Exotische Nager

in menschlicher Obhut

Bettina Kristof

Man weiß noch relativ wenig über die inneren Erkrankungen von exotischen Nagetieren. Die Spezialistin Dr. Katharina Reitl spricht im Interview über Diagnose- und Therapiemöglichkeiten.

Der Trend zur Haltung exotischer Tiere macht auch vor Nagetieren nicht halt. Ob Lemming, Rüsselspringer, Streifenhörnchen oder Riesenhamsterratte – manche Menschen fasziniert es einfach, einen pelzigen Exoten bei sich zu beherbergen. Die Vertreter fremdländischer Spezies stellen in der Haltung und tierärztlichen Versorgung teils deutlich speziellere Ansprüche als ihre heimischen Vertreter. Wir sprachen darüber mit Dr. Katharina Reitl, die sich in der Tierärztlichen Ordination Tiergarten Schönbrunn auf Nagetiere spezialisiert hat und außerdem die Nager im Tiergarten Schönbrunn betreut.

Frau Doktorin Reitl, wirkt sich die Käfighaltung auf den Organismus der exotischen Nagetiere aus?
Ja, wenn die Tiere nicht in artgerechten Nagarien oder Volieren untergebracht sind, auf alle Fälle. Ähnlich wie bei Reptilien und Amphibien ist die häufigste Ursache für Erkrankungen eine nicht artgemäße Haltung. Die Grundbedürfnisse der Nager müssen optimal abgedeckt sein, das heißt, sie müssen beispielsweise die Möglichkeit haben, zu klettern, ein Sandbad zu nehmen, zu buddeln und zu nagen, und sie benötigen adäquates Futter. Bei den Exoten weiß man oft noch immer nicht ganz genau, was sie in ihrem angestammten Lebensraum fressen, oder man kann es ihnen nicht durchgängig anbieten. Spezielle Wurzeln oder Kräuter und die Vielfalt an Insekten, die in ihrem natürlichen Lebensraum zur Verfügung stehen, können wir in unseren Breiten nur schwer offerieren. Es ist ebenso wichtig, die Lebensbedingungen der Nager naturnah nachzubauen. Dazu gehören die entsprechende Luftfeuchtigkeit, die Temperatur, die Bepflanzung und das Bodensubstrat des Geheges. Außerdem sollte den exotischen Nagern ein spezielles Beschäftigungs- und Bewegungsangebot zur Verfügung gestellt werden. In der Natur müssen die Tiere vor Fressfeinden flüchten, und die meisten Arten verbringen den gesamten Tag mit der Nahrungssuche. Die Paarung und die Aufzucht der Jungen gehören ebenfalls zum natürlichen Verhalten, was in der Heimhaltung nur in den seltensten Fällen möglich ist. Die Futtermenge muss somit angepasst werden, denn mit einem begrenzten Beschäftigungsprogramm würden sie zunehmen – alle sogenannten Zivilisationskrankheiten könnten sich dann genauso ausprägen wie bei Meerschweinchen und Co. Das Leben in menschlicher Obhut hat insofern auch Auswirkungen auf den Organismus, weil die Tiere im Schnitt länger leben und sich so altersbedingte Organschäden ausbilden können.

Ist bekannt, ob durch die Haltung in menschlicher Obhut vermehrt innere Erkrankungen bei Nagern auftreten?
In der Wildnis werden die Tiere weder behandelt noch nach ihrem Tod untersucht, es gilt Survival of the Fittest: Tiere, die eine Schwäche zeigen, fallen Fressfeinden zum Opfer. Daher weiß man relativ wenig über deren innere Erkrankungen. In der freien Wildbahn gibt es keine dicken Tiere und somit keine „Zivilisationskrankheiten“, wie sie bei unseren gewöhnlichen Heimtieren wie Meerschweinchen und Degus leider öfters vorliegen. Auch exotische Nager, die sich in menschlicher Obhut befinden, leben länger als ihre Artgenossen in der Natur und sind manchmal bedauerlicherweise einer nicht artgerechten Haltung und Fütterung ausgesetzt. Aus diesem Grund gehe ich davon aus, dass im Vergleich vermehrt innere Erkrankungen auftreten, ich habe aber keine Informationen über eine diesbezügliche Statistik.

An welchen inneren Erkrankungen leiden die exotischen Nager am häufigsten?
Wenn sie artgerecht gehalten werden, sind exotische Nagetiere sehr gesunde und robuste Tiere. Wie bei ihren häufiger gehaltenen Verwandten sind bei geriatrischen Patienten Tumorerkrankungen, Multiorganversagen am Ende des Lebens und aufsteigende Infektionen wegen eines zusammenbrechenden Immunsystems die am häufigsten auftretenden Todesursachen. Tiere aller Altersgruppen zeigen als häufigste innere Erkrankung Infektionen jeglicher Art wie Enteritiden, Pneumonien, Konjunktivitiden oder systemische Infekte. Viele zeigen dabei allgemeine Symptome wie Unwohlsein, gesträubtes Fell, verstärkte Atmung, Durchfall et cetera. Bei sehr kleinen Tieren oder aufgrund des unkooperativen Verhaltens einiger Arten ist die Diagnose mitunter schwierig.

