Unsere Alma Mater –

256 Jahre Veterinärmedizinische Universität Wien

Dr. med. vet. Elisabeth Reinbacher

Maria Theresia gründete im Jahr 1765 „eine Lehrschule zur Heilung von Viehkrankheiten“ und legte den Grundstein für die älteste veterinärmedizinische Universität im deutschsprachigen Raum. Von 1777 bis 1996 war das „k. k. Thierspital“ im dritten Wiener Bezirk beheimatet. Was wurde aus der alten Uni, an der viele TierärztInnen selbst noch studiert haben?

„Ich habe beschlossen, hier eine Lehrschule zur Heilung der Viehkrankheiten errichten zu lassen.“ Mit diesen Worten gab keine Geringere als Maria Theresia am 24. 3. 1765 den Anstoß zur Gründung der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Die Erzherzogin von Österreich und Frau des Kaisers, welche politisch die Hosen anhatte, sah dahin gehend dringenden Bedarf, war Europa im 18. Jahrhundert doch Opfer zahlreicher Seuchen für Mensch und Tier geworden – vor allem die Rinderpest und damit verbundene Hungerkatastrophen waren allgegenwärtig.

Wie weit es damals mit den Behandlungsmethoden von Tieren war, zeigt eine Empfehlung zur Therapie der Rinder­seuche in einer englischen Monatszeitschrift von 1764: „Man nehme vier oder fünf Zwiebeln und hänge sie dem kranken Rind um den Hals. Das wiederhole man mehrere Tage. Anschließend vergrabe man die Zwiebeln in einem tiefen Loch.“ Der Erfolg dieser Methode war wohl wenig zufriedenstellend. Zudem gab es diverse territoriale Unstimmigkeiten mit anderen europäischen Ländern, allen voran Friedrich II. von Preußen. Er schaffte den Aufstieg zum Erzfeind von Maria Theresia, und mit ihm kam auch der Krieg (besser gesagt: die Kriege) – das habsburgische Schlesien war Friedrichs Objekt der Begierde. Für die Verteidigung ihrer Länder und auch ihres Anspruchs auf das habsburgische Erbe (­waren doch einige männliche Herrscher nicht ganz mit der weiblichen Nachfolge einverstanden und hätten die Erblande lieber brüderlich unterein­ander aufgeteilt) waren Pferde nötig.

Maria Theresia setzte im Gegensatz zu ihrem Widersacher vor allem auf die Kavallerie, war es adeligen Soldaten doch kaum zumutbar, zu Fuß in den Krieg zu ziehen. Mehrere Hundert­tausend Pferde waren im Feld und beim Transport im Einsatz – diese bedurften bei Krankheiten und Verletzungen einer ärztlichen Versorgung. Das Wohl der Pferde im Krieg konnte ein entscheidender Faktor für Sieg oder Niederlage sein. Wie in vielen Bereichen zögerte Maria Theresia, eine Pionierin im Bereich der Bildungspolitik, auch hier nicht lange und schickte zwei Schmiede und einen Apotheker nach Lyon in die weltweit erste veterinärmedizinische Schule, wo sie sich das Know-how für den Aufbau einer eigenen Institution in Wien holen sollten.

Im Jahre 1765 wurde die „Pferde-­Curen- und Operationsschule“ in der ­ehemaligen „Kayserlichen Stallmeysterey“ im heutigen vierten Wiener Gemeindebezirk, damals aber noch vor den Toren Wiens, unter der Leitung des Militär-Kurschmieds Ludwig Scotti gegründet. Somit darf sich unsere Universität die ­älteste Veterinärschule im deutschsprachigen Raum nennen.

Den Titel der ältesten Universität im deutschsprachigen Raum trägt im ­Übrigen auch die Universität Wien, welche allerdings bereits genau 400 ­Jahre davor, im Jahr 1365, gegründet worden war – Wien war somit ein Vorreiter der Universitätsgründungen. In der „­Pferde-­Curen- und Operationsschule“ wurde ausschließlich die Behandlung kranker ­Pferde gelehrt, die Zielgruppe waren ­Militärschmiede. Schon bald, 1776, wurde diese Schule vom „k. k. Thier­spital“ unter der Leitung eines an Tierheilkunde inter­essierten Humanmediziners, Johann Gottlieb Wolstein, abgelöst. Ein Arzt, der sein Hobby zum Beruf gemacht hat, sozusagen.

