Mag. med. Vet. Elisabeth Reinbacher
Ausgabe 12/2020 – 01/2021
Eine akute Niereninsuffizienz kann bei Hund und Katze unter anderem durch Toxine, Infektionen oder eine Minderdurchblutung verursacht werden. Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es und wie sind die Erfolgsaussichten? Was ist eine Dialyse und gibt es das auch für Hund und Katz? Hier ein aktueller Überblick.
Hektor, ein zwölf Jahre alter Maine-Coon-Kater, wurde wegen akuten Erbrechens im Tierspital der Universität Zürich vorgestellt. Die Diagnose war eine akute Niereninsuffizienz aufgrund einer Nierenbeckeninfektion, Pyelonephritis; die Nieren produzierten gar keinen Harn mehr. Seit zehn Tagen ist er nun an der Abteilung für Intensivmedizin des Tierspitals in Behandlung und wird mittels Hämodialysen therapiert. Oberärztin Dr. med. vet. Claudia Iannucci, Dipl. DACVECC, eine international anerkannte Spezialistin für Notfall- und Intensivmedizin, gibt einen Einblick in ihren spannenden Arbeitsalltag.
Die Nieren gehören bei Tier und Mensch zu den wichtigsten Reinigungs- und Entgiftungsorganen des Körpers. Durch sie wird unaufhörlich Blut gepumpt, damit sie die kontinuierlich entstehenden toxischen Abbauprodukte der Stoffwechselaktivitäten und Fremdsubstanzen wie Medikamente aus dem Blut herausfiltern können. Die Nieren sind Allroundtalente; auch die Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts, des Säure-Basen-Gleichgewichts, die Regulation des Blutdrucks und die Hormonproduktion gehören zu ihren Aufgaben. Sterben die Funktionseinheiten der Nieren, die Nephronen, jedoch ab, ist die Folge eine Niereninsuffizienz. Erkrankte Nieren kompensieren sehr lange, da sie eine enorme Reservekapazität besitzen. Erst wenn die Nieren nur noch etwa 30 bis 35 Prozent ihrer ursprünglichen Leistungsfähigkeit besitzen, treten Symptome auf. Die Folgen einer Niereninsuffizienz sind lebensbedrohlich: Schadstoffe und Stoffwechselendprodukte werden nicht mehr ausgeschieden, ein Ungleichgewicht im Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt entsteht.
Unterschieden werden muss zwischen zwei Formen: der akuten Niereninsuffizienz (ANI), welche plötzlich entsteht, und der chronischen, sich über Monate oder Jahre verschlechternden Niereninsuffizienz. Eine ANI entwickelt sich innerhalb weniger Tage und kann ausgesprochen viele Ursachen haben. Dr. Iannucci könnte hierzu viele Seiten füllen: „Von der ischämischen Schädigung der Nephrone durch eine Minderdurchblutung über direkte Schädigung durch diverse Toxine sowie Medikamente, Immunkomplexablagerungen oder Infektionen bis zu einer Harnwegsobstruktion gibt es zahlreiche Auslöser.“ Eine ANI ist lebensbedrohlich, kann aber auch reversibel sein: Bei frühzeitiger Erkennung und adäquater Therapie gibt es nicht nur eine Chance auf Überleben, sondern sogar auf Heilung. Zur Ursachenfindung sind deswegen viele anamnestische Fragen bezüglich vorhergehender Ereignisse, die mit der Minderdurchblutung der Nieren einhergegangen sein könnten, und der möglichen Aufnahme von Toxinen wie Frostschutzmittel, Weintrauben, Pflanzen oder Medikamenten sowie eine Untersuchung des Harnsediments, eine bakteriologische Untersuchung des Harns und eine Untersuchung auf Leptospiren empfehlenswert. Eine weitere Herausforderung ist dann auch noch die Unterscheidung der akuten von der chronischen Form, was manchmal nur durch eine Biopsie möglich wäre. „Sehr hilfreich ist es, wenn es vorhergehende Blutuntersuchungen von dem Tier gibt, die zeigen, ob die Nierenwerte davor auch schon verändert waren. Das morphologische Erscheinungsbild der Nieren im Ultraschall gibt uns auch manchmal Hinweise, wenn bereits chronische Veränderungen sichtbar sind. Eine Nierenbiopsie wird selten gemacht, da das Blutungsrisiko recht hoch ist“, sagt Dr. Iannucci hierzu.
