Anästhesie beim Heimtier –

wie kann das Narkoserisiko minimiert werden?

Dr. med. vet. Elisabeth Reinbacher

Ob Kaninchen, Ratte, ­Chin­chilla, Maus oder Hamster, die medizinische Versorgung von kleinen Heimtieren hat in den letzten Jahren stark an Qualität gewonnen. Fachexpertin Dr. Eva Eberspächer-Schweda gibt Einblick in ihre Arbeit.

Die Anästhesie von Nagern ist mit einem höheren Risiko verbunden als bei Hund oder Katze – doch was sind die Ursachen und wie kann die Mortalitätsrate möglichst niedrig gehalten werden? Priv.-Doz. Dr. med. vet. habil. Eva Ebers­pächer-Schweda, FTA, Dipl. ACVAA, ist Privat­dozentin und Senior-Assistenzärztin an der Klinischen Abteilung für Anästhesiologie und perioperative Intensiv­medizin an der Vetmeduni Vienna. Kleine Heimtiere in Narkose zu legen ist für die Anästhesistin Routine; abgesehen von ihrer Erfahrung im klinischen Bereich hat sie auch jahrelang mit Versuchstieren gearbeitet. „Besitzer von kleinen Heim­tieren sind immer mehr bereit, in die Diagnostik und Thera­pie ihrer Tiere zu investieren. Diese haben – wie Hund und Katze – großen emotionalen Wert als Haustiere. Auch die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten sind viel besser als noch vor ein paar Jahren“, betont Dr. Ebers­pächer-Schweda und fährt fort: „Wir sehen etwa acht bis zehn Heimtiere pro Woche in der Abteilung für Anästhesiologie, hauptsächlich Kaninchen und Meerschweinchen, aber auch Ratten, Mäuse, Chinchillas und Hamster kommen regelmäßig vor. Die häufigsten Gründe, warum sie anästhesiert werden müssen, sind komplexere Zahn­probleme und Tumore, aber auch Operationen am Abdomen und Thorax werden durchgeführt. Kastrationen haben wir eher selten, da diese im Normalfall von den Haustierärzten übernommen werden.“

Warum haben kleine Heimtiere ein höheres Narkoserisiko? Darauf weiß die Spezialistin mehrere Antworten: „Heimtiere haben definitiv ein höheres Risiko als Hund oder Katze, während der Anästhesie zu sterben. Diese Tatsache ist multikausal. Je kleiner das Tier, desto größer ist die Proble­matik, die Narkose zu überwachen und auch dement­sprechend einzugreifen. Meist sind die Tiere nicht intubiert und haben keinen intravenösen Zugang, was die möglichen Maßnahmen bei Anästhesiekomplikationen stark einschränkt. Die meisten Heimtiere sind hochgradig gestresst und bis zu den Ohrenspitzen voll mit Adrenalin, was wiederum dazu führt, dass Anästhetika nicht so gut wirken. Je mehr Medikamente ich brauche, damit das Tier gut in Narkose liegt, desto mehr Nebenwirkungen habe ich auch. Zudem sind die Tiere häufig bereits in einem schlechten Allgemein­zustand; Fluchttiere zeigen bis zum Schluss kaum klinische Symptome, weswegen Erkrankungen oft erst spät erkannt werden. Das heißt, wir anästhesieren potenziell sehr kranke Tiere, welche aufgrund der Erkrankung allein schon eine höhere Mortalität haben.“

Ein weiterer Grund sind auch die traditionellen Anästhesie­protokolle: „In den älteren Studien und Lehrbüchern sind sehr hohe Dosierungen der Anästhetika publiziert, die meisten dieser Daten kommen aus der Versuchstier­kunde, wo mit jungen, gesunden Tieren gearbeitet wird. Diese Angaben sind für kranke Tiere aber unweigerlich über­dosiert.“ Dr. Eberspächer-Schweda hat in ihrem Buch „Anästhesie­Skills“ überarbeitete und angepasste Dosierungen und Protokolle für Heimtiere zusammengefasst. Um die Risiken zu minimieren, kann präanästhetisch einiges getan werden.

Die Anästhesistin betont die Wichtigkeit, das exakte Körper­gewicht mit einer für diesen Zweck geeigneten Waage zu bestimmen. Eine klinische Untersuchung im Rahmen der Möglichkeiten hilft dabei, den Allgemein­zustand des Patienten einzuschätzen. Im Falle einer Dehydrierung sollte jedenfalls vor der Narkose rehydriert werden.

