Mag. Silvia Stefan-Gromen
Ausgabe 07-08/2024
Das Vetjournal traf Mag. Dr. Daniel Alge zu einem Interview, in dem er auf sein erstes Jahr als BUKO-Präsident zurückblickte und sich für Mut und Optimismus aussprach. Wie er Innovation fördern und den Wirtschaftsstandort Österreich stärken möchte, verriet der begeisterte Europäer in einem persönlichen Gespräch.
Herr Präsident, Sie stehen seit fast genau einem Jahr an der Spitze der BUKO und vertreten die Anliegen und Interessen von fast 87.000 Freiberuflern aus neun systemrelevanten Kammern und rund 180.000 Arbeitnehmer/-innen dieser Branchen. Welche Schwerpunkte haben Sie in den vergangenen Monaten gesetzt?
Ich habe mich darauf konzentriert, die Gemeinsamkeiten zwischen den neun verschiedenen Berufsgruppen zu identifizieren und herauszuarbeiten. Es galt für mich, die Interessen von Tierärzt/-innen, Ärzt/-innen, Apotheker/-innen, Notar/-innen, Patentanwält/-innen, Rechtsanwält/-innen, Steuerberater/-innen und Wirtschaftsprüfer/-innen, Zahnärzt/-innen und Ziviltechniker/-innen auf einen Nenner zu bringen. Das war ein gemeinsamer Prozess, in dem wir Ziele und uns verbindende Werte definiert haben und festgelegt haben, wofür wir alle gemeinsam stehen. Die daraus resultierenden Kernaussagen haben wir festgehalten. Auch die Meinungen unserer zukünftigen Kolleginnen und Kollegen waren uns wichtig zu integrieren. Denn die nachfolgende Generation ist in einer anderen Welt aufgewachsen als wir und sie wird auch mit anderen Herausforderungen konfrontiert sein, als wir sie bisher vorfanden. Aus diesem Grund ist es mir ein Anliegen, die Berufe zukunftsfit und wettbewerbsfähig zu machen, auf Nachhaltigkeit und Innovation zu setzen und die Rahmenbedingungen so zu definieren, dass die Jungen genauso glücklich werden mit ihrer Berufswahl, wie wir es sind. Dabei sind aber auch antimonetäre Werte und gegenseitiges Vertrauen eine wichtige Basis. Wir haben dies alles unter dem Schlagwort „#Freie Berufe 5.0“ zusammengefasst.
Was verbindet alle neun Freien Berufskammern?
Was wir alle gemeinsam haben ist, dass im Zentrum aller Überlegungen immer die Anliegen unserer Kund/-innen, Mandant/-innen und Patient/-innen stehen. Anders als in anderen Branchen steht nicht die Gewinnorientierung immer an vorderster Stelle. Unsere Berufe konzentrieren sich auf die bestmögliche Dienstleistung für die Empfänger/-innen unserer hochqualifizierten Dienstleistungen. Diesen Unterschied hebe ich auch immer in den politischen Diskussionen rund um unsere Kammern hervor. Unsere Dienstleistungen befassen sich immer mit den besonders wichtigen Dingen im Leben, wie etwa die Gesundheitsversorgung unserer Patienten, die Erstellung eines Testaments, die Beratung und Abwicklung eines Immobilienkaufs oder die Anmeldung eines Patents.
Wir als Angehörige Freier Berufe sorgen dafür, dass diejenigen, die unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen, die für sie bestmögliche Betreuung erfahren. Dies geschieht unabhängig von externen oder internen Einflüssen wie etwa finanzieller oder gewinnoptimierender Vorgaben und auch unabhängig von staatlichen Eingriffen oder Einflussnahmen.
In einem Interview haben Sie einmal gesagt, dass Sie die Freien Berufe in die Zukunft führen und damit noch menschlicher, innovativer, nachhaltiger und widerstandsfähiger machen möchten – was haben Sie damit gemeint?
Ich möchte, dass wir die Freien Berufe noch mehr in die öffentliche Diskussion einbringen, wenn es darum geht, die Zukunft in Österreich und die EU optimistisch und aktiv zu entwickeln. In unseren Geschäftsfeldern haben wir eine sehr hohe Kompetenz hinsichtlich fachlich richtiger und zukunftsweisender Strategien. Wir wissen, wie’s geht!
Es gilt aber, dass diese Kompetenz auch in die Formung unser aller Zukunft eingebunden wird. Österreich und die EU sind arm an Bodenschätzen, aber reich an innovativen und klugen Köpfen und reich an Kultur und kulturellem und nachhaltigem Gedankengut. Genau diese Grundlagen gilt es, in unsere globale Wettbewerbsfähigkeit einzubinden, um die EU (wieder) als „World Leader“ in Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu etablieren, und zwar in nachhaltiger und widerstandsfähiger Weise.