Das oberste Gebot bei der Therapie der ANI ist es, verbleibendes funktionierendes Nierengewebe so lange wie möglich zu erhalten und Folgen sowie Komplikationen des Nierenversagens zu verhindern bzw. zu behandeln. Die Dialyse – in der Humanmedizin ein Wort, das häufig und ganz selbstverständlich im Rahmen der Therapie eines Nierenversagens benutzt wird – ist in der Veterinärmedizin jedoch noch ein nahezu unbeschriebenes Blatt, zumindest wenn man für den österreichischen Raum spricht: In der Schweiz und in Deutschland gibt es mehrere Kliniken, die eine Hämodialyse anbieten. Das Tierspital der Universität Zürich bietet diese Therapie an. „Unter Dialyse versteht man die Reinigung des Blutes, das heißt, die Funktion der Niere wird von einer Maschine übernommen, damit die Nieren Zeit haben, gesund zu werden. Die harnpflichtigen Stoffe werden aus dem Blut gefiltert, Elektrolyte und Säuren und Basen in physiologischer Balance gehalten. Prinzipiell kann das bei allen unseren Haustieren gemacht werden“, erklärt Dr. Iannucci das Prinzip. Die Praxis: „Das Tier bekommt einen zentralen Venenkatheter in die Jugularvene. Dies ist ein spezieller Katheter, der in etwa zwei Wochen in situ bleibt. Besonders ist, dass die Spitze des Katheters im rechten Atrium sitzt, weswegen das Setzen dieses Katheters sehr heikel ist. Ganz bedeutend ist Sterilität“, so Dr. Iannucci. Der durchführende Arzt muss komplett steril bekleidet sein und den zentralen Venenkatheter unter EKG-Kontrolle setzen. Auch die Sedierung für diese Intervention ist eine riskante Aufgabe bei einem Tier mit Nierenversagen. „Wir verwenden meist eine Kombination aus Midazolam, einem Opioid und Ketamin“, fügt die Oberärztin hinzu.
Dazu Dr. Iannucci: „Ein Schlauch führt vom Tier zur Dialysemaschine, welche das Blut aus dem Körper pumpt, filtert und reinigt und danach wieder durch einen zweiten Schlauch zurück in den Körper pumpt. Der Filter in der Maschine wird auch ‚die künstliche Niere‘ genannt und filtert mittels einer semipermeablen Membran und einer speziell aufbereiteten Lösung, dem Dialysat, die harnpflichtigen Substanzen heraus. Gleichzeitig wird die individuelle Imbalance im Säure-Basen- und Elektrolythaushalt ausgeglichen. Jede Dialysesitzung dauert drei bis fünf Stunden, das Blut macht mehrere Runden in der Maschine.“ Wie ruhig müssen die Tiere sich denn hierfür verhalten? Dies beantwortet Dr. Iannucci ganz klar: „Die meisten Tiere werden sediert, da sie während der Dialyse ganz still sitzen müssen.“ Wie viele Dialysesitzungen nötig sind, ist individuell unterschiedlich: „Generell sind die meisten Tiere etwa zwei Wochen stationär bei uns. Die Abstände zwischen den Dialysesitzungen hängen von mehreren Faktoren ab, abgesehen von den Blutwerten sind vor allem Harnproduktion und klinischer Zustand ausschlaggebend. Anurische Tiere benötigen oft eine tägliche Dialyse, insbesondere während der ersten Tage, bis sie beginnen, Harn zu produzieren; danach kann das Intervall auf jeden zweiten bis dritten Tag verlängert werden. Intoxikationen benötigen wiederum häufig nur eine einzige Sitzung – das Toxin wird herausgefiltert und die Nieren arbeiten danach normal weiter“, so die Tierärztin.
