Augmented Reality

im Operationssaal

Mag. Silvia Stefan-Gromen

Ein 3D-Operations­mikroskop, das mithilfe von Kopfbewegungen gesteuert wird, revolutioniert die chirurgische Arbeit in
der Tierklinik.

Der Begriff „Augmented Reality“ (Anm. der Red.: er­weiterte Realität) beschreibt die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung bzw. das Zusammen­spiel von digitalem und analogem Leben. Bekannt wurde „AR“ durch Computerspiele wie Pokémon Go, wobei es mittlerweile auch eine Vielzahl an Businessanwendungen wie Head-up-Displays in Autos, Flugzeugen und anderen Fahrzeugen gibt, wo die künstliche Intelligenz nicht mehr wegzudenken ist. Durch den enormen technologischen Fortschritt hält die virtuelle Realität auch weiterhin Einzug in unseren Lebensalltag – so auch im Operationssaal der Tierärzte.

Die Tierklinik Perchtoldsdorf Ost im Bezirk Mödling in Niederösterreich darf sich seit Juni 2020 (nach eigenen Angaben) als erste Tierklinik weltweit Besitzer eines sogenannten „Robotic Scopes“ nennen. Das Gerät wurde von der Firma BHS Technologies in Innsbruck entwickelt und ist ein 3D-Operationsmikroskop, das mithilfe der Kopfbewegungen des Arztes gesteuert wird und damit verschiedene Blickwinkel ermöglicht. Der Chirurg bzw. die Chirurgin trägt ein Headset, womit er oder sie mittels kleinster Gesten die Kamera des Mikroskops bewegt und so das Sichtfeld ändert. Es soll im Arbeitsalltag nicht nur komfortabler, sondern auch sicherer als herkömmliche ­mikrochirurgische Methoden sein. Die Durchführung von Operationen mithilfe des Roboters eröffneten dem Chi­rurgen der Tierklinik, Mag. Markus Preßl, neue Einblicke: „Die Arbeit am OP-Tisch ist revolutionär, wir verwenden ein Head-Mounted Display und eine Roboterkamera anstatt herkömmlicher Okulare und Mikroskope“, so Preßl. Die ­neurochirurgischen Eingriffe seien seither zur täg­lichen Routine geworden, und auch die Zahl der mikro­­chirurgischen Eingriffe würde rasant steigen.

Wie funktioniert das Operationsmikroskop?


Der Arm des Roboters arbeitet mit einer Genauigkeit von 0,02 mm, die 3D-Kamera ist auf die besonderen Bedürfnisse von Chirurgen zugeschnitten, und die Mikrodisplays, die in dem Headset integriert sind, haben eine Auflösung, die feiner ist, als das Auge wahrnehmen kann. Um die Auflösung besser ausnutzen zu können, wurde speziell für Operationen das Bildformat 4:3 gewählt. Somit fallen die unwichtigen Bereiche am Rand des Sichtfelds weg. Durch das Head-Mounted Display (HMD), das durch die Kopfbewegungen des Chirurgen die Roboterkamera steuert, hat der Tierarzt bzw. die Tierärztin zwei digitale Mikrodisplays direkt vor Augen. Wenn der Tierarzt oder die Tierärztin den Kopf neigt, erkennt dies das HMD und passt damit die Position der Kamera an. Die Kamera befindet sich direkt über dem OP-Feld und sendet hochauf­lösende 3D-Bilder in Echtzeit an das Headset. Sie fokussiert auf anatomische Strukturen und dreht sich dann mithilfe des Roboterarms um diese.

Dies trägt dazu bei, dass der Tierarzt bzw. die Tierärztin den Bereich in allen Perspektiven betrachten kann. Das Head-­Mounted Display und die Kamera sind entkoppelt; dadurch kann man mittels leichter Kopfbewegungen die Ansicht ändern, demnach freihändig die Roboterkamera steuern. Der Tierarzt bzw. die Tierärztin hat den Operationsbereich immer im Blick, ohne das Werkzeug weglegen und die Haltung der Kamera adjustieren zu müssen. Zudem kann der Roboter leicht durch den Raum geschoben werden, um zu seinem Einsatzbereich gebracht und dann wieder verstaut zu werden. Bild- und Videoaufnahmen werden während der OP sofort gespeichert, die Daten stehen danach gleich zur Verfügung; so spart man Zeit. Durch die intuitive Nutzung sei auch die Einschulung keine langwierige Angelegenheit: Erfahrungsgemäß haben die Anwender nach etwa zehn Minuten den Dreh raus und können mit dem Gerät loslegen. Abgesehen von der intuitiven Benutzung, der ergonomischen Haltung und der herausragenden Präzision hat die Roboterkamera weitere Vorteile: Die Operationszeit kann verkürzt und damit auch das Narkoserisiko um ein Viel­faches minimiert werden. Dies wiederum bedeutet, dass die Rekonvaleszenz der Patienten auch deutlich schneller ist.

Erfahrungsbericht


Als erste Operation am lebenden Tier wurde eine Routineoperation ausgewählt: Jimmy, ein zwölf Jahre alter Deutscher Schäferhund, erlitt einen akuten Bandscheiben­vorfall L7/S1 und kam in die Tierklinik. Nachdem alle Vorunter­suchungen durchgeführt worden waren und er für die Operation seine Freigabe bekommen hatte, konnte das OP-Team anfangen.

Der Zugang erfolgte klassisch, ohne Verwendung der Robo­terkamera, um eine bessere Übersicht zu gewährleisten. Ab dem Zeitpunkt der Verwendung der Chirurgiefräse bis zur Entfernung des prolabierten Bandscheibenmaterials sowie der durchgeführten Fenestrierung der Bandscheibe war das Robotic Scope im sogenannten Orbit-Modus im Einsatz. Die Adjustierung des Headsets erfolgte bereits nach dem Abdecken des Patienten. Sowohl die Anwendung der Roboterkamera als auch die Operation verliefen laut Tierklinik ideal. Seit der Einführung der neuen computergestützten OP-Methode wurden damit etwa 30 ­chirurgische Eingriffe durchgeführt. Besonders beeindruckend sei die erreichbare Präzision beim Fräsen und bei der Manipulation des Gewebes gewesen, so Preßl. Auch die Nutzung zu Dokumentationszwecken – Fotos und 3D-Videos – sei sehr vorteilhaft. Während der Operationen könne auf zwei Monitoren die Sicht des Chirurgen eingeblendet werden. Dazu Preßl: „Diese Einblicke auf das OP-Feld zu haben ist normalerweise nicht möglich und daher umso spannender für Praktikanten und auszubildende Mitarbeiter.“

Bisher wurden in der Tierklinik in erster Linie neurochirurgische Eingriffe sowie Augenoperationen und Gefäßnähte mit Unterstützung des Robotic Scopes durchgeführt bzw. erstellt. Auch für 2021 gibt es bereits Pläne: „Wir werden unser Spektrum erweitern. Bei diversen Operationen an brachycephalen Rassen, vor allem bei chirurgischen Eingriffen am Gaumensegel, Kehlkopf und den Nasenlöchern, werden wir ab Sommer 2021 praktisch um die Ecke sehen können. Ich werde in aufrechter Position eine Operation am Gaumensegel mit bisher nie da gewesener Präzision durchführen können. Weiters wird ein Fluoreszenzmodul mit unserer Hilfe implementiert und installiert werden. Wir hoffen, dass dieses dann routinemäßig eingesetzt wird, um Tumorzellen intraoperativ leuchten zu lassen und vollständig entfernen zu können“, so Preßl.