Wenn das Herz immer größer wird

Die Dobermann-Kardiomyopathie

Mag. med. vet. Elisabeth Reinbacher

Die dilatative Kardio­myopathie (DCM) ist eine Herzmuskelerkrankung, bei der es zur Vergrößerung und Ausweitung des Herz­muskels kommt. Der Dobermann leidet an einer besonderen Form dieser Erkrankung, welche sich sogar ihren eigenen Namen verdient hat: die Dobermann-Kardiomyopathie.

Die kardiologische Abteilung der Kleintierklinik der LMU (Ludwig-Maximilians-Universität) München ­betreibt seit vielen Jahren unter der Leitung von Prof. Dr. med. vet. ­Gerhard Wess, Dipl. ACVIM (­Kardiologie), Dipl. ­ECVIM-CA (Kardiologie), Dipl. ECVIM-CA (­In­nere Medizin) intensive Forschung auf dem Gebiet der DCM. Die Entwicklung eines Gentests sowie die Ver­besserung der diagnostischen Möglichkeiten für die ­Früherkennung dieser Erkrankung und die Erforschung prognostischer Faktoren sind die Hauptziele.

Immer wieder kann man in Internetforen folgenden Satz lesen, mit dem man auch als Tierarzt konfrontiert werden könnte: „Mein Hund ist beim Spazieren ohne Vorwarnung einfach tot umgefallen.“ Der plötzliche Herztod eines ­vermeintlich kerngesunden ­Hundes kann die Folge ­einer progressiven Herzmuskel­erkrankung sein, die mit ­einer Vergrößerung und verminderten Kontraktilität des Herzens einhergeht, der dilatativen Kardiomyopathie (DCM). Bei der DCM kommt es zur Dilatation des Herzmuskels; das Herz wird größer, dünnwandiger und vor allem schwächer. Das Herz leidet also unter einer Pumpschwäche. Bei ­einigen Hunderassen tritt diese Erkrankung gehäuft auf: Irischer Wolfshund, Deutsche Dogge, Deutscher Schäferhund, Rottweiler, Boxer, Leonberger, Setter, Deerhound, Bernhardiner oder Neufundländer sind hier unter anderem zu nennen.  Somit sind tatsächlich fast nur große Rassen von dieser Erkrankung betroffen, mit wenigen Ausnahmen wie dem Cocker Spaniel, Springer Spaniel und Foxhound. Der Krankheitsverlauf kann sich zwischen den Rassen unterscheiden – eine besondere Form betrifft Dobermänner. „Laut unseren Ergebnissen sind 58 Prozent aller Dober­männer betroffen“, erklärt Prof. Wess, der bereits seit 2004 an der Dobermann-Kardiomyopathie forscht. Keine ­andere Hunderasse hat so eine hohe Prävalenz. „Das bedeutet, dass über den Daumen jeder zweite Hund im Laufe seines Lebens betroffen ist. Je älter der Hund wird, desto wahrscheinlicher ist eine Erkrankung“, fügt Prof. Wess hinzu. Diese Tatsache ist zuchttechnisch ein großes ­Problem: Bei den jungen Zuchttieren gibt es meist noch keine Hinweise darauf, dass das Tier später an DCM erkranken wird, und die für die Krankheit verantwort­lichen Gene werden an die Nachkommen weitergegeben.

Bei den Dobermännern zeigt sich ein besonders ­perfider Verlauf der Erkrankung: Die betroffenen Hunde zeigen vorerst keine Symptomatik – dies ist die sogenannte okkulte Phase, die Monate bis Jahre dauern kann. Okkult bedeutet in diesem Fall, dass der Tierhalter den Hund für gesund hält; es gibt keine Hinweise auf eine Erkrankung, der Hund wirkt „pumperlg’sund“. Auch ein Herzultraschall zeigt anfangs oftmals keine Abweichungen von der Norm. In dieser ­Phase kommt es jedoch bereits zu Arrhythmien, zum ­Auftreten von ventrikulären Extrasystolen, die in weiterer Folge zu tödlichen Herzrhythmusstörungen führen können. Etwa ein Drittel der betroffenen Dobermänner stirbt in dieser Phase an einem plötzlichen Herztod – der Hund fällt einfach um und ist tot. Die Tatsache, dass die okkulte Phase klinisch kaum erkennbar ist, führt dazu, dass beim Dobermann Screeninguntersuchungen bei einem/einer spezialisierten Kardiologen/-in anzuraten sind, um die Erkrankung frühestmöglich erkennen und therapieren zu können.

