Der MKS-Ausbruch im Jahre 1973

Ein Erfahrungsbericht

Dr. Astrid Nagl

Im Jahr 1973 gab es einen lang andauernden Ausbruch der Maul- und Klauenseuche (MKS), betroffen waren vor allem Niederösterreich, das Burgenland und Wien. Auch an der Veterinärmedizinischen Universität trat die MKS auf. „Ich kann mich erinnern, als wäre es gestern ­gewesen“, sagt Univ.-Prof. Dr.    med.     vet. Dr.     h.     c. Walter Baum­gartner, Diplomate ECBHM, im Interview mit dem Vetjournal über den MKS-Ausbruch an der Tierärzt­lichen Hochschule in Wien. 

Wie kam es zu dem Ausbruch an der Tierärztlichen Hochschule? Waren Vorsichtsmaßnahmen getroffen worden, um die Sueche nicht einzuschleppen?

Die Tierärztliche Hochschule, damals noch in der Linken Bahngasse 11 im dritten Wiener Gemeindebezirk, hatte bereits Vorsichtsmaßnahmen getroffen – es gab Seuchenteppiche, es wurden nur Tiere aus „gesunden“ Betrieben an der Hochschule angenommen.

Zu dieser Zeit lief an der Klinik für Wiederkäuer und Schweine gerade eine Versuchsreihe in Kooperation mit einer deutschen Pharmafirma. Es sollte die Wirksamkeit eines Medikaments überprüft werden, das nach großflächigen Magenoperationen eingesetzt werden ­konnte und für den Gebrauch beim Menschen vor­bereitet ­wurde. Dazu wurde bei einigen Absatzferkeln ein Teil des Magens chirurgisch entfernt. Ich führte die ­Operation durch, während mein Kollege und lieber Freund Dr. Barsch die Anästhesie überwachte. Wir ­beide ­waren seit 1971 Assistenten bei Prof. ­Glawischnig an der ­Klinik. 

Während ich operierte, fiel mir auf, dass er die ganze Zeit an einer Klaue des Ferkels herumkratzte, und ich fragte ihn, warum. Er sagte: „Es ist irgendwie komisch, das Horn schilfert so ab.“ Wir drehten die Klaue um und sahen Rötungen am Kronsaum und im Zwischenklauenspalt. Bei genauer Ansicht fanden wir die Veränderungen auch an den Hinterklauen. So mussten wir die Verdachtsdiagnose MKS stellen und holten Prof. Glawischnig aus seinem Büro. Er meldete es an die ­Veterinärverwaltung. Es wurden von behördlicher Seite sofort Proben genommen; die Hochschule wurde gesperrt. Die Bestätigung der Seuche durch den Er­regernachweis kam noch am selben Tag.

Waren bereits andere Tiere an der Klinik betroffen?

Als Nächstes machten wir einen Stalldurchgang: Die Absatzferkel kamen uns nicht entgegen, sondern lagen alle auf einem Haufen beisammen. Bei der klinischen Untersuchung waren Lahmheiten und steifer Gang auffällig und bereits erste Aphthen feststellbar. Die Zuchtsauen zeigten Rötungen, Krusten und Bläschen rund um die Zitzen. Bei den 20 Übungsrindern und auch bei den Schafen und Ziegen war zu diesem Zeitpunkt noch alles unauffällig – doch nur wenige ­Stunden ­später ­zeigten auch sie Symptome! Da begannen einzelne ­Ferkel bereits mit dem Ausschuhen. 


Hören Sie den Erfahrungsbericht von Univ.-Prof. Dr. Walter Baumgartner auch in unserer Podcast-Folge!


Welche Maßnahmen verordnete die Behörde als Nächstes, damit der Betrieb in absehbarer Zeit wieder aufgenommen werden konnte?

Wir Mitarbeiter*innen der Klinik für Wiederkäuer und Schweine durften die Uni für drei Tage nicht verlassen und halfen mit, die Maßnahmen der Behörde umzu­setzen. Mitarbeiter*innen der anderen Kliniken durften das Universitätsgelände zwar verlassen, mussten aber bestimmte Auflagen einhalten: Natürlich mussten sie Desinfektionsmaßnahmen treffen und durften keinen Kontakt zu Wiederkäuerbetrieben haben. Alle Tiere an der Klinik für Wiederkäuer und Schweine wurden getötet und das gesamte Universitätsgelände sorg­fältig gereinigt und desinfiziert – nicht nur die Stallungen, sondern auch die Klinikräume und die Straßen! Ich war selbst Mitglied der Schätzkommission, die für die Besitzer*innen der Tiere Entschädigungen ­festsetzte. Erst 40 Tage später, nach mehreren Desinfektions­durchgängen, durfte die Hochschule wieder öffnen. 

Welche klinischen Symptome können wir bei MKS feststellen?

