Blasensteine und Blasengrieß

bei Kaninchen und Meerschweinchen

Dr.med.vet. Elisabeth Wagmeister

Blasensteine und Blasengrieß zählen zu den häufigsten Erkrankungen des Harntrakts bei Kaninchen und Meerschweinchen, oft haben betroffene Tiere lebenslang Probleme mit Konkrementablagerungen in den Harnwegen. Eine gute Besitzercompliance und langfristiges optimiertes Management sind für die ­Rezidivprophylaxe entscheidend. Wir sprachen mit Dr. Annette Kaiser, Oberärztin für Heimtiere an der Tierklinik Haar bei München sowie Fachtierärztin für Heimtiere und Fachtierärztin für Kleintiere, darüber.

Frau Doktorin Kaiser, warum sind Kaninchen und Meerschweinchen besonders anfällig für die Entstehung von Grieß und Steinen in den Harnwegen?

 

Das liegt vor allem daran, dass Kaninchen und Meerschweinchen einen speziellen Calciumstoffwechsel haben. Im Gegensatz zu Menschen, Hunden und Katzen, bei denen der Calciumhaushalt sehr streng reguliert ist und das über die Nahrung aufgenommene Calcium hauptsächlich über den Kot ausgeschieden wird, ist die Calciumaufnahme bei Kaninchen und Meerschweinchen weniger streng geregelt. Sie nehmen zunächst fast das gesamte Calcium aus der Nahrung auf und scheiden es dann hauptsächlich über die Nieren wieder aus, zu über 90 %. Dadurch ist der Urin von Kaninchen und Meerschweinchen physiologischerweise etwas trüb und enthält einige Calcium­verbindungen. Wenn jedoch zu viel Calcium aus der Nahrung aufgenommen wird, können Probleme auftreten. Der besondere Calciumstoffwechsel ist jedoch nur ein Teil des Problems bei der Bildung von Harnwegskonkrementen; auch andere Faktoren spielen eine Rolle.

Was sind prädisponierende Faktoren?

Die Ernährung spielt eine sehr wichtige Rolle, und zwar auch indirekt, nämlich in Form von Übergewicht: Übergewichtige Kaninchen neigen deutlich stärker zur Bildung von Harngrieß (Abb. 2, Anm.). Zudem können Bewegungs­mangel und unzureichende Wasser­aufnahme die Entstehung begünstigen. In einigen Fällen treten trotz optimierter Bedingungen immer wieder Rezidive auf. Auch individuelle Faktoren spielen eine Rolle, sind aber noch nicht aus­reichend erforscht. Grunderkrankungen der ­Blase, die zu Entleerungsstörungen führen, können ebenfalls die Ansammlung von Grieß in der Blase begünstigen (Abb. 3, Anm.)


Welche Symptome zeigen betroffene Tiere? 

Es kann vorkommen, dass betroffene Tiere über längere Zeit gar keine Symptome zeigen. Die Steine können erstaunlich lange in der Blase verbleiben und auch beträchtliche Größen erreichen, ohne dabei klinische Probleme zu verursachen. Ein feuchtes und verklebtes Fell im perianalen Bereich um die Harnröhrenöffnung ist häufig ein Anzeichen. Manchmal wird Blasengrieß beim Urinieren ausgeschieden und hat eine lehmartige Konsistenz in beige-brauner Farbe, was von Besitzern mitunter mit Durchfall verwechselt wird. Ansonsten hängen die Auswirkungen stark davon ab, wo sich der Stein oder die Grießansammlung befindet – Steine in den Ureteren oder in der Urethra können starke Schmerzen verursachen. Ein Stein in der Urethra ist ein Notfall, da er zu einem vollständigen Verschluss führen kann, was mit massiven Schmerzen, Koliksymptomen, starkem Pressen und Tenesmus verbunden ist.

Meerschweinchen zeigen manchmal Schmerzreaktionen beim Urinabsatz, während Kaninchen eher wenig Lautäußerungen von sich geben. Tiere mit Harnwegsproblemen zeigen oft ein reduziertes Allgemeinbefinden und verweigern die ­Nahrungsaufnahme. Die Symptome bei kleinen Heimtieren sind häufig un­spezifisch, aber erfahrene Besitzer erkennen normalerweise anhand des Verhaltens ihrer Tiere, dass etwas nicht stimmt.

Zu beachten ist noch, dass gesunde Kaninchen, die artgerecht mit viel Frischfutter ernährt werden, meist sehr wenig trinken, da sie über das Frischfutter bereits aus­reichend Flüssigkeit aufnehmen. Vermehrtes Trinken bei Kaninchen und Meerschweinchen kann hinweisend auf eine Erkrankung sein, ist aber in der Regel kein Kardinal­symptom für Harnwegsprobleme, sondern eher hin­weisend auf Zahnschmerzen, Bauchschmerzen oder Entzündungen im Körper.

