Eine Kugel Eis kann das Taxi sein, auch ein zu kurz gegrilltes Stück Geflügelfleisch oder eine Speise mit rohen Eiern: Wenn Salmonellen in das Hotel Mensch einziehen, ist die Hölle los. Sie bringen alle Vorgänge im Darm vollkommen aus dem Lot, bohren sich in die Darmschleimhaut und sorgen für massive Entzündungen. Die dramatischen Folgen sind Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall und Fieber. Aber längst nicht alle Bakterien im Körper verhalten sich so brutal. Mit vielen Arten leben wir in einer friedlichen Gemeinschaft. Was wir bisher nicht wussten: Sie steuern unser Verhalten auf sehr subtile Weise mit.
Ein überraschendes Jobangebot flattert ins Haus. Die Aufgabe ist reizvoll, das Unternehmen hat einen exzellenten Ruf, das Geld stimmt. Eigentlich wäre alles perfekt. Die Sache hat nur einen Haken. Der neue Arbeitsplatz ist weit weg. Familie, Freunde, das ganze Leben spielt sich aber hier ab. Das Abwägen beginnt, Plus-Minus-Listen werden erstellt und jeder Aspekt unter die Lupe genommen. Da fragt plötzlich eine Bekannte ganz banal: Was sagt denn der Bauch dazu?
Der hat tatsächlich einiges mitzureden. Von allerlei Alltagssituationen kennen wir das: Wer Sorgen hat, bekommt Bauchweh, schlechte Nachrichten wollen verdaut werden, Stress und Kummer schlagen auf den Magen, Aufregung auch. Psychosomatische Vorgänge sind lang schon bekannt. Was aber, wenn es auch umgekehrt geht? Wenn der Bauch unsere Psyche beeinflusst? Wenn er sagt: Finger weg vom neuen Job! „Beide Organe, Gehirn und Magen-Darm-Trakt, sind eng miteinander verknüpft. Und zwar in beide Richtungen“, erklärt Peter Holzer, Professor für Neurogastroenterologie und Leiter des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie an der Medizinischen Universität Graz. Er untersuchte die Verbindungswege genauer, nahm jene Nervenbahnen und Hormone ins Visier, die zwischen Gehirn und Darm aktiv sind. Dabei stießen seine Forscherkollegen und er auf spannende Verknüpfungen. Winzigste Mitbewohner, nämlich die Bakterien unserer Darmflora, könnten unser Verhalten, Entscheidungen und Gefühle stärker beeinflussen als je gedacht – bis hin zur Depression.
Untersuchung mit Mäusen
Bei der Entscheidung für oder gegen den neuen Job wären es vermutlich die Milchsäurebakterien, die uns eher zu einem „Ja“ oder zu einem „Nein“ leiten würden. Erste Hinweise darauf lieferten Tests mit Mäusen. In einem Versuch gab es einerseits Mäuse, die normales Futter bekamen, und auf der anderen Seite solche, denen regelmäßig zusätzliche Rationen an Milchsäurebakterien (auch Lactobazillen genannt) verabreicht wurden. Diese Bakterien siedelten sich daraufhin im Darm an. Nun wurde jede Maus allein in ein speziell vorbereitetes Labyrinth gesetzt. Die normal gefütterten Mäuse verhielten sich durchwegs vorsichtig und verkrochen sich meist in schützende dunkle Ecken. Sie zeigten also gewöhnliches Mäuseverhalten. Bei jenen Mäusen aber, die zuvor Milchsäurebakterien erhalten hatten, war das anders. Sie erwiesen sich als neugieriger und untersuchten mutig die hell beleuchteten, ungeschützten Zonen. Die Forscher staunten und fanden zusätzlich heraus, dass es im Gehirn, wo erregende und hemmende Botenstoffe aktiv sind, zu neurochemischen Änderungen gekommen war. GABA, einer der hemmenden Botenstoffe, war davon betroffen. Welche Prozesse im Detail im Mäusekörper abliefen, ist noch offen.
Dieses Experiment jedenfalls stellt Wissenschaftler wie Peter Holzer vor die Frage, ob auch bei uns Menschen viele Milchsäurebakterien im Darm für größeren Mut sorgen und uns bei schwierigen Entscheidungen schneller ein „Ja“ entlocken könnten. Noch steckt die Forschung in den Kinderschuhen. Joghurt und andere Milchprodukte werben zwar längst mit dem Zusatz von Milchsäurebakterien, aber sie versprechen dabei keinen Mut, sondern ein besseres allgemeines Wohlbefinden. Auch das ist laut Holzer nicht hinreichend nachgewiesen, es seien bislang zu wenige aussagekräftige Studien abgeschlossen.