Nun sollten neben den Pferden auch die Nutztiere zum Zug kommen, und die Studenten lernten Fächer, welche uns auch heute noch gut bekannt sind: Chemie, Physiologie, Botanik oder der Umgang mit Tieren standen schon damals am Lehrplan. Wolstein schrieb mehrere Fachbücher und legte großen Wert auf die praktische Ausbildung der Schüler: „Sind Schüler gebildet, haben sie gesehen, gehört und selbst Hand angelegt, können sie alle nöthigen Opperationen sicher und gut verrichten.“ Heute selbstverständlich, damals eine Ausnahme – der praktische Unterricht wurde in den meisten Ausbildungen vernachlässigt.

Wolstein wurde als Begründer der Veterinärmedizin im deutschsprachigen Raum und erster protestantischer Staatsangestellter in weiterer Folge allerdings (wahrscheinlich aufgrund seiner Unterstützung der Französischen Revolution) verhaftet und des Landes verwiesen. Er verbrachte sein restliches Leben in Altona (heute ein Bezirk von Hamburg) und praktizierte dort auch. In Wien erinnert die Wolsteingasse im 21. Bezirk an ihn, nicht weit entfernt vom heutigen Campus der Veterinärmedizinischen Universität. Das neue Tierspital bekam auch einen neuen Standort: Im Zuge der Auflösung des Jesuitenordens suchte das Areal der ehemaligen Jesuiten-Meierei in der Rabengasse im heutigen dritten Wiener Bezirk eine Nachnutzung; hier sollte die Schule bis 1823 bleiben. Danach zog das Tierspital in die Linke Bahngasse, von wo es erst über 170 Jahre später, 1996, in Richtung Transdanubien weiterziehen sollte.

Gute Erreichbarkeit


Durch die Nähe zum dicht frequentierten Handelsweg der „Landstraße“ konnten die Tiere der Bevölkerung und Händler gut ins Tierspital gebracht werden. Der ununterbrochene Zustrom tierischer Patienten ermöglichte es, Behandlung, Lehre und Forschung zu kombinieren, was bis heute so geblieben ist. Das 19. Jahrhundert war sehr stark geprägt von der Impfstoffforschung gegen diverse Tierseuchen und der Entwicklung neuer Instrumente, Geräte und Untersuchungsmethoden. Das erste Röntgengerät wurde 1897 angeschafft, die Rhinoskopie beim Pferd war einige Jahre davor entwickelt worden. Kurios in diesem Zusammenhang ist an dieser Stelle der Erfinder des Rhino-­Laryngoskops zu nennen, Hugo Schindelka, der einen Studenten bei der Prüfung durchfallen ließ und dafür mit einem Revolver verletzt wurde – raue Zeiten für Lehrende damals! Auch reagierte das Wiener „Thierarzney-Institut“, wie es jetzt genannt wurde, auf die zunehmende Heimtierhaltung.

Der Hund war zum besten Freund des (Stadt-)Menschen geworden, ein Hundespital wurde errichtet, welches auch für Katzen, Vögel und Affen zuständig war. Dennoch blieb der starke militärische Einfluss bis zum Ende der Monarchie 1918 bestehen. Um die Wende zum 20. Jahrhundert war die Schule endlich auf den Rang einer Hochschule gehoben worden und die Studenten mussten eine ­Matura vorweisen; dies galt jedoch nicht für Angehörige des ­Militärs, für welche der Abschluss der Volksschule ­reichte, um das Studium zu absolvieren. Zudem mussten diese weniger Prüfungen ablegen, geringere Studien­gebühren zahlen und durften bei den Vorlesungen gar in den ersten Reihen Platz nehmen – Grund genug für gewalttätige Proteste, die einige Verletzte forderten. Diese Ungleichheit zwischen zivilen und militärischen Studenten hatte jedoch lange Tradition: Bereits in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung saßen approbierte Humanmediziner (denn anfangs war dies die Voraussetzung für Zivilisten, um die Schule überhaupt besuchen zu dürfen) neben Militärschmieden, welche oftmals weder lesen noch schreiben konnten, im Unterricht. Diese Missstände wurden erst nach dem Ersten Weltkrieg behoben, als die Tierärzt­liche Hochschule dem Unterrichtsministerium der frisch geschlüpften Republik unterstellt wurde.