Was sind Anzeichen für Schmerzen bei ­Kaninchen und Meerschweinchen?

Kaninchen ziehen sich eher zurück und werden ganz ruhig. Sie sitzen häufig in einer hockenden Position und zeigen eine sehr schnelle Atmung, die von Besitzern fälschlicherweise manchmal mit dem Herzschlag verwechselt wird. Kaninchen hören auf zu fressen und zeigen ein Schmerzgesicht – die Rabbit Grimace Scale kann hilfreich sein, um den Schmerzstatus zu beurteilen, besonders für weniger erfahrene Personen. Bei Meerschweinchen fällt deut­liches Quietschen beim Harnabsatz auf, sie krümmen den Rücken und zeigen Anzeichen von Kolikschmerzen. Das Pressen ist deutlich sichtbar und es wird nur wenig oder gar kein Urin ausgeschieden.

Welche Maßnahmen gehören zur ­diagnostischen Aufarbeitung?

Für die diagnostische Aufarbeitung werden in erster ­Linie eine Urinuntersuchung und eine ­Röntgenaufnahme durchgeführt; bei der Urinbeurteilung sind die Besonderheiten der kleinen Heimtiere zu berücksichtigen. 

Eine Übersichtsaufnahme bei der Röntgenuntersuchung ermöglicht die Identifizierung von Steinen und Grieß, da die Harnsteine aufgrund ihrer Calciumzusammen­setzung röntgendicht und gut sichtbar sind. Es ist wichtig, ­sicherzustellen, dass die Aufnahme bis zu den Knien reicht, um die gesamte Urethra zu erfassen. Für eine präzise Lokalisierung ist in der Regel eine zusätzliche Ebene oder ein Ultraschall ­erforderlich (Abbildungen 4a, 4b, Anm.). Eine Blutuntersuchung würde ich nur bei Auffälligkeiten der Nieren durch­führen, ansonsten ist sie nicht zwingend erforderlich. 

Zu erwähnen ist noch, dass der Calciumspiegel im Blut bei Meerschweinchen und Kaninchen nicht als Indikator für das Risiko von Blasensteinen herangezogen werden kann, da dieser nicht eng reguliert wird.

Was ist bei der makroskopischen Inter­pretation des Urins zu beachten?

Physiologischerweise ist der Urin bei Kaninchen leicht trüb und normalerweise hellgelb. Die Farbe kann jedoch je nach Fütterung stark variieren. Ein gesunder Urin sollte nicht stark trüb, krisselig oder milchig aussehen. Ebenso sollten keine Flocken, Schlieren oder Blut im Urin sichtbar sein. Wenn der Urin eintrocknet und ein Grießhäufchen zurückbleibt oder wenn sich ein deutlicher Bodensatz bei stehen gelassenem Urin bildet, sind dies Anzeichen für bestehende Probleme.

Wie erkenne ich beim Kaninchen Blut im Urin? 


Das ist eine gute Frage. Beim Kaninchen kann es schwierig sein, Blut im Urin makroskopisch eindeutig zu erkennen, da sie auch Porphyrine ausscheiden können, die den Urin rot färben. Eine Rotverfärbung des Urins aufgrund von Porphyrin-Pigmenten tritt allerdings erst nach einer gewissen Zeit durch eine Reaktion mit Luftsauerstoff auf, daher ist ganz frischer rot verfärbter Urin verdächtig für das Vorhandensein von Blut, während älterer Urin porphyrin­bedingt rot sein kann. Das Vorhandensein von kleinen Koageln oder Stippchen ist ein deutlicher Hinweis auf Blut im Urin. Zur Beurteilung von einheitlich rot verfärbtem Urin sollte ein Urinstick verwendet werden.

Was ist bei der mikroskopischen Interpretation des Urins zu beachten?

Die mikroskopische Untersuchung des Urins von Kaninchen und Meerschweinchen ist relativ einfach, kann sehr hilfreich sein und erfordert keinen großen apparativen Aufwand. Der Urin sollte nicht zentrifugiert werden, da sonst der gesamte Bodensatz voller Kristalle sein kann. Es genügt, einen Tropfen Urin auf den Objektträger zu geben, ein Deckgläschen aufzulegen, die Blende zu schließen und den Urin mit 200-facher oder 400-facher Vergrößerung zu beurteilen. Dabei sollte insbesondere auf Kristalle, Erythrozyten, Leukozyten und Bakterien geachtet werden.

Wie kann man bei kleinen Heimtieren am ­besten Urin gewinnen?