Bei Kaninchen kann dies intravenös erfolgen, der Venen­katheter wird in die Ohrrandvene gesetzt. Einen kleinen Trick dafür verrät Dr. Eberspächer-Schweda: „Ich rasiere die Vene aus und gebe eine Creme mit Lokalanästhetikum darauf. Damit können zwei Fliegen mit einer Klappe ge­schlagen werden: Das Kaninchen spürt den Einstich nicht und außerdem führt das Lokalanästhetikum zur Vasodilata­tion und ich sehe das Gefäß auch besser.“ Bei kleineren Heimtieren, wo kein intravenöser Zugang gelegt werden kann, beschränkt sich die Rehydrierung auf eine sub­kutane Infusion. Im Optimal­fall bekommt das Tier eine angewärmte Vollelektrolytlösung auf eine bis mehrere Stellen verteilt. „Idealerweise gibt es auch Laborwerte, zumindest einen Tropfen Blut für die Glucosebestimmung bekomme ich meistens“, erzählt die Tierärztin.

Besonderheiten bei Nagern

Ein großer Unterschied zu Hund und Katze ist, dass pflanzen­fressende kleine Heimtiere nicht nüchtern sein dürfen, Wasser und Heu müssen immer zur Verfügung gestellt werden. Fruktosehaltige Nahrung wie Obst und Karotten wiederum sollte nicht kurz vor einer Narkose gegeben werden, weil diese zu Blähungen im Gastrointestinal­trakt führen kann. Dies gilt nicht für Frettchen – für die Fleischfresser ist eine Nahrungskarenz von drei bis vier Stunden empfehlenswert. „Frettchen behandle ich eigentlich aus anästhetischer Sicht wie Katzen, sie sind auch sehr leicht intubierbar und zählen für mich nicht zu den klassischen kleinen Heimtieren wie Nager und Kaninchen“, so die Universitätsassistentin. Stressarmes Handling, Zeit für die Tiere, sich nach dem Transport zu beruhigen, und möglichst kein Sichtkontakt zu Hunden oder Katzen sind weitere präanästhetische Benefits. Zusätzlich betont die Anästhesistin:„Was bei Hamstern und Meerschweinchen nicht vergessen werden sollte, ist die Reinigung der Maulhöhle. Oft sind hier große Mengen an Futter zu finden, die während der Narkose die Atemwege verlegen können. Hamstern sollte die Möglichkeit gegeben werden, ihre Backentaschen zu entleeren. Bei Meerschweinchen mache ich eine Maulhöhlenspülung: Mit einer Spritze spüle ich vorsichtig warmes Wasser in das Maul, das hat erstens den Effekt, dass Nahrungsreste herausgespült werden und zweitens den Vorteil, dass auch einiges von dem Wasser geschluckt wird, was wiederum der Rehydrierung des Tiers sehr zuträglich ist.“ Und nicht vergessen werden darf die Augensalbe: Die Augen von Heimtieren stehen in der Narkose recht weit heraus und liegen auch lateraler, deswegen wird ein Schutz der Augen mit großzügig verteilter Augensalbe empfohlen.

Injizierbare Anästhetika werden intramuskulär in den M. quadriceps bzw. M. semitendinosus verabreicht. Eine Ausnahme stellen Tiere dar, die unter 100 g wiegen; hier sollte subkutan appliziert werden. Ketamin, ein häufiger Bestandteil der Injektionsnarkose, kann Muskelnekrosen verursachen – je kleiner das Tier, desto eher sollte subkutan gespritzt werden. Ist das Tier sediert, wird, wenn möglich, ein (sehr kleiner, also 24 oder 26 G) intravenöser Zugang gesetzt; beim Kaninchen vorzugsweise in die Ohrrandvene, aber auch die V. cephalica und V. saphena lateralis sind möglich. Letztere werden auch bei Ratte und Meerschweinchen katheterisiert.

