Kühe

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Tierärztin Tanja Warter

Onlinehandel ist beliebt wie nie und hat viele Vorteile. Die neue App „Viehworld“ ist die Idee eines Tierarztes – sie erspart landwirtschaftlichen Nutztieren viel Stress.

Dass man mit dem Handy seine Bankangelegenheiten erledigt, eine Fortbildung bucht oder ein neues Stethoskop bestellt, ist für viele längst zur Selbstverständlichkeit geworden. „Warum“, fragte sich der niederösterreichische Rinderpraktiker Wolfgang Schiessl aus Rabenstein an der Pielach, „müssen Landwirte in dieser digitalen Zeit ­eigentlich noch auf Viehversteigerungen fahren?“ Die Antwort auf diese Frage ist eine neue Onlineplattform, auf der via „eAMA“-Login registrierte Bauern Tiere zum Verkauf anbieten oder kaufen können – und zwar unmittelbar aus dem Stall heraus. Die Idee, realisiert von Schiessl und Florian Aspalter, einem Banker und Vermögensverwalter, vereint gleich mehrere positive Aspekte: Sie erspart den Tieren Transportstress, schützt durch weniger Fahrtkilometer die Umwelt, spart den Bauern Zeit und erhält die Gesundheit der Tiere, die für den Handel nicht mehr in großen Gruppen zusammenkommen müssen. Seit September ist die App „Viehworld“ inzwischen verfügbar, schon über 6.000 Mal wurde sie heruntergeladen. Das Vetjournal sprach mit dem erfinderischen Tierarzt Schiessl.       

Wie funktioniert „Viehworld“ genau?
Das System ist ganz einfach. Wer als Landwirt ein Tier zu verkaufen hat, macht davon Fotos oder auch Videos, gibt die wichtigsten Informationen zum Tier bekannt und lädt alles online hoch. Andere Bauern können sich ansehen, was es auf dem Markt gibt, und auch schauen, welche ­Tiere in der näheren Umgebung zu welchem Preis angeboten werden. Der Kauf selbst wird dann direkt zwischen Käufer und Verkäufer abgewickelt. Übrigens können sich nur Landwirte mit „eAMA“-Kennung einloggen.   

Wie waren die ersten Reaktionen der Bauern darauf?
Wirklich hervorragend, denn die Grundidee begeistert die meisten. Landwirte müssen nun nicht mehr alle 14 Tage Rinder verladen, sie zur Versteigerung bringen, eventuell am nächsten Tag nochmals hinfahren und so weiter. In dieser ganzen gesparten Zeit kann man daheim viele wichtige Arbeiten leisten. Neben gesparten Kilometern und weniger CO2 gehört für mich die Zeit, in der man am Betrieb etwas tun kann, anstatt im Auto zu sitzen, auch zur Nachhaltigkeit dazu. Und damit das prickelnde Gefühl einer Versteigerung bleibt, kann neben dem Sofortkauf in der App auch gesteigert werden. Wird das alte Angebot überboten, bekommen der Verkäufer und der andere Bieter eine Push-Nachricht.        

Wie ist die Idee eigentlich entstanden?
Die Idee kam ursprünglich aus dem Praxisalltag, in dem wir Tierärzte viele Hygieneregeln einhalten: Man trägt stalleigene Kleidung, teils duscht man sich sogar, um kein fremdes Keimspektrum in den Stall zu bringen – und dann fahren die Bauern mit den Tieren andererseits frisch-fröhlich alle zwei Wochen auf Versteigerungen, wo etliche ­Tiere in bunt gemischten Gruppen zusammenkommen. Da muss man sich schon fragen, wie sinnvoll dieses System ist. Zwar habe ich keine Studien zu diesem Thema gemacht, aber subjektiv hatte ich den Eindruck, dass etwa eine ­Woche nach den Kälberversteigerungen die Fälle der Enzootischen Pneumonie deutlich zugenommen haben. Gerade für die Kälber, die ja von der Geburt an laufend verschiedenen Stressoren ausgesetzt sind, kann das problematisch sein. Sicher, ein gewisses Maß an Stress ist positiv, aber wenn alles zusammen zu viel wird, schadet es dem Tier nur. Das kann man sich und dem Tier mit der App ersparen.