Wie gehen Sie bei exotischen Nagetieren bei der Diagnose vor?
Um eine genaue Diagnose stellen zu können, müssen die Exoten genauso klinisch untersucht werden. Vor der Diagnose steht also die Überlegung, wie man dies anstellen kann. Meist müssen die Nager in Narkose gelegt werden. Ich bevorzuge für die reine Diagnostik eine Isofluran­narkose. Die Diagnostik setzt sich, wie sonst auch, aus einer klinischen Untersuchung und im Anschluss weiterführenden Untersuchungen zusammen. Vorab sollte unbedingt überlegt werden, was alles gebraucht wird, um die Narkose möglichst kurz zu halten. Gerade die kleinsten Vertreter, aber ebenso die größeren Arten, brauchen währenddessen und danach Wärmesupport! Bei den weiterführenden Untersuchungen ist dann im Prinzip alles möglich, vom Hautgeschabsel über Tupfer- und Gewebe­proben bis hin zu Röntgen, Ultraschall und CT sowie Endoskopie. Von Vorteil sind kleine Biopsie-Punches und auch kleinere BU-Tupfer. Die Entnahme von Blutproben sehe ich bei Arten unter 40g eher kritisch, da der daraus resultierende Befund, vor allem bei sehr hektischen Tieren, vielfach keine weiteren Therapieoptionen ermöglicht.

 

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Das hängt von der bestehenden Problematik der Tierart ab. Wenn der Nager nur leichte Verdauungs­störungen hat, kann ein Präbiotikum ins Futter gegeben werden. Die Diät sollte mit dem Besitzer besprochen und eventuell angepasst werden. Das kann die Selbstheilung ausreichend unterstützen; dann es sind keine weiteren Maßnahmen nötig. Eine andere Möglichkeit ist es, vor allem bei alten und geschwächten Tieren, die Diät aufzuwerten oder eine Elektrolytlösung zum Trinken zu geben. Gerade Kleinnager profitieren davon. Bei anhaltenden Problemen oder bei schweren Symptomen müsste man dann das Tier genauer untersuchen und Proben zur Diagnosefindung nehmen, um die Therapie zu planen. Manchmal ist es aufgrund verschiedener Faktoren – Besitzer wünschen keine Narkose, finanzielle Gründe, Tier ist in einem sehr schlechten Allgemeinzustand et cetera – nötig, eine symptomatische Therapie bzw. einen Therapieversuch zu starten, ohne eine genaue Diagnose zu haben. In vielen Fällen handelt es sich um den Verdacht einer massiven bakteriellen Infektion und das Abwarten einer Kultur oder eines Antibiogramms ist ein weiterer limitierender Faktor. Spätestens bei Nichtansprechen ist jedoch eine bakteriologische Untersuchung inklusive Antibiogramm unerlässlich! Die Medikamente sollten direkt oder über eine kleine Portion Futter, beispielsweise in Obst oder in einer süßlichen Breimischung, verabreicht werden. Die Medikation über das Trinkwasser ist abzulehnen. Bei omnivoren Arten gelingt die Gabe des Arzneimittels am besten, wenn man es in ein Insekt spritzt und dieses dann verfüttert. Das Antibiotikum sollte keinen starken Eigengeschmack haben oder das Volumen so gering sein, dass man es gut im Futter verstecken kann. Bei den Exoten müssen immer wieder Arzneien umgewidmet werden – wir lassen auch eigene magistrale Zubereitungen herstellen.

Welche Ideen, Anregungen oder Informationen haben Sie für die Tierärzte in der Praxis, die exotische Nager behandeln?
Bei Exoten ist es wichtig, international im Gespräch zu sein, sich mit anderen Tierärzten auszutauschen und internationale Literatur heranzuziehen. Exotische Nager in der Heimhaltung sind meist leichter zu untersuchen als Zootiere, weil sie eine Bezugsperson haben. Wenn eine Untersuchung in Narkose gemacht wird, dann sollte man alle Möglichkeiten zur Diagnosefindung ausschöpfen. Deshalb ist es von Bedeutung, vorher genau zu über­legen, was man alles untersuchen möchte. Ziel ist immer: so wenig Stress für das Tier mit so viel diagnostischer Aussage wie möglich. Grundsätzlich kann man bei den exotischen Nagern alle Untersuchungen machen wie bei Hunden und Katzen. Wenn man bei einem Problem nicht weiterkommt, ist Querdenken wichtig: Es kommt des Öfteren vor, dass es von einer bestimmten Art noch nicht so viele Daten gibt, aber von einer anderen, nahe verwandten Art gibt es beschriebene Krankheiten; oder eventuell schaut eine Hautveränderung ähnlich aus wie bei Meerschweinchen oder Ratte – dann sollten zur Diagnosefindung die gleichen Methoden gewählt werden. Häufig reicht es nicht, nur einen Tixoabklatsch zu nehmen. Eine Hautbiopsie kann bei der kleinsten Maus vorgenommen werden, und neben Parasiten kommen gerade maligne Haut­tumoren doch immer wieder vor. Ein weiteres Beispiel wäre, wenn es um Kieferprobleme geht, die Möglichkeit einer CT-Untersuchung anzudenken, um dem Thema auf die Spur zu kommen. Die Schneide­zahnwurzel reicht bei einigen Arten medial bis auf Höhe des letzten Molaren und die normale Röntgendiagnostik stößt hier an ihre Grenzen. Ich denke, auch bei Exoten ist es für die Besitzer sehr wichtig, eine Diagnose gestellt zu bekommen. Dadurch kann man erst die Prognose ableiten, und das ist für die meisten Besitzer wesentlich. Gerade in der Zootiermedizin, aber ebenso bei privaten Haltern von exotischen Nagern sind die finanziellen Möglichkeiten nicht der limitierende Faktor. Ziel ist es, den bestmöglichen Benefit für das Tier zu bekommen.