Ein Thema, das bei Injektionsnarkosen häufig vernach­lässigt wird, ist die Sauerstoffzufuhr. Auch wenn Heimtiere meist keine Inhalationsnarkose bekommen, sollte darauf nicht vergessen werden. „Jede Anästhesie verursacht eine Hypoventilation, die bei Raumluft unweigerlich zu einer Hypoxämie führt. Bei Heimtieren hat man den Vorteil, dass sie fakultative Nasenatmer sind, somit kann man selbst bei Eingriffen in der Maulhöhle über eine Nasenmaske Sauerstoff verabreichen. Entweder kann ich hierfür einfach das Y-Stück des Inhalationsschlauchs nehmen oder spezielle kleine Nasenmasken, die über die Nase gestülpt werden. Manche verwenden auch Nasensonden; hier muss nur beachtet werden, dass der Widerstand durch den kleinen Durchmesser der Sonde sehr hoch ist. Auch hier gibt es einen kleinen Trick, indem das Überdruckventil teilweise geschlossen wird und in die Sonde kleine Löcher gemacht werden.“ Dr. Eberspächer-Schweda erklärt, dass eine Inhalations­narkose beim Heimtier in der Praxis selten gemacht wird. Die Inhalationsnarkose sei anzuraten, wenn es sich um längere Eingriffe handle, kurze Anästhesien werden in der Regel mittels reiner Injektionsnarkose gemacht.

Die Gründe liegen in der je nach Heimtierart sehr schwierigen bis manchmal auch unmöglichen Intubation. Die Anästhesistin erklärt die Gegebenheiten: „Beim Kaninchen ist eine Intubation möglich, entweder unter Sicht oder blind oder auch unterstützt mit Kapnographie, allerdings braucht man hierfür viel Übung. Praktikabler sind bei dieser Tierart Larynxmasken, die einfach aufgesetzt werden können und in fünf Größen erhältlich sind; im Falle eines Eingriffs in der Maulhöhle sind sie jedoch meist zu groß.“ Und weiter: „Meerschweinchen sind aufgrund eines laryngealen Schleimhautrings praktisch nicht intubierbar. Kleinere Tiere wie Ratten oder Mäuse werden so gut wie nie intubiert; im Versuchstierbereich wird es mithilfe von Kathetern gemacht, dies ist aber in der Praxis nicht üblich. Die Intubation von Frettchen wiederum kann wie auch bei Hund und Katze sehr einfach durchgeführt werden und gehört zur Routine. Reine Inhalationsnarkosen über eine Maske empfehle ich nicht, da das Tier analgetisch nicht abgedeckt ist, somit muss wiederum so viel Iso- oder Sevo­fluran verwendet werden, dass die Nebenwirkungen der Atem- und Kreislaufdepres­sion sehr stark sind. Das funktioniert eigentlich nur für kurze und schmerzlose Eingriffe wie das Zähneschleifen – sobald es um schmerzhafte oder längere Eingriffe geht, muss eine multimodale und balancierte Anästhesie angestrebt werden, dies entspricht unserem hohen Standard. Es funktioniert aber beispielsweise sehr gut, eine Injektionsnarkose unter der Verwendung eines Inhalationsgases mittels Maske zu vertiefen, wenn Bedarf besteht.“

Beobachtung und Kontrolle

Dr. Eberspächer-Schweda betont, wie wichtig das Monitoring beim anästhesierten Heimtier ist. Hypothermie ist immer eine Folge der Narkose, durch die große Hautoberfläche kommt es sehr schnell zum Wärmeverlust. Dazu die Tierärztin: „Wärmen und das regelmäßige Messen der inneren Körpertemperatur sind essenzielle Maßnahmen, alle anästhesierten Heimtiere werden kalt. Die beste Methode der Wärmezufuhr sind Warmluftgebläse. Wärmematten sind bei den Heimtieren ineffizient, da die Auflagefläche sehr gering ist und die Wärme aufgrund von konstrin­gierten Hautgefäßen nur ungenügend in den Körperkern transportiert werden kann. Die Kontrolle der inneren Körper­temperatur mittels rektaler Messung sollte ganz regel­mäßig gemacht werden, selbst bei Mäusen funktioniert dies mit kleinen Thermometern sehr gut. Wichtig ist, sich nicht in Sicherheit zu wiegen, sondern wirklich aktiv zu kontrollieren, ob die Wärmezufuhr ausreichend ist.“

