Sensibel und individuell –

die Darmflora von Pferden

Bettina Kristof

So individuell wie der Charakter eines Pferdes ist auch seine Darmflora. Obwohl seit vielen Jahren zu dem Thema geforscht wird, ist das Wissen darüber noch recht begrenzt.

Beim Pferd findet der Großteil des Verdauungsvorgangs, anders als beim Menschen, im Dickdarm statt. Damit der Dickdarm seine wichtigen Funktionen einwandfrei erfüllen kann, benötigt er eine gesunde Darmflora. Wir interviewten PD Dr. med. vet. Angelika Schoster, Oberärztin im Departement für Pferde am Tierspital der Universität Zürich (UZH), die sich intensiv mit Forschung, Lehre und Praxis bezüglich der Darmgesundheit von Pferden beschäftigt, zu diesem Thema.

Frau Doktorin Schoster, das Darmmikrobiom ist derzeit ja in aller Munde. Gibt es neue Erkenntnisse zum Darmmikrobiom der Pferde?
Das Darmmikrobiom ist sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin eine große Thematik und hat in den letzten zehn Jahren einen Push erfahren. Wir müssen zugeben, dass wir eigentlich gar nichts wissen – außer dass das Darmmikrobiom in der Gesundheit des ganzen Körpers eine wichtige Rolle spielt. Es gibt da verlockende Ange­bote spezieller Firmen, die anbieten, die eingeschickte Kot­probe mittels Sequenzierung zu untersuchen und auszuwerten. Dann bekommt man zwar eine Menge Daten und oft gleich ein angeblich passendes Probiotikapräparat zur Darm­sanierung, aber in Wahrheit fängt man damit nichts an, denn die Aussagekraft ist völlig unklar und basiert auf keinerlei wissenschaftlichen Grundlagen. Die Technik der Sequenzierung macht aus heutiger Sicht nur in der Forschung Sinn, in der klinischen Diagnostik sind wir aber noch nicht so weit, dass wir sinnvoll damit arbeiten können. Dazu kommt, dass sich das Darmmikrobiom des Pferdes komplett von dem des Menschen oder dem von Kleintieren unterscheidet. Es ist sogar beim einzelnen Pferd nicht über längere Zeit stabil. Wir wissen, dass das Darmmikrobiom des Pferds fütterungsabhängig und managementabhängig ist: Es macht einen Unterschied, ob das Pferd auf die Weide kommt oder nicht und wie viel Kraftfutter es frisst. Was ich im Kot nachweise und was sich im Dickdarm des Pferdes abspielt, ist verschieden. Daher ist der Kot nicht zu 100 % repräsentativ für die Darmgesundheit.

Wieso haben Pferde so oft Probleme mit der Darmflora?
Die Darmflora von Pferden ist sensibel und individuell. Wir wissen die ungefähre Zusammensetzung, die bei den einzelnen Pferden auf hoher Ebene ähnlich ist. Es gibt „gute“ Bakterien, aber nur auf Forschungsebene können wir nähere Aussagen treffen. Wichtig ist es, Antibiotika nur dann einzusetzen, wenn sie wirklich notwendig sind, weil das auch einen Effekt auf die Darmflora hat. Wir wissen aber weder, wie sich die Dosierung auf die Darmflora auswirkt, noch die Zeitspanne, über die die Antibiotika gegeben werden sollten.

Welche Parameter untersucht man am besten, wenn das Pferd Durchfall hat?
Man sollte gezielt nach bestimmten Erregern suchen und nicht probieren, die ganze Darmflora zu bestimmen. Das bringt mich in der Praxis nicht weiter. Die Frage, die man sich stellen sollte, ist: Was löst den Durchfall aus? Und dann muss man sich auf den Nachweis dieser möglichen Erreger konzentrieren.

Die Gabe von Probiotika ist ein Thema bei einer gestörten Darmflora. Was halten Sie davon?
Probiotika sind lebende Bakterien, die die Darmflora positiv beeinflussen sollen. Aber diese Idee kommt aus der Humanmedizin und ist beim Pferd der falsche Ansatz, weil diese Bakterien beim Pferd nicht vorherrschend sind. Dazu kommt, dass bei Pferden bei einer Störung der Darmflora meist der Dickdarm betroffen ist, aber die Probiotika nicht bis dorthin durchkommen. Wir sind nach derzeitigem Forschungsstand außerdem nicht sicher, welche Bakterien für das Pferd gut wären. Die Studien dazu waren enttäuschend, sowohl bezüglich der Prophylaxe als auch der Therapie.