Europa ist und war aber auch immer Vorbild und Vorreiter für die humanistischen Entwicklungen in unserer Welt. Dies gilt es, in diese zukünftigen Entwicklungen einzubauen, denn trotz aller Herausforderungen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass möglichst alle Menschen in diese zukünftigen Entwicklungen eingebunden werden.
Angehörige und Mitglieder der Freien Berufe sind ein wichtiger Teil der Zivilgesellschaft – wie stark wird die KI freiberufliche Leistungen verändern?
Sehr! Die Welt verändert sich ständig und die KI ist ein Instrument, das zu unserer Gegenwart und Zukunft gehört und gehören wird. Ich bin aber überzeugt davon, dass die KI unser Leben weiterhin verbessern wird. Ich denke daher, dass wir, als Österreicher/-innen und Europäer/-innen, gegenüber der KI noch offener und mutiger sein sollten. Für viele Menschen ist sie etwas Neues, das sie nicht kennen, das ihnen unheimlich ist, weshalb sie ihr gegenüber eine ablehnende Haltung einnehmen. Mit einer derartigen Haltung hätten sich aber viele, wenn nicht alle, technischen und gesellschaftlichen Innovationen nicht durchsetzen können.
Natürlich muss man die Entwicklung von innovativen Technologien stets genau beobachten und dort Korrekturen durch entsprechende Regelungen setzen, wo diese Technologien tatsächlich problematisch werden. Diese Grenzen kann man aber erst erkennen, wenn man die Technologien tatsächlich benutzt. Innovationen per se sind nicht gut oder schlecht, es ist entscheidend, was der Mensch daraus macht! Wir müssen die richtigen politischen Incentives in die richtige Richtung setzen, uns aber nicht vor dem Fortschritt verschließen.
Eine aktive, transparente und vernunftgetriebene Etablierung von neuen Technologien ist daher für mich die bessere Alternative, als sich vor Neuem zu fürchten.
Sie forderten eine bessere Einbindung der Freien Berufe in das politische und wirtschaftliche Gefüge. Wird es den Freien Berufen gelingen, Teil der Sozialpartnerschaft zu werden?
Ich hoffe! Derzeit sind alle Augen auf die Nationalratswahl im September gerichtet. Wir bleiben jedenfalls dran und werden die neu gewählten politischen Vertreter/-innen entsprechend kontaktieren, unsere Zielsetzungen kommunizieren und auch entsprechende Gespräche aufnehmen.
Welche Vorschläge und Ideen haben Sie, um dem Fachkräftemangel entgegenzutreten?
Den Fachkräftemangel sollten wir durch eine Verbesserung unseres Bildungssystems und einen entsprechenden Import von Fachkräften lösen. Dort, wo wir den Fachkräftebedarf nicht selbst decken können, sollten wir aus der EU und dem weiteren Ausland diejenigen Fachkräfte anziehen, die wir benötigen. Diesen Menschen sollten wir ein attraktives Angebot machen, um mit uns zusammen die Zukunft unseres großartigen Landes positiv zu ent-
wickeln.
Aber es ist auch wichtig, unsere eigenen Kinder bestmöglich auszubilden. Es kann nicht sein, dass noch immer der Lehrplan aus dem Jahr 1950 umgesetzt wird. Die Schule muss unseren Nachwuchs fit fürs Leben machen. Dieser ist der Rohstoff und das Fundament für unsere Zukunft. Je besser unsere Kinder ausgebildet sind, desto besser wird es uns allen gehen. Dazu gehört für mich, dass allen Kindern, die aus der Volksschule kommen, die Grundfertigkeiten, die für den Rest ihres beruflichen Lebens heutzutage unverzichtbar sind, auch wirklich beigebracht werden. Diese wären sinnerfassend zu Lesen, sowie ordentlich Schreiben und Rechnen zu können. Ich weiß, dass das bereits eine sehr große Herausforderung in der heutigen Zeit ist und das ist bedenklich.
Von diesen Zielen sollten wir aber nicht abrücken, denn sie sind unverzichtbare Voraussetzungen für eine positive Entwicklung unserer Kinder und unserer Zukunft. Auch die Politik sollte dieses Ziel verfolgen, vielleicht sollte sie weniger auf das Gießkannen- als auf das Leistungsprinzip setzen. Jedes Kind sollte die Bildung bekommen, die es braucht und die es will. Da ist der Staat gefordert, dies zu ermöglichen. Und es sollte auch Anreize geben, dass junge Erwachsene die Möglichkeit bekommen, bei uns im Land oder in der EU ihren Traum zu verwirklichen und ihr Wissen dann auch anzuwenden – dies wäre zum Wohle von uns allen.
Welchen Einfluss haben die Ergebnisse der EU-Wahl auf die Freien Berufe?
Das wird man sehen. Ich hoffe, dass auch das zukünftige EU-Parlament meine Vision teilt, die EU bei Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, und zwar wie bereits erwähnt in nachhaltiger und widerstandsfähiger Weise.
Die EU-Behörden in Brüssel werden oft mit überbordender Bürokratisierung und übermäßigen Regularien in Zusammenhang gebracht – hat die EU ein Imageproblem?