Ein weiteres Monitoringgerät kann bei Heimtieren gut eingesetzt werden: das Pulsoxymeter. Der Clip wird bei sehr kleinen Tieren über den ganzen Fuß gesetzt, auch an der Zunge funktioniert es oft gut. Beim Kaninchen ist das Ohr eine beliebte Stelle, um das Pulsoxymeter anzusetzen. Die Limitation liegt hier bei der Herzfrequenz – humanmedizinische Geräte stoßen an ihre Grenzen. Der Kauf eines speziellen veterinärmedizinischen Geräts, welches hohe Herzfrequenzen messen kann, ist anzuraten. „Sogar die Blutdruckmessung ist häufig möglich, es gibt Geräte mit sehr kleinen Manschetten, die am Schwanz oder den Extremitäten von Chinchilla, Ratte, Meerschweinchen und Kaninchen angelegt werden. Der Trend der Blutdruck­entwicklung kann mir sehr gut sagen, ob die Narkose zu tief oder zu flach ist“, ergänzt die Anästhesistin. Die Möglichkeiten, bei Komplikationen einzugreifen, hängen stark davon ab, ob das Tier einen Venenkatheter hat und intubiert ist.

Was macht man nun als Tierarzt/Tierärztin bei der schlimmsten aller Komplikationen, dem Herz-Atem-stillstand? Die Spezialistin führt aus: „Wenn ich ein Tier mit Venenkatheter und Tubus oder Larynxmaske habe, dann ist das ein großes Glück und ich kann Medikamente gut verabreichen und sogar ventilieren. Wichtig ist es, die Notfallmedikamente und Antago­nisten der Anästhetika griffbereit zu haben und vorher auszurechnen, wie viel das Tier benötigt, damit ich dann schnell handeln kann. Zuerst verabreiche ich die passenden Antagonisten beziehungsweise nehme das Inhalationsgas weg. Habe ich einen intravenösen Zugang, wirken Medikamente sehr schnell und können dem Patienten das Leben retten; ohne diesen Zugang habe ich jedoch praktisch keine Möglichkeit, dem Tier Notfallmedikamente zu geben. Erkenne ich Komplikationen früh, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Tier gerettet werden kann, viel höher. Die Herzfrequenz ist ein sehr guter Parameter und sollte kontinuierlich überwacht werden, entweder mittels Pulsoxymeter oder mittels Stethoskop. Fällt die Herzfrequenz, kann ich sehr früh gegensteuern. Atmet das Tier nicht und ist es auch nicht intubiert, kann ich versuchen, das Tier in meinen Händen zu schwenken, so kann ich die Schwerkraft nutzen, um eine Atembewegung zu imitieren. Wichtig ist natürlich auch, dass Sauerstoff über die Maske verabreicht wird. Beim Herzstillstand kann mit zwei Fingern vorsichtig eine Herzmassage gemacht werden.“

Die OP ist geschafft, das Tier lebt, alles gut? „Auch postoperativ hat der/die AnästhesistIn noch einiges zu tun. Laut einer perioperativen Mortalitätsstudie stirbt ein Drittel der Heimtiere während der Narkose, ein Drittel in der Aufwachphase und das dritte Drittel innerhalb der ersten 24 Stunden danach. Die postoperative Phase ist sehr kritisch. Alles, was antagonisierbar ist, sollte auch antagonisiert werden. Weiteres Monitoring – wie Kontrolle der Atmung und des Kreislaufs und Temperaturmessung – ist sehr wichtig. Sollte das Tier aufblähen, muss mit passenden Medikamenten gegengesteuert werden. Kaninchen und Meerschweinchen sollten schnell wieder fressen und müssen angefüttert werden, allerdings muss das Tier vollständig wach sein, ansonsten ist die Gefahr einer Aspiration gegeben. Auch an das analge­tische Management muss gedacht werden: nicht­steroidale Antiphlogistika und Metamizol respektive Buprenorphin werden hier eingesetzt, auch Lokalanästhesie ist je nach OP postoperativ eine gute Möglichkeit“, so die Tierärztin. Dr. Eberspächer-Schweda betont abschließend, dass auch bei Heimtieren hohe Standards möglich sind. Besonders das Monitoring sei das Um und Auf, um Komplikationen früh genug erkennen zu können. Eine gute Narkoseüberwachung, Sauerstoffzufuhr, idealerweise ein intravenöser Zugang, nach Möglichkeit eine Sicherung der Atem­wege und ein gutes postoperatives Management können das recht hohe Narkoserisiko minimieren.