Alarm

im Darm

Bettina Kristof

Pferde haben ein sensibles Verdauungssystem, das leicht aus dem Gleichgewicht gerät. Gutes Futter ist die Grundvoraussetzung für einen gesunden Darm.

Darmerkrankungen treten bei Pferden recht häufig auf. Warum sie entstehen und worauf man vorbeugend achten soll, erfuhren wir in einem Interview mit Dr. med. vet. Anja Kasparek, die gemeinsam mit Dr. Martin Waselau die Pferde­klinik in Aschheim bei München leitet. Die beiden Tierärzte sind auch Inhaber der Pferdeklinik.

Frau Doktorin Kasparek, jetzt im Frühjahr, wenn die Pferde wieder auf die Weide dürfen, beginnt die Zeit der Koliken. Was gilt es da zu beachten?
Dass Koliken im Frühjahr gehäuft auftreten, liegt vor allem daran, dass die Pferdehalter zu Beginn der Weide­saison die Pferde nicht schrittweise oder zu hungrig auf zu viel frisches Gras umstellen. Der Organismus der Pferde muss sich jedoch langsam umgewöhnen. Am besten, man gibt den Pferden speziell im Frühjahr morgens viel Heu; sie sollen sich richtig satt fressen können. Erst dann lässt man sie hinaus, dann ist ihr Heißhunger auf frisches Gras nicht mehr so groß. Der Morgentau ist auch schlecht für Pferde, deshalb sollte man sie nicht zu früh am Morgen auf die Weide lassen. Pferde, die ganzjährig Zugang zur Weide haben, tun sich im Frühjahr leichter. Wenn unregelmäßig gefüttert wird oder wenn die Pferdehalter Futterstroh geben, dann häufen sich die Koliken. Das ist vielen Tierhaltern nicht bewusst, deshalb sollten die Tierärzte das kommunizieren und ruhig gezielt nachfragen.

Bei Darmerkrankungen beim Pferd denkt man meistens gleich an Koliken, aber es gibt ja auch zahlreiche andere Probleme. Welche treten immer wieder auf?
Verwurmungen treten immer wieder auf und belasten den Darm. Die Ursache dafür ist meist mangelnde Stall­hygiene. Ich halte mich beim Thema Würmer an die ESCCAP-Empfehlungen. Diese unabhängige Organisation empfiehlt ein häufiges konsequentes Entwurmen von Fohlen und Jähr­lingen, um späteren Schäden vorzubeugen. Das Problem ist, dass immer mehr Bestände mit zunehmenden Resistenzen und hohem Parasitenvorkommen zu kämpfen haben. Dazu kommt, dass oft weder selektive noch stra­tegische Ent­wurmung in enger Zusammenarbeit mit Weide- und Stallhygiene verfolgt wird noch in den empfohlenen Abständen mit Konsequenz untersucht und gegebenenfalls adäquat entwurmt wird. Aus Chirurgensicht kann ich nur bestätigen, dass die meisten überwiesenen Kolik­patienten – opera­tiver wie auch konservativer Art – die meisten Patienten werden positiv auf Strongy­lide getestet. Daher sollte ein möglicher Zusammenhang mit Verwurmung nicht außer Acht gelassen werden.

Ein weiteres vermehrt auftretendes Darmproblem bei Pferden ist Kotwasser. Kotwasser entsteht oft durch sozialen Stress. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Pferde in Offenstallhaltung häufiger Kotwasser haben als ihre Kol­legen, die drinnen gehalten werden. Auch Stress in der Herde kann Kotwasser verursachen. Da hilft es, das Pferd umzustellen, entweder in eine andere Box, eine ruhigere Koppel oder – wenn es nicht besser wird – in einen an­deren Stall. Natürlich spielt auch das Futter eine Rolle. Dr. Rosa Barsnick hat ihre Doktorarbeit speziell zum Thema Kotwasser geschrieben. Sie empfiehlt beispielsweise, Heu zu reduzieren und über Quellfuttermittel auszugleichen. Rübenschnitzel etwa sind gut geeignet, die können zusätzlich die Resorption von Wasser aus dem Darmlumen unterstützen. Kotwasser kann aber auch durch eine chronische Darm­entzündung hervorgerufen werden.

Gibt es noch weitere Darmerkrankungen, die öfter auftreten?
Ja, die Blinddarmverstopfung bei Pferden ist ein großes Thema für mich. Diese kommt beispielsweise ­zustande, wenn zu viel Strukturfuttermittel gegeben wird, oder auch durch eine motorische Entleerungsstörung. Zu kurz gehäckseltes Futter kann sich im großen Caecumvolumen durch ungenügende weitere Zermahlung wie zu einer Schwebeschicht verkleben und dann zu Caecumobstipationen führen. In der Regel werden diese Futtermittel in Form besonders hochwertiger „Strukturmüslis“ in guter Absicht durch die Besitzer erworben. Stroheinstreu, die von den Pferden gefressen wird, kann ebenso wie eine Verwurmung eine Ursache für eine Blinddarmverstopfung sein. Bei der Behandlung gilt es, die Ursache abzuschaffen. Therapeutisch kann man ein krampflösendes und schmerzstillendes Mittel geben oder Öleinläufe machen. In schlimmen Fällen und bei starker Kolik muss der Caecuminhalt operativ entleert werden – was sowohl aufgrund der anatomischen Be­grenzungen der Vorlagerungsmöglichkeit als auch der erhöhten postoperativen Entzündungs- und Verklebungsgefahr einen heiklen Eingriff darstellt.