Bei kleinen Heimtieren kann durch sanften Druck auf die Blase oft leicht Urin gewonnen werden. Bei Meerschweinchen funktioniert dies in der Regel sehr gut, solange die Blase nicht komplett leer ist. Es ist zu beachten, dass bei häufigem Drücken auch bei gesunden Meerschweinchen eine geringe Menge Blut auftreten kann. Bei Kaninchen ist das Ausdrücken der Blase in der Regel ebenfalls möglich, jedoch manchmal etwas schwieriger als bei Meerschweinchen. Ansonsten können auch gängige Verfahren angewendet werden, die auch bei Hunden und Katzen üblich sind, wie etwa Zystozentese oder das Legen eines Katheters.

Wie erfolgt die Therapie?

In der Regel müssen die Steine operativ entfernt werden, da sie aufgrund ihrer Calciumzusammensetzung nicht aufgelöst werden können. Dafür wäre eine sehr starke Säure erforderlich, was im lebenden Organismus nicht praktikabel ist. Bei sehr kleinen Steinen und weiblichen Tieren kann man hoffen, dass die Steine auf natürliche Weise abgehen. Unterstützend können dafür harntreibende Mittel eingesetzt werden. Oftmals führt jedoch kein Weg an einer Operation vorbei.

Bei Blasengrieß ist es in akuten Fällen wichtig, etwas Grieß aus der Blase herauszubekommen, um den Tieren Erleichterung zu verschaffen. Beim Vorhandensein von viel Grieß kann sich die Blase von außen wie ein knetbares Lehmsäckchen anfühlen. Dann sollte eine Blasenspülung in Sedation mittels Harnkatheter erfolgen, um den Tieren kurzfristig Erleichterung zu verschaffen. Um die Ausscheidung von vorhandenem Grieß zu unterstützen, sollten betroffene Kaninchen mehrmals am Tag in eine aufrechte Position gebracht werden, damit sich der Grieß vom Boden der Blase aufschwemmt. Zusätzlich sollte die Blase aufgeschüttelt bzw. der Bauch massiert werden. Es kann hilfreich sein, das Futter in erhöhter Position anzubringen, besonders für Tiere, die sich nicht gerne einfangen lassen. Eine gute Flüssigkeitsaufnahme ist im Fall von Blasensteinen und Grieß besonders wichtig. Auch die Gabe von flüssigkeitsreichen Futtermitteln ist sinnvoll. Blasen- und Nierentee oder Brennnesseltee können hilfreich sein. Es gibt auch frei verkäufliche Präparate mit harntreibenden Stoffen, die unterstützend verabreicht werden können. Als Analgetikum ist Metamizol empfehlenswert, da es gut schmerzlindernd wirkt und auch eine krampflösende Wirkung hat. Wenn gleichzeitig eine deutliche Entzündung vorliegt, gebe ich zusätzlich Meloxicam.

In welchen Fällen ist eine Antibiotika-Gabe sinnvoll?

Die Gabe von Antibiotika ist nur dann sinnvoll, wenn ein bakterieller Infekt vorliegt, was bei kleinen Heimtieren mit Blasengrieß oder -steinen selten der Fall ist. Kaninchen, die an Enzephalitozoonose erkrankt sind, können eine Überlaufblase entwickeln – dadurch, dass die Blase nie vollständig entleert wird, kann sich vermehrt Grieß ansammeln. Zudem funktioniert der Schließmuskel häufig nicht richtig, was das Eindringen eines bakteriellen Infekts begünstigen kann.

Was ist bezüglich Management und ­Prophylaxe wichtig?

Die Besitzer sind gefordert, das Gewicht zu optimieren, Bewegung zu fördern und die Blase ein- bis zweimal täglich aktiv aufzuschütteln. Bei der Fütterung ist es wichtig, auf eine calciumarme Ernährung zu achten. Trockenfutter hat oft einen hohen Calciumgehalt und sollte generell gemieden werden. Man sollte auch auf Luzerne und große Mengen an getrockneten Kräutern verzichten – bei Kräutern gilt die Faustregel: Je dunkler das Grün der Kräuter, desto mehr Calcium ist enthalten. Bei Kaninchen und Meerschweinchen beliebte Kräuter wie Dill, Petersilie, Karottengrün und Pfefferminze sollten Risikopatienten in getrockneter Form gar nicht gegeben werden. In Regionen mit stark kalkhaltigem Wasser kann gefiltertes oder stilles Wasser mit niedrigem Calciumgehalt verwendet werden. 

Es ist jedoch wichtig, sicherzustellen, dass die Tiere nicht komplett calciumfrei ernährt werden, da sie eine gewisse Menge an Calcium benötigen. Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr mit frischfutterbetonten Rationen ist wichtig. Betroffene Tiere bleiben oft lebenslang Patienten, daher ist ein optimiertes Management für ihre Gesundheit entscheidend.