Regelmäßige Screenings sind empfehlenswert

Prof. Wess betont: „Wir empfehlen eine jährliche Untersuchung mittels Holter-EKG und Echokardiographie bei jedem Dobermann. Besonders wichtig ist hier das Holter-­EKG, welches eine 24-stündige Überwachung des Hundes gewährleistet und uns Herzrhythmusstörungen anzeigt, auch wenn häufig noch keine Veränderungen im Herzultraschall zu sehen sind. Die Anzahl der Extrasystolen innerhalb von 24 Stunden differenziert zwischen gesundem Dobermann und okkulter Phase: Treten mehr als 300 ventrikuläre Extrasystolen innerhalb von 24 Stunden auf, ist der Hund sehr verdächtig für eine DCM. Einen Graubereich stellen 50 bis 300 Extrasystolen pro 24 Stunden dar; hier empfehlen wir engmaschigere Kontrollen.“ Diese Langzeit-EKG-Überwachung ist essenziell, denn die Extrasystolen können phasenweise auftreten, und die normale EKG-Untersuchung, welche zehn bis 15 Minuten dauert, ist nur eine Momentaufnahme. Wie das in der Praxis funktioniert, stellt Prof. Wess dar: „Die EKG-Elektroden werden am Hund befestigt, die Kabel und das EKG-Kästchen mit einem Verband fixiert; darüber kommt noch eine Weste, danach dürfen Hund und ­Halter nach Hause. Am nächsten Tag wird alles abgenommen und die Aufzeichnungen werden ausgewertet. Dies passiert ent­weder bei uns in der Klinik oder – sollte der Besitzer eine weite Anfahrt haben – auch zu Hause: Der Besitzer nimmt das Gerät ab und schickt es uns per Versand zurück.“ Auch ­sogenannte Biomarker, Troponin I und NT-pro BNP, können im Blut bestimmt werden. Prof. Wess ergänzt: „Troponin I hilft uns auch als prognostischer Faktor in Bezug auf den Sekundentod.“ Wird die Erkrankung frühzeitig erkannt, wird versucht, mithilfe von Medikamenten den plötzlichen Herztod zu verhindern – der Hund kann dann noch jahrelang bei guter Lebensqualität leben. Wird die Erkrankung nicht frühzeitig erkannt und überlebt der Hund die okkulte Phase, kommt es in weiterer Folge zu einem Herzversagen; ein kardiogenes Lungenödem entsteht und der Hund zeigt Husten und Atemnot. „Die mittlere Überlebensdauer nach dem Auftreten der Symptome des kongestiven Herzversagens beträgt trotz Therapie nur einige Monate“, so Prof. Wess.

Prof. Wess und sein Team forschen intensiv an der Genetik der Dobermann-Kardiomyopathie, mit dem Ziel, in weiterer Folge einen Gentest zur Erkennung der ­Träger zu entwickeln. „Wir haben bereits herausgefunden, dass am Chromosom 5 eine Genmutation vorhanden ist, ­gehen aber davon aus, dass es mehrere Defekte gibt, die für die Erkrankung verantwortlich sind“, erklärt Prof. Wess. In den USA gibt es Gentests für die Dobermann-­Kardiomyopathie, welche aber nicht auf ­europäische Dober­männer übertragen werden können. Dazu Prof. Wess: „Wir haben herausgefunden, dass die Genmutationen bei amerikanischen Dobermännern andere als hier in Europa sind und auch auf anderen Chromosomen sitzen. Die in Amerika beschriebenen Defekte am Chromosom 14 konnten wir in Europa nicht nachweisen.“ Mit der Entwicklung eines Gentests wäre es möglich, Zuchtrichtlinien zu erstellen, wonach nur mit Hunden gezüchtet werden dürfte, die nicht Träger der Gendefekte sind. Zusätzlich ­wüssten die Besitzer der betroffenen Tiere, dass engmaschige Kon­trollen mittels Holter-EKG und Echokardiografie gemacht werden sollten. „Wir empfehlen den Züchtern in den europäischen Guidelines zwar, mit den Zuchthunden mindestens einmal jährlich zum Screening mittels Holter-EKG und Herzultraschall zu gehen, aber nicht alle machen das. Wird das nur einmalig und im jungen Alter gemacht, kann gar keine Aussage darüber getroffen werden, ob der Hund nicht einige Jahre später an der DCM erkranken wird“, erklärt Prof. Wess die Problematik. Laut der Homepage des Österreichischen Dobermannklubs müssen Zuchttiere vor dem ersten Deckakt und im fünften Lebensjahr mittels 24-Stunden-EKG und Herzultraschall untersucht werden – bei einem Verdacht auf DCM gilt ein Zucht­ausschluss. Bis zur Entwicklung eines Gentests bleibt somit nur das regelmäßige Screening der Hunde. Prof. Wess hat dazu ein sehr inter­essantes Konzept entwickelt: „Aufgrund unserer laufenden Forschungsprojekte sind wir sehr daran interessiert, dass die Hunde im Laufe ihres Lebens regelmäßig zu uns kommen, um sich screenen zu lassen, und bieten deswegen an, dass die Untersuchungen ab dem fünften Besuch kostenlos sind. Sollte der Hund an DCM erkranken, sind die Untersuchungen ebenfalls kostenlos; es funktioniert also ähnlich wie ein Krankenkassensystem: Sollte der Hund erkranken und die Untersuchungen häufiger nötig werden, kosten diese nichts mehr.“