Mag. Dietmar Gerstner
1. Vizepräsident der Österreichischen Tierärztekammer
Delegierter bei UEVP und FVE
Die Diskussion über die Anbindehaltung von Rindern wogt nun schon seit geraumer Zeit hin und her, zuletzt befeuert durch ein Positionspapier des Bundes Deutscher Landjugend (BDL), das ein totales Verbot der Anbindehaltung von Rindern fordert. Dies selbstverständlich mit Übergangsfristen – fünf Jahre bei ganzjähriger, zehn Jahre bei saisonaler Anbindehaltung. Prompt reagierte die Bayerische Jungbauernschaft (BJB) und deklarierte sich klar gegen den eigenen Dachverband, unter Verweis auf eine gemeinsame Position der Bauernverbände von Bayern und Baden-Württemberg („Süddeutsche Erklärung“).
Die darin dargelegten Argumente, dass aufgrund der vielfach schwierigen topografischen Verhältnisse im Bergland ein derartiges – auch mit Übergangsfristen versehenes – Verbot den Strukturwandel, weg von kleinen bäuerlichen Familienbetrieben, hin zu großen „agroindustriellen“ Einheiten, unnötig beschleunigen würde, sind hinlänglich bekannt.
Wie sieht’s bei uns in Österreich aus? Dass wir in unseren Berggebieten ähnliche, vielfach noch viel extremere topografische Bedingungen vorfinden als in Süddeutschland, liegt auf der Hand. Eine akkordierte Position der Österreichischen Tierärztekammer (ÖTK) zu diesem Thema steht derzeit noch aus, daher kann ich hier nur meine persönliche tierärztliche Sicht als (überwiegend) Rinderpraktiker in einem Berggebiet darlegen. Aufgrund der vorgegebenen Kürze dieses Kommentars kann es auch nur ein Denkanstoß, eine Diskussionsgrundlage sein.
Ich persönlich lehne wirklich dauernde Anbindehaltung von Rindern ab. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass permanente Fixierung eines Rindes an einem Platz während der Aufzucht und während eines vier-, fünf-, sechsjährigen (oder längeren) Kuhlebens auch nur annähernd tiergerecht sein kann. Das Bedürfnis der Tiere nach Bewegung, Sozialkontakten mit Artgenossen, Licht und Luft wird hier einfach ignoriert. Ganz anders verhält es sich meiner Meinung nach mit der saisonalen Anbindehaltung, also überwiegend während des Winters, mit Weidegang oder sogar Alpung während des Sommers. Ich bin persönlich davon überzeugt, ohne die Geschichte vermenschlichen zu wollen, dass die Tiere nach einem Jahresdurchgang ganz genau wissen, dass auf die „karge“ Winterzeit die Zeit der Weide, des Lichts, des frischen Grüns und der freien Bewegung folgt.
Wer jemals beobachtet hat, wie Rinder nach einem Weidegang freiwillig in den Stall auf ihren angestammten Platz marschieren und sich dort bereitwillig fixieren lassen – ein alltägliches Bild für mich –, wird schwerlich behaupten können, dass dies nicht tiergerecht wäre, soferne man „Nutztierhaltung“ überhaupt akzeptiert. Rangordnungskämpfe, Streitigkeiten um den besten Fressplatz usw. gibt es da jedenfalls nicht.
Abgesehen davon, dass es in Österreich, speziell in meiner Region, einen sehr hohen Anteil an biologisch wirtschaftenden Betrieben gibt, die ohnehin verpflichtet sind, ihren Tieren auch während des Winters (dokumentierte!) Bewegung im Freien zu ermöglichen, ist auch jeder konventionelle Betrieb gut beraten, den Tieren diese Freiheit zu ermöglichen, alleine schon wegen der Brunsterkennung, die bei dauernder Anbindehaltung mehr als schwierig ist. Dazu kommen natürlich die sonstigen gesundheitsfördernden Aspekte im Sinne der allgemeinen „Fitness“ bis hin zum notwendigen Abrieb der Klauen.
Ganz grundsätzlich – oder auch philosophisch betrachtet – ist festzuhalten, dass Nutztierhaltung zwecks Gewinnung von Lebensmitteln für den menschlichen Verzehr immer nur ein Kompromiss sein kann – ein Kompromiss zwischen Tierwohl, Menschenwohl, praktischer Machbarkeit, wirtschaftlichen Zwängen usw. Schließlich erwartet die Konsumentin/der Konsument ja auch leistbare Nahrungsmittel. (Wenn jemand diese Nutztierhaltung ganz grundsätzlich ablehnt und konsequenterweise seine Ernährungsgewohnheiten danach ausrichtet, so ist das zu akzeptieren. Wer allerdings Lebensmittel zu sich nimmt, die von landwirtschaftlich gehaltenen Tieren stammen, muss diesen Kompromiss akzeptieren.)
Dass das Tierwohl aus unserer tierärztlichen Sicht ein ganz zentrales prioritäres Anliegen sein muss, ist klar. Dennoch darf man den „Menschenschutz“ – in diesem konkreten Fall der Bauernschaft und natürlich auch der Tierärztinnen und Tierärzte – nicht ganz außer Acht lassen. Tatsache ist für mich, und dieses Faktum muss auch einmal offen ausgesprochen werden, dass manche Haltungsformen, insbesondere in der Mutterkuhhaltung (Fleischgewinnung), aufgrund der wörtlich zu nehmenden Unnahbarkeit der Tiere die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten massiv einschränken bzw. jede Untersuchung oder Behandlung einen unglaublichen Stress für die Tiere darstellt. Auch das kann tierschutzrelevant sein.