Eine weitere bedeutende Neuerung brachte diese Zeit noch mit sich: Erstmals waren Frauen zum Studium zugelassen, 1921 inskribierte die erste Frau (Marie Chalupinka) an der Hochschule. Im Jahr 1939 schloss die erste Absolventin (Honorata Knopp) ihr Studium ab und 1962 habilitierte die erste Professorin (Gertrud Keck) an der veterinärmedizinischen Universität. Viele Jahrzehnte wurde aufgrund von Platzmangel immer wieder über einen Neubau diskutiert, doch vorher sollten noch die Wirtschaftskrise, der Zweite Weltkrieg und der Wiederaufbau kommen, und es dauerte noch bis 1981, als dieses Thema schließlich in medias res ging. Es fehlte an Ställen, Hör­sälen, Labors und Büros und die hygienischen Bedingungen in den alten Gemäuern waren mehr als mangelhaft: Abflusssysteme fehlten, viele Räume waren mit ­Holzböden ausgestattet. Der Neubau in Wien-Floridsdorf wurde beschlossen, und 15 Jahre später, 1996, übersiedelte das letzte Institut auf den neuen Campus.

Manch einer/einem Studierenden fiel der Abschied vom alten, zentralen Standort nicht leicht, soll dieser doch für seine Studentenfeste berüchtigt gewesen sein. Die neue Abgelegenheit inklusive schlechter Verkehrsanbindung und fehlender Wirtshäuser beendete diese (vorerst). Doch was wurde aus dem alten Campus in der Linken ­Bahngasse, der die Universität zwischen 1823 und 1996 beheimatete, wo sehr viele KollegInnen noch selbst studiert haben?

Der nüchterne klassizistische Bau wurde 1821 bis 1823 errichtet und im 19. und 20. Jahrhundert mehrmals erweitert und renoviert, um den Ansprüchen einer tierärzt­lichen Hochschule gerecht zu werden. Nachdem sich diese allerdings 1996 jenseits der Donau ansiedelte, wurde der Standort zum Sitz einer anderen Universität: Die Universität für Musik und darstellende Kunst (MDW) zog ein. Die Adresse wurde zum „Anton-von-Webern-Platz“, der Standort ist seither der Hauptsitz dieser Universität, welche mehrere Niederlassungen in Wien besitzt und weltweit eine der größten und renommiertesten Universitäten für Musik ist. Zurzeit studieren hier etwa 3.000 Studierende aus über 70 Nationen.

Die Gebäude wurden generalrenoviert, die historische Struktur erhalten und gleichzeitig mit Elementen aus Glas, Holz und Stein stilistisch modernisiert; zudem ­wurde zeitgemäße Technik mit guter Raumakustik verbunden. Der Campus wird auch jetzt noch stetig verändert, neuen Anforderungen angepasst und ist ein Ort der Wissenschaft und Forschung, was seit fast 200 Jahren als Sitz zweier Hochschulen internationalen Ansehens wohl seine Bestimmung zu sein scheint.

So, wie die Studenten der Tierärztlichen Hochschule aus allen Teilen der Habsburgermonarchie kamen, bilden auch jene der Universität für Musik und darstellende Kunst eine internationale Mischung. Der Campus, der abgesehen von den sehr ansprechenden Gebäuden mit Grünflächen und Bäumen punktet, ist jedenfalls einen Spaziergang wert: Sogar im bedauerlicherweise von Covid-19 geprägten Winter 2020/21 wird man dabei von Klavier- und Streichinstrumentenklängen begleitet.