Digitales Gesundheitsmonitoring

Bedeutung in der Wiederkäuermedizin

Bettina Kristof

Die Digitalisierung im Stall bietet neue Möglichkeiten für die Tiergesundheit. Trotz Skepsis vieler Tierärzte wird die digitale Technik den Veterinär nicht ersetzen, denn die Vielzahl an Daten muss auch richtig interpretiert werden.

In Milchviehbetrieben ist der Einsatz des digitalen Gesundheitsmonitorings mittlerweile gang und gäbe. Mit der modernen Technik lassen sich die Fütterung, die Fruchtbarkeit und die Gesundheit der Tiere überwachen. Durch den Einsatz der automatisierten Überwachung kann man rechtzeitig reagieren und somit Erkrankungen vermeiden beziehungsweise die Erkrankungsdauer verkürzen. Gleichzeitig kann mit den digitalen Möglichkeiten die ökonomische und ökologische Effizienz des Betriebs verbessert werden. Einen Einblick in die neuesten Entwicklungen auf diesem Sektor gab uns Univ.-Prof. Dr. med. vet. Marc Drillich, Leiter der Abteilung Bestands­betreuung bei Wiederkäuern der Universitätsklinik für Wiederkäuer an der ­Veterinärmedizinischen Universität Wien, in einem Interview.

Herr Professor Drillich, welche neuen Entwicklungen gibt es beim digitalen Gesundheitsmonitoring in der Wiederkäuermedizin?
Im Bereich des Precision Livestock Farming (PLF, Anm.) gibt es viele Neuerungen. Einerseits werden ständig neue Technologien und Anwendungen entwickelt, zum anderen geht der generelle Trend in die Richtung, dass die Anbieter probieren, mehrere Anwendungen mit einem Instrument abzudecken. Es gibt etwa eine österreichische Firma, die einen Pansen-Sensor anbietet, der ursprünglich nur den pH-Wert gemessen hat, jetzt aber auch andere Funktionen wie die Geburtsüberwachung bietet. Eine weitere Neuheit sind Bewegungssensoren in Ohrmarken, die jetzt auch die Wiederkauaktivität erkennen. Diese zu messen ist deshalb wichtig, weil viele Erkrankungen damit einhergehen, dass die Kuh Abweichungen im Kauverhalten zeigt. Das ist zudem individuell – jede Kuh liefert ihren eigenen Vergleichswert. Mit diesen Sensoren werden auch Bewegungsmuster aufgezeichnet, die für die Brunst und die Stoffwechselaktivitäten Bedeutung haben.

Was sind die genauen Vor- und Nachteile der digitalen Technik?
Ein klarer Vorteil ist, dass ich über eine kontinuierliche Datenerfassung über 24 Stunden am Tag verfüge. Diese kann ich analysieren und bei bedürftigen Einzeltieren reagieren. PLF macht auch einen Unterschied zu den Methoden der Vergangenheit: Früher hatte man einen Grenzwert, der für alle Tiere gleich war, doch jetzt konzentrieren wir uns auf das einzelne Tier. Wir vergleichen die Werte, die das jeweilige Tier vorher hatte, mit den aktuellen. Wir sehen uns Verläufe individuell an. Man kann damit einzelne Tiere selektieren, die Abweichungen in ihren Daten zeigen und einer besseren Betreuung bedürfen. Damit man die Vorteile des digitalen Gesundheitsmonitorings ausnützen kann, ist eine möglichst komplette und lückenlose Datenerfassung Voraussetzung. Wenn Sensoren ausfallen oder wenn Daten nicht gespeichert wurden, kann das zu Problemen führen. Wichtig ist auch, dass man die Vielzahl an Daten richtig interpretieren kann. Man muss sich also mit dem Thema beschäftigen, damit man es sinnvoll nützen kann.