Viehversteigerungen haben eine lange Tradition – einige Menschen werden in der App eine Bedrohung sehen, oder?
Sich von alten Gewohnheiten zu lösen ist sicher nicht einfach. Und den sozialen Aspekt einer Versteigerung können wir natürlich so nicht bieten. Die Atmosphäre einer Live-Versteigerung hat ihren eigenen Reiz, das ist sicher so. Aber wir sehen uns derzeit auch eher als Ergänzung und nicht als Konkurrenz. Ich kann nur hoffen, dass die Veranstalter der Auktionen das auch so sehen. Die Zeit ist auf jeden Fall reif für diese Ergänzung.

Seit Corona ist das Verständnis dafür, wie sich Seuchen ausbreiten, doch wahrscheinlich gewachsen und die Akzeptanz einer App größer, nicht wahr?
Ja, das stimmt schon. Spreche ich mit Bauern, dann sagen sie spätestens nach meinem dritten Satz: „Jo, eigentlich host eh recht.“ Das Wissen darüber, dass Ansammlungen immer ein Risiko darstellen, hat sich auf jeden Fall in den Köpfen verankert. Darüber muss man heute nicht mehr diskutieren.

Wie hat sich die App in den ersten Monaten verändert?
Wir sichten und sortieren das Feedback der Nutzer sehr genau. So kommt es, dass wir seit September bereits 25 Updates durchgeführt haben. Es ist schön, zu sehen, wie nach und nach alles besser und für den Nutzer einfacher wird. Mir gefällt besonders, das Tier in seinem gewohnten ­Lebensumfeld zu sehen. Bei Versteigerungen wird immer gewaschen und gestriegelt, die Arena lässt keine Rückschlüsse auf die echten Haltungsbedingungen zu. Das ist mit der App anders: Hier bekommt man auch gleich einen Eindruck vom Herkunftsbetrieb vermittelt. Das gefällt mir.

Wie sind denn Ihre Pläne für die Zukunft?
Wir haben uns für 2022 neben dem österreichischen den deutschen und den Schweizer Markt vorgenommen. Im kleinen Grenzverkehr wünschen sich sowohl Verbände als auch Bauern ein übersichtlicheres Angebot. Wir haben in Österreich schon viel gelernt – jetzt sehen wir uns in der Lage, über die Grenzen zu gehen. Das Ziel ist irgendwann eine europaweite Handelsplattform für landwirtschaft­liche Nutztiere.

Also nicht nur Rinder?
Nein. Derzeit haben wir zusätzlich zu Rindern auch ­Schafe im Angebot. Weitere Tierarten wie Ziegen, ­Schweine, ­Alpakas und andere folgen in den nächsten Wochen.

Noch sind die Rezensionen eher durchwachsen …
Mit den Rezensionen ist es natürlich immer so eine Sache. Auf der emotionalen Seite haben wir da tatsächlich ein Thema berührt, das vielen, vor allem den Traditionalisten, sauer aufstößt, auf der technischen Seite gibt es natürlich anfänglich immer ein paar Probleme. In unserem Fall waren das teilweise Login-Probleme oder Probleme aufgrund gefühlt Hunderter verschiedener Handymodelle. Solche Probleme werden größtenteils verziehen, außer eben in den Rezensionsplattformen.

Entsprechend schnell konnten wir mit viel Mühe und ­Gesprächen und der Unterstützung und Geduld der User, die dann leider ihre Erfahrungen nicht gepostet haben, die Probleme lösen. Leider schreiben bei den Onlinerezensionen oft nur die User, die negative Erfahrungen gemacht haben. Dieses Phänomen kann man aber auch bei allen anderen Dienstleistern – und leider auch bei den Onlineauftritten der Tierarztpraxen – beobachten.

Wir bekommen jedenfalls per E-Mail und telefonisch großen Zuspruch, viele Ideen, Verbesserungsvorschläge – und, ja, auch ich habe da vieles gelernt im vergangenen Jahr: In der Entwicklung einer App funktioniert vieles anders als in meinem Hauptberuf als Nutztierpraktiker, gerade wenn es um das Lösen von Problemen geht.

Mehr Infos unter:
www.viehworld.com