Es stimmt, dass manche Regularien, die von der EU beschlossen werden, überschießend sind und zum Imageproblem der EU beitragen. Gleichzeitig sollte man aber immer wieder hervorheben, dass es nicht die EU-Behörden sind, die diese Regularien beschließen, sondern immer noch der EU-Rat derjenige ist, der maßgeblich für die Rechtentwicklung der EU zuständig ist.
Den EU-Rat bilden unsere Regierungschefs, nicht eine EU-Behörde. Dies zeigt auch das Dilemma der EU. Sie hat keine Lobby in den EU-Mitgliedsstaaten. Es sind unsere Regierungschefs, die in Brüssel die EU-Gesetze beschließen. Kommen die Regierungschefs von Brüssel in ihre Länder nach Hause zurück, dann haben meist „die in Brüssel“ diejenigen EU-Gesetze beschlossen, die zu Hause nicht so beliebt sind.
Bei EU-Gesetzen hingegen, die von der Bevölkerung oder Wählerschaft positiv aufgefasst werden, sind es meist die Regierungschefs selbst, die sozusagen „gegen die in Brüssel“ das EU-Gesetz durchgedrückt haben. So werden politische Errungenschaften meist als eigene Erfolge im Heimatland verkauft und die EU geht hier imagemäßig meist leer aus.
Das wahre Bürokratie-Problem bei uns ist aber hausgemacht. Es sind die österreichischen Behörden, inklusive der Bundesländer und Bezirksverwaltungen, die meist das Bürokratiemonster darstellen. Daher ist der Abbau von Bürokratie in der EU natürlich ein Thema, das man bearbeiten muss. Es muss unser vorrangiges Ziel sein, die Bürokratie in Österreich zu verschlanken.
Was ist Ihr Wunsch an die neue Bundesregierung?
Österreich und die EU bei der Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und dies in nachhaltiger und widerstandsfähiger Weise.
Wie sieht aus Ihrer Sicht die Zukunft der Freien Berufe aus?
Hervorragend! Da bin ich optimistisch. Wenn man uns unsere Arbeit für unsere Mandant/-innen, Klient/-innen und Patient/-innen so machen lässt, dass es für diese am besten ist. Unser Credo ist: Immer zum Wohle unserer Mitbürger/-innen! Denn wir wissen, wie es geht, das Know-how sollte die Politik entsprechend anerkennen und uns miteinbeziehen.
Den gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen wie dem Klimawandel sollten wir fortschrittlich begegnen, Umwelttechnologien zulassen, diese nicht überregulieren, sondern unsere Chancen darin erkennen. Wir sollten unseren Wohlstand weiterentwickeln und mittels neuer Technologien, die übrigens noch immer zu einem großen Teil zunächst in Europa entstehen, eine positive und fortschrittliche Zukunft auch verwirklichen. Es sollte aber auch – durch die erforderlichen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – dafür gesorgt werden, dass die weltweite Wertschöpfung der zahlreichen, zunächst in Europa entwickelten Technologien auch in Europa stattfindet und nicht in den USA oder in Asien – daran wird unsere neue Bundesregierung sowie auch die EU hoffentlich arbeiten.
Eine BUKO-Umfrage aus dem Jahr 2017 belegte, dass sich 9 von 10 Studierenden eine selbstständige Tätigkeit vorstellen könnten – dies wurde damals als gutes Zeichen für den Fortbestand der Freien Berufe gesehen. Wie würden heutige Ergebnisse dieser Umfrage aussehen?
Das weiß ich nicht, es wäre aber interessant, diese Befragung zu wiederholen. Meine Vision von einem fortschrittlichen Österreich wäre natürlich, dass sich 10 von 10 Studierende vorstellen könnten, selbstständig tätig zu sein. Ich würde mir wünschen, dass jeder und jede das Selbstbewusstsein hat, es sich zumindest vorstellen zu können – auch wenn er oder sie nicht gleich ein eigenes Unternehmen gründet. Was das Finanzielle und das Steuerliche in unserem Berufsleben, aber auch im Berufsleben anderer Unternehmer/-innen angeht, da sollte uns künftig die KI unterstützen, denn diese berufsfremden formalen Aspekte haben wir oft nicht gelernt. Die KI unserer Steuerberater/-innen sollte uns dabei helfen, diese Formalitäten und Bürokratie-Erfordernisse gesetzeskonform abzuwickeln, sodass wir uns unseren Kernkompetenzen und Kernaufgaben widmen können. Es kann doch nicht sein, dass Tierärzt/-innen und Ärzt/-innen 50 Prozent ihrer Zeit für administrative Tätigkeiten verschwenden. Die KI kann uns helfen. Die KI sollte uns diese unangenehmen und vor allem zeitraubenden bürokratischen Aufgaben abnehmen, sodass wir uns in Zukunft voll und ganz unserer eigentlichen Tätigkeit widmen können, für die wir ausgebildet wurden und die wir lieben!