Bei Rindern sind Rötungen am Kronsaum und im Zwischen­klauenspalt auffällig, auch an den Zitzen. Die Aphthen sind etwa erbsengroß, manchmal größer. Die Primäraphthe auf dem Nasenspiegel wird oft gar nicht bemerkt, aber die Rinder belecken sie und bekommen dann Läsionen auf der Zunge. Deshalb ist es so wichtig, bei der klinischen Untersuchung nicht nur den Nasenspiegel zu untersuchen, sondern immer auch die Zunge. Die Aphthen rupturieren, sodass manchmal nicht mehr die Aphthe selbst sichtbar ist; die oberste Schleimhautschicht fehlt und man sieht nur die entzündliche Rötung. Das ist sehr schmerzhaft, weshalb die Rinder zwar kauen und viel speicheln, aber nicht abschlucken. Dieser starke Speichelfluss ist sichtbar und ums Maul entsteht ein zäher Speichelschaum, der sogenannte „MKS-Bart“. 
Schweine zeigen eher an den Klauen Veränderungen, die bis zum Verlust des Klauenschuhs führen. Die Zuchtsauen entwickeln auch an den Zitzen Aphthen und Krusten. Bei Schafen und Ziegen sind die klinischen Symptome oft nicht so stark ausgeprägt – bei diesen ­Tieren sind deshalb wiederholt genaue klinische ­Untersuchungen erforderlich, um die Krankheit dia­gnostizieren zu können. 

Bei Ausbruch in Deutschland vor Kurzem dauerte es vergleichsweise lange, bis die Diagnose MKS gestellt wurde. Welche Differenzialdiagnosen gib es?

Im Unterschied zu anderen Infektionskrankheiten ist die Morbidität bei MKS extrem hoch: Bis zu 100 % ­aller Tiere eines Betriebs erkranken – und das sehr schnell, binnen 24 Stunden. Die Inkubationszeit beträgt zwei bis vier Tage, manchmal bis zu sieben Tage. Aufgrund der hohen Morbidität ist MKS leicht zu erkennen. Eine ­Differenzialdiagnose wäre bei uns derzeit Blue Tongue Disease, die damals in Österreich noch keine Rolle ­spielte. Andere Differenzialdiagnosen betreffen Erkrankungen wie BVD/MD, die in Österreich eradikiert ist, oder die vesikuläre Stomatitis, die sehr selten vorkommt. 

Was müssen wir als Tierärzt*innen derzeit beachten, wenn wir zu einem Betrieb kommen?

Wenn wir als Tierärzt*innen in einen Betrieb kommen, ist als erste Maßnahme die Adspektion am wichtigsten. Bevor Sie mit der Visite beginnen, fragen Sie zunächst die Besitzer*innen: Gibt es etwas Auffälliges? Dann schauen Sie sich um, betrachten Sie alle Tiere; gehen Sie nicht sofort zu dem Tier, zu dem Sie gerufen ­wurden. Sind die Tiere matt? Fällt Ihnen bei mehreren Tieren steifer Gang oder starker Speichelfluss auf? 

Wenn Sie ein Tier untersuchen und adspektorisch ­bereits der Verdacht besteht, es könnte MKS ­haben, ­ziehen Sie für die klinische Untersuchung unbedingt Handschuhe an. Bestätigt sich der Verdacht und Sie stellen weitere Symptome fest, muss sofort die ­Behörde verständigt werden. Sie müssen auf dem ­Betrieb ­bleiben, bis die Amtstierärztin oder der Amtstierarzt eintrifft. Mit dem Zeitpunkt der Anzeige geben Sie die Eigen­verantwortung ab und sind ausführendes Organ der Behörde. Bis dahin sind Sie voll ­verantwortlich – mit allen Konsequenzen!

Wie gefährlich wäre ein Ausbruch?

Bei der MKS handelt es sich um eine der ­gefährlichsten Tierseuchen. 1973 waren 1.600 Betriebe betroffen. Es mussten etwa 4.500 Rinder, 75.000 Schweine und 300 kleine Wiederkäuer gekeult werden. Diese Zeit liegt mehr als 50 Jahre zurück, doch ich erinnere mich da­ran, als wäre es gestern gewesen – die ­Ereignisse ­haben sich stark eingeprägt. Wir Tierärzt*innen ­können einen ­großen Beitrag leisten, damit die MKS nicht eingeschleppt wird. Aus meiner Sicht ist es in der ­derzeitigen Situation vor allem wichtig, die ­Anordnungen der Veterinär­behörde zu 100     % einzuhalten. Wir Tier­ärzt*innen müssen tun, was wir können, um zu ver­hindern, dass eine Situation wie damals entsteht.


Zur Person: 

Univ.-Prof. Dr. med. vet. Dr. h. c. Walter ­Baumgartner, ­Diplomate ECBHM, Fachtierarzt für Rinder und für Labor­medizin, leitete die Klinik für Wiederkäuer der Vetmeduni von 1990 bis 2010 und hat derzeit an ­mehreren europäischen Universitäten Gastprofes­suren und Berater­tätigkeiten inne. Er war für mehr als 30 Jahre Präsident der Österreichischen Buiatrischen Gesellschaft (ÖBG) und Chefredakteur der ÖBG-Zeitschrift „Klauentierpraxis“ und wurde neben vielen anderen Ehrungen 2022 mit der Ehrennadel der Österreichischen Tierärztekammer ausgezeichnet.