Was können Pferdehalter tun, um die Darmgesundheit ihres Pferdes zu unterstützen?
Das Wichtigste ist gutes Futter. Damit meine ich: nicht zu viel Zusatzfutter, sondern qualitativ hochwertiges Heu; Stroh nur zum Liegen, aber nicht zum Fressen, denn es ist schlecht verdaulich und bläht auf. Um zu vermeiden, dass Pferde ihre Stroheinlage fressen, bietet man ihnen am besten genug Heu an, dann verzichten sie gerne auf den Strohgenuss. Regelmäßige Bewegung ist natürlich auch wichtig. In Neuseeland gibt es beispielsweise im Gegensatz zu hier kaum Koliker, weil die Pferde ganzjährig draußen sind und viel Platz haben. Pferde sind Steppentiere und sollten im Freien sein. Das ist in unseren Breiten nicht immer möglich, wäre aber wahrscheinlich – insbesondere für den Verdauungstrakt – das Beste und Natürlichste für sie.

Welche Behandlungsmöglichkeiten haben Sie in Ihrer Klinik?
Mit unseren Diagnosegeräten sind wir technisch auf dem letzten Stand der Dinge und können alle Untersuchungen anbieten. Wir haben sämtliche Diagnosegeräte wie CT, MRT, Laparoskopie, Laparotomie, wir können eine Magenspiegelung mit einem langen Endoskop machen, was etwa bei der Biopsie des Dünndarms ein Vorteil ist. Wir sind auch Überweisungsklinik für Diagnostik, weil wir mit allen Geräten ausgestattet sind und viel Er­fahrung in der Befundung haben.

Gab es schon Fälle von Darm­erkrankungen, die Sie nicht auf den ersten Blick als solche erkannt haben?
Wir hatten einmal einen Fall, da hatte ein Pferd Beschwerden und wir haben nicht erkennen können, woran es liegt. Dann haben wir mittels Ultraschall entdeckt, dass sich ein dünner Draht in die Bauchdecke eingespießt hatte und bereits eingewachsen war. Wir konnten den Draht dann in einer OP entfernen, aber weil es starke Verklebungen gab, mussten wir auch ein Stück des Darms entfernen. Bei alten Pferden mit chronischer Verstopfung gibt es mitunter eine zunehmende neuromuskuläre Entleerungsstörung – das lässt sich auch nicht immer gleich diagnostizieren. Liegt eine starke rezidivierende Koprostase vor, ist das Problem meist leider nicht behebbar. Auch eine Blinddarmobstipation kann in manchen Fällen schwierig zu diagnostizieren sein und je nach Patient von sehr unterschiedlich starken Koliksymptomatiken bis zu Rittigkeitsproblemen – Wehrhaftigkeit ­gegen den rechten Schenkel – begleitet sein.

Das Um und Auf in der Darm­gesundheit ist eine intakte Darmflora. Wie kann man die Darmflora beim Pferd positiv unterstützen?
Ich wiederhole mich, aber das Wichtigste ist gutes Futter. Professorin Ellen Kienzle, die den Lehrstuhl für Tierernährung und Diätetik an der LMU innehat, sagt immer, dass guter Hafer und gutes Heu das Wichtigste in der Pferdeernährung und für eine gute Darmgesundheit sind. Viele Freizeitpferde haben Darmprobleme, weil die Besitzer zu viel des Guten wollen. Freizeitställe haben oftmals sogar eine eigene Box als Futterkammer. Die Pferdehalter mischen unterschiedliche Zusatzfuttersorten wie Öle und Zusatzfuttermittel und meinen, damit das Beste für ihr Pferd zu tun, aber das ist häufig zu viel. Erst unlängst habe ich wieder einen Vortrag über Futtermittelhygiene gehört. Der Trend geht Richtung Bio, aber die Kehrseite der Medaille ist, dass wir immer höhere Leberwerte aufgrund von Pilzbelastung im Heu und im Gras haben. Es wird weniger Unkrautvernichter verwendet, dadurch werden Giftpflanzen und Pilze mehr. Das ist natürlich auch schädlich, da gibt es viele Koliken. Als Therapie stellen wir dann das Pferd in einen anderen Stall und geben ihm fünfmal am Tag gutes Heu.

Haben Sie besondere Tipps für die Tierärzte in Österreich – etwas, das Sie aus Ihrer Erfahrung berichten können und das man nicht während des Studiums lernt?
Ja, ein Punkt wäre, bei Koliken auch an Schädlingspilze zu denken, die Koliken auslösen können. Das Futter spielt eine wesentliche Rolle bei der Darmgesundheit des Pferdes. Deshalb sollte der Tierarzt hier genau beim Tierhalter nachfragen und sich das Futter auch zeigen lassen. Es kommt nämlich beispielsweise vor, dass ein Futterautomat falsch eingestellt ist, wir hatten schon so einen Fall. Dann bekommt das Pferd zu viel oder zu wenig Futter und hat Gewichtsprobleme. Ich kann als Tipp nur geben: Hin­schauen, Stressoren mitbesprechen, an den
Magen und an unterschiedliche Symp­tome denken.