Gibt es aktuelle Forschungsprojekte in Ihrer Abteilung?
Ja, die gibt es. Aktuell arbeiten wir in mehreren Projekten mit Beschleunigungssensoren, die im Ohr angebracht werden, um einzelne Zustände zu erkennen, die auf eine Erkrankung sowohl bei Kühen als auch Kälbern schließen lassen. Technisch ist vieles möglich, aber es gibt bisher nur wenige Studien, die zeigen, ob es sich wirtschaftlich lohnt. Viele Informationen wären auch für den Tierarzt wertvoll. Ein weiteres Forschungsprojekt unter dem Namen „DiLaAg – Digitale Technologien in der Landwirtschaft“ hat die Vetmeduni Vienna gemeinsam mit der TU Wien und der Boku ins Leben gerufen. Als Partner im Programm DiLaAg können wir unsere Erfahrung sowohl in der Anwendung digitaler, sensorbasierter Technologien zum Monitoring landwirtschaftlicher Nutztiere als auch unser Know-how an der Schnittstelle zwischen Veterinärmedizin und Landwirtschaft einbringen. Gleichzeitig wollen wir auch von den Erfahrungen der beteiligten Partner profitieren. Konkret liefern wir in diesem Projekt einen Beitrag zum Thema Monitoring von Kühen in der Weidehaltung. Wir untersuchen darin, ob man mit digitalem Monitoring nachweisen kann, ob die Tiere auf der Weide oder im Stall waren. Weiters möchten wir wissen, ob es digital erfassbare Indikatoren gibt, wo die Kühe sich wohler fühlen. Wir setzen dabei verschiedene Sensoren und auch Videotechnik ein. Videoanalysen sind ebenfalls wichtig, um automatisiert erfasste Verhaltensmuster interpretieren zu können. Wir überlegen auch, entsprechend ausgestattete Drohnen einzusetzen. Das wäre deshalb von Vorteil, weil die Weiden zu groß sind, um sie mit stationären Kameras zu beobachten.

Ab welcher Betriebsgröße ergibt es Sinn, die digitale Technik einzusetzen?
Das kommt darauf an, was man machen will. Auch für kleinere Betriebe ergibt ein digitales Monitoring Sinn, wenn Arbeitsabläufe vereinfacht oder angenehmer gestaltet werden sollen. Beispielsweise kann die automatisierte Geburtsüberwachung mittels digitaler Technik selbst in einem kleinen Betrieb wertvolle Dienste leisten. Wenn ein Gerät Alarm gibt, wenn eine Kuh kalbt, hat der Landwirt ein ruhigeres Leben. Es geht auch um Lebensqualität, nicht nur um Produktionseffizienz.

Sind die Systeme reparaturanfällig? Funktionieren sie verlässlich?
Das ist nicht pauschal zu beantworten. Es gibt viele Anbieter, die mit unterschiedlich gut präparierten Geräten auf den Markt kommen. Generell arbeiten die meisten verlässlich, aber alle technischen Apparate müssen gepflegt werden – man muss täglich schauen, ob die Sensoren funktionieren. Eine konsequente Überprüfung ist wichtig; man sollte sich nicht blind auf die Technik verlassen.

Welche Vorteile bietet das digitale Gesundheitsmonitoring für den Tierarzt?
Die digitale Technik bietet den Tierärzten viele Informationen. Aufgrund der Datenerfassung erkennt man gleich, wenn ein Tier von seinen üblichen Werten abweicht. Die indirekten Daten zeigen Abweichungen, die auf eine Krankheit hinweisen können. Man kann das mit einem Befund aus der Labordiagnostik vergleichen – da interpretieren wir auch indirekte Werte. Das digitale Monitoring bietet dem Tierarzt ein größeres Diagnosespektrum. Es macht eine Vorselektion und gibt den Hinweis, welches Tier man untersuchen sollte.

Haben Sie noch eine Botschaft an die niedergelassenen Tierärzte?
Ja. Ich erlebe immer wieder, dass Tierärzte Berührungsängste mit dem digitalen Gesundheitsmonitoring haben, doch ich denke, wir dürfen uns der Technik nicht verschließen. Die digitale Technik ersetzt den Tierarzt nicht, sie bietet eine neue Eintrittspforte, um sich besser um die Tier­gesundheit im Stall kümmern zu können. Es ist wichtig, dass die Tierärzte aktiv werden. Sie sollten sich mit der neuen Technik auseinandersetzen, sich weiterbilden und lernen, die Daten richtig zu interpretieren. Dann sind sie bestens für die Beratung und die Betreuung der Bestände vorbereitet – und das gehört ja zu den Kernkompetenzen der Tierärzte. Wir wissen von einigen Landwirten, dass sie sich von der Vielzahl an Informationen, die sie von den unterschiedlichen Geräten bekommen, überfordert fühlen. Fütterungsroboter, Melkmaschinen et cetera liefern ständig Daten – nicht alle kennen sich damit aus. Viele sind froh, wenn sie der Tierarzt dabei unterstützt. Tierärzte sind die wichtigsten Ansprechpartner für Landwirte, wenn es um Fragen der Tiergesundheit und des Tierwohls geht. Das wissen wir aus Umfragen. Tierärzte sollten dies auch wahrnehmen und das Feld nicht den Mitarbeitern aus der Industrie überlassen. Tierärzte sind neutrale Berater und haben damit einen hohen Stellenwert.