Challis, 2022). So kann es vorkommen, dass Katzen, die vom Balkon des 32. Stockwerks auf harten Asphalt fallen, überleben.

Diskussion

Seit Ende des 19. Jahrhunderts beschäftigen sich namhafte Wissenschaftler mit dem freien Fall der Katze, dem sogenannten Stellreflex. Rezente Untersuchungen wenden dafür mathematische und physikalische Methoden an (Bischoff, 2023, Challis, 2022). Diese Fähigkeit gibt es bei keinem anderen Haussäugetier. Eine Suche im Web zeigt, dass eine fallende Katze eine Maximal­geschwindigkeit von ca. 100 km/h erreicht. Bischoff (2023) errechnet bei einer vier Kilogramm schweren Katze eine maximale Fallgeschwindigkeit von 120 km/h. Ebenfalls Bischoff (2023) stellt den Stellreflex auf eine mathematisch-physikalische Grundlage; Challis (2022) und Wu et. al. (2019) untersuchten zusätzlich die abfedernde Rolle der Gelenke an den Gliedmaßen beim Landen nach dem freien Fall.
In den bislang getätigten Untersuchungen zum Stellreflex der Katze wurden keine anatomischen Gegebenheiten berücksichtigt. Die Funktion der Vater-Pacini-Lamellenkörperchen, die vermehrt im Pankreas und in Organnähe in der Bauchhöhle der Katze gefunden wurden, wurden nicht sicher den Druckrezeptoren zugeordnet (Frewein und Vollmerhaus, 1994, Malinovsky et al., 1990, Owaki et al., Sakada und Sasaki, 1984); erst Stoffel (2010) erkannte, dass es sich auch hier, wie im Bereich der Ballen, tatsächlich um Mechanorezeptoren handelt. Diese leiten ihre Informationen über aufsteigende Bahnen in den Dorsalsträngen des Rückenmarks dem Kleinhirn und dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr weiter.
Auch die Schnurrhaare im Gesicht der Katze wurden vor allem als Orientierungshilfe in der Nacht oder zur Ab­messung einer Öffnung, um abzuschätzen, ob der ­Katzenkörper hindurchschlüpfen kann, gedeutet.

Schlussfolgerung

Der Stellreflex der Katze bewirkt, dass sich eine Katze im freien Fall so orientiert, dass sie auf ihren vier Beinen landet. Bei einem Fall aus geringer Höhe, bevor sich der Katzenkörper drehen kann, und vor allem aus großer Höhe kann es zu schweren äußeren und inneren Verletzungen kommen: Frakturen der Mandibula, der Rippen, der Gliedmaßen, des Beckens, Verletzungen an den Zähnen und der inneren Organe – Tierärzte sind dann gefordert, entsprechende Behandlungen durchzuführen.

Literatur:

Bischoff M. (2023): Wie Katzen die Gesetze der Physik austricksen. Spektrum der Wissenschaft. Die fabelhafte Welt der Mathematik. www.spektrum.de/kolumne/­einen-sturz-aus-welcher-hoehe-kann-eine-fallende-katze-ueberstehen/2155929


Challis, J. H. (2022): The mechanics of cat landing from a drop. European Journal of Physics, 44 (1), 1–6.
Frewein J. und Vollmerhaus B. (1994): Anatomie von Hund und Katze. S. 164, Blackwell-Wissenschafts-Verlag, Berlin.
Hartmann F. D. (1992): Zur topographischen Anatomie des Gleichgewichts- und Gehörorgans der Hauskatze. Inaugural-Dissertation. Tierärztliche Fakultät München.
König, H. E. und Liebich H.-G. (2019): Anatomie der Haustiere. 7. Auflage, S. 533, Thieme Verlag Stuttgart.
König, H. E. (2020): Die Einzigartigkeit von Katzen. S. 21. ISBN 978-3-200-06975-6 (im Eigenverlag).
König, H. E., Perez, W. (2022): Anatomie der Katze und ihr Verhalten aus der Sicht des Anatomen – eine Textsammlung. S. 106 und 228. Cuvillier Verlag, Göttingen.
Malinovsky, L., Pac, L., Vega-Alvarez, J. A., Bozilow, W. (1990): The capsule structure of Pacinian corpuscles from the cat mesentery. Zeitschrift für mikroskopisch-anatomische Forschung. 104 (2), 193–201.
Owaki, M., Oono, H.,Nakajima N.,Ohta, G., Okano, S., Kakizaki, T., Yoshioka, K. (2014): Morphology and Distribution of Lamellar Corpuscles in the Mesentery of the Cat. Anatomia Histologia Embryologia, 43 (5), 375–378.
Sakada, S., Sasaki, T. (1984): Blood-nerve barrier in the Vater-Pacini corpuscle of cat mesentery. Anatomy and Embryology, 169 (3), 237–247.
Wu, X., Pei, B., Pei, Y., Wu, N., Zhou, K., Hao, Y., Wang, W. (2019): Contributions of limb joints to energy absorption during landing in cats. Applied Bionics and Biomechanics.

en.wikipedia.org/wiki/Cat_righting_reflex

1 Em. Univ.-Prof. Dr. H. E. König, Institut für Morphologie der Vetmeduni Wien Österreich. E-Mail: Horst.Koenig@vetmeduni.ac.at
2 Dr. Eva Polsterer, 2431 Enzersdorf/Fischa, Mühlstraße 3, Österreich.
3 Univ.-Prof. Dr. Ismail Hakki Nur, Erciyes Univ. Vet. Faculty, Anatomy, 38280 Kayseri, Türkei.
4 Univ.-Prof. Dr. William Perez, National System of Researchers Anatomy, Montevideo, Uruguay.