Gibt es spezielle Therapien, die man bei chronischem Durchfall anwendet?
Da gibt es die Fäkaltransplantation, die zwar nicht ganz neu ist – sie wurde bei Pferden in China schon im vierten Jahrhundert gemacht –, sie wurde sozu­sagen wiederentdeckt. Dabei wird einem Pferd, das chronischen Durchfall hat, das Kotwasser eines gesunden Pferdes via Nasen-Schlund-Sonde zugeführt. Diese Therapie wird einmal täglich über drei Tage angewendet, dann bessern sich die Beschwerden in den meisten Fällen ganz schnell. Noch gibt es wenige Studien zu dem Thema, aber bei einer unlängst durchgeführten wissenschaftlichen Studie an fünf Pferden hat man festgestellt, dass es bei dreien funktioniert hat, bei den beiden anderen aber nicht; wobei man dazusagen muss, dass diese unheilbare Krankheiten hatten. Wir probieren noch, ob die Zeitspanne von drei Tagen der optimale Zeitraum für die Therapie ist.

In welchen Ländern wird am meisten zum Thema Darmgesundheit bei Pferden geforscht?
In Europa in England, in der Schweiz forsche ich zu diesem Thema und in den USA und Kanada gibt es großes Interesse an diesem Gebiet. Es gibt übrigens geografische Unterschiede, was die Darmflora von Pferden betrifft: Pferde in den USA haben eine andere Darmflora als jene in Europa. Das sieht man auch beim Antibiotikaeinsatz – da können Antibiotika, die bei Pferden in den USA zu schlimmen Durchfällen führen, von europäischen Artgenossen gut vertragen werden und umgekehrt. Wir wissen aber nicht, warum Pferde in den USA eine andere Darmflora haben als europäische, wir müssen noch viel mehr verstehen.

Woran forschen Sie aktuell?
Ich forsche primär zum Thema Infektions­erkrankungen, vor allem, was den Magen-Darm-Trakt betrifft. Auch Fäkaltransplantationen sind Inhalt einer Studie. Da untersuche ich, bei welchen Krankheiten diese Methode funktionieren kann und wie. Viel mache ich im Bereich der Clostridien, die Durchfallerkrankungen verursachen können. Jetzt gerade starten wir ein Projekt, das sich mit dem Equinen Corona­virus beschäftigt, das gerade bei Pferden gehäuft vorkommt und ebenfalls zu Durchfall führt.

Welche Zukunftsprojekte streben Sie an?
Wir forschen natürlich weiter zum Thema Darmflora, das ist ja ein unglaublich großes Gebiet. In diesem Zusammenhang wäre es gut, wenn wir herausfinden könnten, welche Bakterien Pferde im Kot brauchen, um diese dann synthetisch herzustellen. Denn nicht alles, was sich im Kot befindet, ist negativ. Eine ent­sprechende Pille dafür wäre perfekt, aber das ist noch Zukunftsmusik. Die Darmflora reagiert auch sehr sensibel auf die Ernährung. Die Komplexität ­zwischen einzelnen Bestandteilen der Ernährung und einer gestörten Darm­flora besser zu verstehen ist ein wei­teres Ziel. Die Hufrehe bei Pferden kann durch eine gestörte Darmflora verursacht werden, die wiederum durch ein Übermaß an Kohlenhydraten ausgelöst werden kann – das ist bewiesen. Und da gibt es sicher noch weitere Zusammenhänge, die es zu erforschen und zu verstehen gilt.

Ihrem Lebenslauf habe ich entnommen, dass Sie in Leoben geboren wurden und in Wien an der Veterinärmedizinischen Universität studiert haben. Wie hat es Sie nach Zürich verschlagen?
Ich habe an der Vetmeduni in Wien studiert und meine Dissertation gemacht. Ich wusste bald, dass ich mich auf Pferde spezialisieren möchte und dabei in die Tiefe gehen will. In Ontario, Kanada, studierte ich vier Jahre lang und machte dort meine Facharztausbildung für Innere Medizin bei Pferden. Danach begann ich meinen Ph. D. in Kopenhagen, und dann hat sich die Stelle am Tierspital der Universität Zürich ergeben, wo ich die angestrebte Kombination aus Klinik, Lehre und Forschung habe. Hier habe ich meinen Ph. D. zum Thema Probiotika fertig gemacht, habe mich in dem Gebiet auch habilitiert und bin mit meiner Kombination aus Praxis, Lehre und Forschung sehr zufrieden.