Die Diagnose Krebs ist für viele Tierbesitzer gleichbedeutend mit dem baldigen Verlust ihres Tieres. Für die einen ist an diesem Punkt rasch klar und beschlossen, dass sie ihr Tier nicht mehr behandeln lassen möchten, und die Entscheidung zum Einschläfern wird rasch und ohne lange Vorbereitung getroffen. Für die anderen ist ihr Tier Kinderersatz, treuester Partner und/oder gleichwertiges Familienmitglied und sie möchten in jedem Fall über Behandlungsoptionen informiert und beraten werden.
Für persönliche Gespräche im Falle einer „Krebserkrankung“ stehen Kleintieronkologen zur Verfügung, die zu den Themen onkologische Operationen, Chemotherapien, Strahlentherapien und Palliativtherapien fundiert beraten können. Sie führen entsprechende Behandlungen durch und sind entsprechend geschult, um Tierbesitzer umfassend mit ihren Sorgen und Ängsten emotional aufzufangen.
Begleitung in der Phase der Diagnosestellung
Sind die Halter des betroffenen Patienten emotional sehr stark mit ihrem Tier verbunden, verursacht die Diagnosestellung oft ein tiefes Schockgeschehen. Die Tierbesitzer finden keine Sprache, empfinden Gefühle des Verdrängens und Verleugnens und verweigern dadurch momentan den Kontakt zu ihrem Umfeld. In dieser Phase muss man den Betroffenen Zeit geben. Daher ist es unabdingbar notwendig, seinen zeitlichen Rahmen zu kennen und die Gespräche zur Diagnose terminlich gut zu planen.
Für die weitere Diagnostik und Therapie ist es wichtig, über die Familiensituation der Tierbesitzer, ihre Hoffnungen, Ängste, Interessen und Ziele zu sprechen. Diese Aussagen helfen den Tierhaltern bei der Entscheidung über mögliche Behandlungen. Dem Tierarzt helfen sie, einzuschätzen, ob der Tierbesitzer zuverlässig ist, wie seine gesundheitliche und seelische Verfassung sowie seine soziale und finanzielle Lage ist und ob er ausreichend Zeit und Engagement zur Verfügung stellen kann.
Bedürfnisse und Gefühle der Betroffenen
Tierbesitzer erwarten ehrliche und offene Informationen, sie wünschen die Wahlmöglichkeit der Therapie, aber auch die Akzeptanz ihrer Therapieentscheidung. Sie möchten selbst etwas tun und zum gegebenen Zeitpunkt die Kriterien für die Entscheidung zum Einschläfern kennen. Betroffene benötigen jemanden, der ihre Unsicherheit aushält, der das Schluchzen und Weinen erträgt und der am Ende zusehen kann, wie der Kampf ums Leben verloren wird. Die Gefühle der Tierbesitzer sind vielfältige, und doch wiederholen sie sich immer wieder.
Es sind Gefühle der Angst, sie stellen sich die Sinnfrage, haben den Wunsch nach Wahrheit, leiden unter Schuldgefühlen und geben Schuldzuweisungen. Sie erleben Hoffnung, aber auch Hilflosigkeit, fühlen sich überfordert, sind ratlos, verzweifelt und fürchten die Ungewissheit. Diese Gefühle müssen wir wahrnehmen und eine Atmosphäre schaffen, in der es den Tierbesitzern möglich wird, die Angst auszusprechen und zu benennen. Wir müssen gleichzeitig verhindern, dass die Angst zur Panik wird, zuhören und sensibel erfragen, welche Sorgen besonders quälend sind. Bei all dem ist es wichtig, selbst ruhig zu bleiben und sich nicht anstecken zu lassen.
Im Sinne von Albert Camus, einem der bekanntesten Existenzphilosophen des 20. Jahrhunderts, sind wir gefordert, unseren Tierbesitzern trotz momentan empfundener Sinnlosigkeit Mut zu machen. Sie sollen auf all die wertvolle gemeinsame Zeit mit ihrem Tier zurückblicken und verstehen, dass es Sinn macht, dem Tier eine Chance zu geben. Wir sollten sie darüber aufklären, dass eine klare Diagnostik helfen kann, die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Behandlung zu beantworten. Ebenso müssen wir Aufklärung darüber geben, dass eine gute Lebensqualität auch während der Behandlungen essenziell ist und Vorrang vor einer langen Lebenszeit hat. Viele Nebenwirkungen lassen sich durch begleitende Medikamente auf ein Minimum reduzieren.
Dem Wunsch der Tierbesitzer nach Wahrheit müssen wir unbedingt nachkommen. Gleichzeitig ist es unumgänglich, abzuwägen, wie viel Information zur Krankheit ihres Tieres die Tierbesitzer zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Umständen verkraften und verarbeiten können.
Schuldgefühle und Schuldzuweisungen treten bei fast jedem Betroffenen, manchmal nur im Ansatz, manchmal aber auch sehr heftig auf. Wir Tierärzte müssen bei diesen aktiv zuhören und das Gesagte wiederholen, ohne zu werten oder zu verurteilen. Wir dürfen Schuldzuweisungen ohne Hintergrund nicht persönlich nehmen, sollten diese aber in jedem Fall sachlich ruhig richtigstellen und dürfen dabei die Geduld nicht verlieren.
Ein weiteres großes Thema für Betroffene ist die Hoffnung. Aus der ursprünglichen Hoffnung „bis ans biologische Lebensende“, wird die auf Heilung, wenn diese nicht mehr in Aussicht gestellt werden kann, die Hoffnung auf ein schmerzfreies, langes Leben trotz Krankheit und zuletzt die Hoffnung, die Entscheidung zum Einschläfern nicht treffen zu müssen. Unsere wichtigste Aufgabe als Tierärzte ist es, realisierbare Hoffnungen und Wünsche zu unterstützen, bei der Findung neuer, abgeänderter Hoffnungen zu helfen, aber dennoch keine unrealistischen Hoffnungen zu wecken. Gerade in diesem Aspekt gehen die Möglichkeiten und damit auch die Einschätzungen des Haustierarztes und der Fachtierärzte oftmals auseinander. Was dem Haustierarzt oft nicht mehr sinnvoll erscheint, ist für den Spezialisten ein durchaus gangbarer Weg.
Es gibt hier kein „richtig“ oder „falsch“, aber die Notwendigkeit, die Tierbesitzer über die Möglichkeiten zu informieren. Für die einen ist der abgekürzte Weg, gemeinsam mit ihrem Haustierarzt, der richtige, andere wieder möchten die Therapiemöglichkeiten eines Onkologen nützen. In beiden Fällen sollten die Betroffenen Informationen sowie die Wahlmöglichkeit der Therapie bekommen, und von ihren Tierärzten die Akzeptanz ihrer Therapieentscheidung. Essenziell ist es auch, herauszufinden, wie die Tierbesitzer zum Schritt des Einschläferns stehen. Für manche ist es ein unumgänglicher, notwendiger und auch erleichternder Schritt für ihr Tier und sich selbst.
Andere empfinden diesen Schritt als Verbrechen und fühlen sich nicht in der Lage, die Entscheidung zu treffen. Gerade diese Tierbesitzer benötigen für ihr Tier eine individuelle Palliativtherapie mit guter Aufklärung über die Pflege und ausreichend Beratung, was den Betroffenen dann oftmals doch hilft, den letzten Schritt zu setzen.