„Neben den Dialysesitzungen wird das Tier bei uns natürlich intensivmedizinisch mit allen nötigen Untersuchungen, Medikamenten, eventuell Bluttransfusionen und Maßnahmen zum Monitoring wie EKG, Blutdruckmessung und Messung der Harnproduktion betreut. Die meisten Tiere haben eine Ernährungssonde, damit wir die Energieversorgung sicherstellen können“, so Dr. Iannucci. Doch warum wird diese Therapie nicht bei Tieren – wie beim Menschen üblich – auch bei chronischem Nierenversagen eingesetzt? „Beim chronischen Nierenversagen sind die Nieren irreversibel geschädigt, das Tier kann nicht geheilt werden – eine Hämodialyse wäre dann regelmäßig zwei- bis dreimal pro Woche nötig. Das ist allerdings nicht mit der Lebensqualität von Tier und Halter kompatibel, wenn man bedenkt, wie aufwendig diese Therapieform ist“, erklärt Dr. Iannucci die Problematik. Abgesehen davon bräuchten die Tiere auch regelmäßig Bluttransfusionen aufgrund der Anämie, die beim Nierenversagen entstehen kann; ethisch ist dies ein sehr schwieriger Bereich. Eine Alternative zur Hämodialyse bildet die Peritonealdialyse, bei der die Blutreinigung mithilfe einer Dialyselösung, welche mithilfe eines Drains in die Bauchhöhle appliziert wird, erfolgt. Als Filtermembran agiert das Bauchfell, die Flüssigkeit reichert sich mit harnpflichtigen Stoffen an und wird dann wieder abgezogen.
„Der Vorteil dieser Dialyseart ist, dass keine Maschine verfügbar sein muss; der Nachteil aber, dass sie viel weniger effizient ist als die Hämodialyse“, stellt die Spezialistin klar. Und dann gibt es natürlich auch noch die konservative Behandlungsform, bei der mittels Flüssigkeitstherapie versucht wird, Flüssigkeits- und Säure-Basen-Haushalt in Balance zu halten und Elektrolytverschiebungen zu korrigieren. Auch dies erfordert intensivmedizinisches, stationäres Management. Eine Hämodialyse ist eine sehr aufwendige Therapie, die nicht nur viel medizinisches Know-how und Pflegemanagement, sondern auch technische Ausstattung wie eine Dialysemaschine und geeignete Räumlichkeiten erfordert. Dies habe auch seinen Preis, sagt die Oberärztin: „Für zwei Wochen auf der Intensivstation mit Dialysen, Medikamenten und diversem Monitoring und Pflegemanagement sollte man über den Daumen mit 8.000 bis 12.000 Franken rechnen.“ Das entspricht zurzeit 7.500 bis 11.000 Euro. „Bei Intoxikationen, die nur eine einmalige Dialyse benötigen und wo im besten Fall die Klinik nach ein paar Tagen verlassen werden kann, kostet es etwa die Hälfte.“ Viel Geld, allerdings lohnt sich die Therapie in den meisten Fällen: „Unser Dialysezentrum wurde im Juni 2020 eröffnet, seither hatten wir zehn Patienten: acht Hunde und zwei Katzen“, blickt Dr. Iannucci zurück. „Das Outcome ist bisher sehr gut, neun von zehn Tieren haben überlebt“, sagt sie und führt weiter aus: „Die Prognose hängt stark vom Grad der Nierenschädigung und auch der Ursache ab. Leptospirose oder Intoxikationen haben generell eine gute Prognose, wenn früh genug interveniert wird. Wir gehen heute davon aus, dass die Überlebenschancen umso besser sind, je früher man mit der Dialyse beginnt und je weniger geschädigt die Nieren sind. Deswegen rate ich, lieber früher als später zu überweisen, falls die Hämodialyse eine Option für den Besitzer darstellt.“