Die histologische Struktur der bovinen Placenta epitheliochorialis verhindert einen Übertritt maternaler Immunglobuline in den Fetus. Daher werden Kälber immunologisch ungeschützt geboren und sind von der Versorgung mit protektiven Immunglobulinen (IgG) aus dem Kolostrum und der damit übertragenen sogenannten passiven Immunität abhängig. Die Höhe des daraus resultierenden Immunglobulinspiegels im Serum des neonatalen Kalbes entscheidet über die immunologische Kompetenz und das Funktionieren der Immunabwehr. Die Aufgabe des Kolostrums ist die Bereitstellung eines herdenspezifischen Antikörperspektrums in ausreichender Menge im Serum des Kalbes zum Schutz vor den im Stall aktuell vorherrschenden Krankheitserregern.
Als Untergrenze für einen ausreichenden Immunschutz wird ein Serumspiegel von > 10 g/l IgG gesehen. In Betrieben mit hohem Infektionsdruck werden höhere Spiegel (14 g/l IgG) empfohlen. Bei einem Monitoring zur Einschätzung der Versorgungslage der Kälber wurde in den verschiedenen Betrieben ein Anteil von 40 bis 60 Prozent unterversorgter Tiere gefunden. Eine kolostrale Unterversorgung bedeutet auf der einen Seite eine Hypogammaglobulinämie mit resultierendem Immundefizit des neugeborenen Kalbes, auf der anderen Seite steht jedoch eine rasche Exposition einer großen Anzahl potenziell pathogener Mikroorganismen. Dies erklärt den überaus hohen Anteil von Krankheitsbildern infektiöser Natur in der frühen Lebensphase der Tiere. Eine Untersuchung der Serumimmunglobulinkonzentration des neugeborenen Kalbes ist eine retrospektive Möglichkeit zur Kontrolle des Kolostrummanagements beim Einzeltier.
Die sich aus unzureichender kolostraler Immunversorgung ergebenden gesundheitlichen Probleme mit hohen Morbiditäts- und Mortalitätsraten verursachen neben wirtschaftlichen und arbeitswirtschaftlichen Problemen wegen fehlender Akzeptanz auch zunehmend gesellschaftliche Probleme. In vielen Bereichen moderner Tierhaltung werden prophylaktische Maßnahmen noch mehr an Bedeutung gewinnen. Die adäquate Versorgung mit kolostralen Immunglobulinen stellt eine der wesentlichsten Prophylaxemaßnahmen im frühen Leben eines neugeborenen Kalbes dar.
Kolostrumbildung
In den letzten Wochen vor der Geburt kommt es im Euter unter hormonellem Einfluss zu einem Transfer von Immunglobulinen (IgG) aus dem Serum in das Euterlumen. Unter Beteiligung eines Rezeptors mit selektiver Bindung von IgG und anschließendem Transport durch die Gefäßmembranen kommt es zu einer hochgradigen Anreicherung des genannten Immunglobulins im Eutersekret. Diese extrem klebrige und zähe Masse wird als Präkolostrum bezeichnet (BILD 2).
Durch die hormonelle Umstellung mit Beginn der Kalbung kommt es zur Beendigung der Immunglobulinanreicherung, und das hoch konzentrierte Präkolostrum wird durch die unmittelbar vor der Kalbung durch steigende Prolaktinspiegel ausgelöste Milchsynthese verdünnt. Erst so entsteht das bei der Erstmelkung ermolkene Kolostrum. Der durch die Laktogenese zunehmende Verdünnungseffekt erklärt den nach dem Abmelken des Erstgemelkes im Zweitgemelk markant geringeren Anteil an kolostrumspezifischen Inhaltsstoffen. Ein frühes Melken unmittelbar nach der Geburt verhindert daher eine durch Verdünnung bedingte Qualitätsabnahme des gewonnenen Erstkolostrums.