Durchfall beim Rind

Verschiedene Erkrankungen im Altersverlauf

Dr. Franz Kritzinger

Im Praxisalltag und in der ökonomischen Relevanz haben die im Folgenden beschriebenen Durchfallerkrankungen eine wesentliche Bedeutung für den praktizierenden Tierarzt bzw. die prak­tizierende Tierärztin.

Durchfallerkrankungen spielen in der Rinderhaltung sowohl eine große ökonomische als auch eine nicht zu unterschätzende arbeitswirtschaftliche Bedeutung. In diesem Beitrag sollen die in der Praxis häufigsten Durchfälle der verschiedenen Altersklassen erläutert werden.

Durchfalltypen

Die gängigen Durchfalltypen beim Rind sind der ex­sudativen oder osmotischen Diarrhoe zuzuordnen. Die exsudative Diarrhoe ist charakterisiert durch entzündliche Veränderungen, die durch diverse Noxen (Toxine invasiver Bakterien) oder parasitär bedingte Schleimhautdefekte verursacht werden. Die exsudative Diarrhoe kann im Falle einer bakteriell-toxischen Beteiligung einen fieberhaften Verlauf haben. Die osmotische Diarrhoe entsteht durch Verminderung der resorptiven Oberfläche (Atrophie der Darmzotten) und damit einhergehende Malabsorption. Auch unverdauliche Futterbestandteile können Flüssigkeit osmotisch im Darmlumen halten und Durchfall verursachen.

Durchfälle der verschiedenen Altersgruppen:

 

1. Frühdurchfall

Frühdurchfall ist für einen großen Anteil der Ausfälle in der Aufzucht junger Kälber verantwortlich. Betroffen sind vor allem Tiere in den ersten zwei bis drei Lebenswochen. Ursächlich sind virale Infektionen mit dem Rota- oder Coronavirus, bakterielle Infektionen mit einem enterotoxischen E.-coli-Stamm oder ein Befall mit Kryptosporidien von Bedeutung.

Frühdurchfall durch das Rota- oder Coronavirus
Eine Virusätiologie mit Beteiligung von Rotaviren oder Coronaviren stellt mit Abstand die häufigste Ursache dar, wobei das Rotavirus wesentlich häufiger nachgewiesen wird. In der Literatur wird teilweise von einer 90-prozentigen Virusbeteiligung gesprochen, sodass davon auszugehen ist, dass immer mit einer viralen Beteiligung gerechnet werden muss. Negativer Virusnachweis heißt nur, dass das Virus derzeit nicht oder meist nicht mehr ausgeschieden wird. Der Virusbefall führt zur Darmzottenatrophie mit resultierender Einschränkung der Resorptionsfläche und der sich daraus ergebenden Malabsorption. Flüssigkeit kann nur mehr eingeschränkt aufgenommen werden. Die betroffene histologische Struktur ist in erster Linie das Darmepithel. Es kommt zu keinen entzündlichen Reaktionen und zu keiner Reizung der Schmerzrezeptoren. Das klinische Krankheitsbild entsteht durch Flüssigkeitsverlust der bei unzureichendem oralem Ausgleich entstehenden Exsikkose sowie durch eine im Krankheitsverlauf entstehende Acidose mit daraus resultierender Einschränkung der Sauflust. Die Therapie beschränkt sich daher auf die Zufuhr von Flüssigkeit und Elektrolyten sowie auf die Pufferung der entstandenen Acidose. Die Applikationsart ist abhängig von der Kreislaufsituation. Bei schlechter Kreislaufsituation wird das Intestinum nur mehr unzureichend durchblutet und die oral verabreichten Flüssigkeiten können nicht mehr aufgenommen werden. Der genannte Zustand entsteht durch Kreislaufzentralisation im Verlauf des durch Flüssigkeitsmangel ausgelösten hypovolämischen Schocks.

Diese Kälber können nur durch eine intravenöse Dauertropfinfusion oder alternativ in Ausnahmefällen mit einer Sturzinfusion gerettet werden. Als Entscheidungskriterium für die Notwendigkeit einer parenteralen Applikation wird in der Praxis die Temperatur der seitlichen Oberlippen herangezogen. Kalte Oberlippe heißt beginnender Schock mit Zentralisation und Minderdurchblutung der nicht primär lebenswichtigen abdominalen Organe. Diese Kälber werden in der eigenen Praxis mit zehn Litern Dauertropfinfusion behandelt. Antibiotikagaben und Antiphlogistika sind in dieser Situation nicht indiziert! Auch eine Beeinflussung der Schleimhautregeneration ist kaum möglich.

Frühdurchfall durch Kryptosporidien
Eine in den letzten Jahren stark zunehmende Bedeutung im Durchfallgeschehen junger Kälber haben Infektionen mit Kryptosporidien. Bei klinischen Erscheinungen findet sich meist eine Kombination mit Rota- oder Coronavirusbefall. Die sehr geringe infektiöse Dosis, die hohe Tenazität sowie die Unempfindlichkeit gegenüber vielen Desinfektionsmitteln erklärt, warum auch Betriebe mit hohem Hygienestandard das Auftreten von Kryptosporidiendurchfällen oft nicht verhindern können.

Nach einer kurzen Inkubationszeit von wenigen Tagen entsteht nach oraler Aufnahme der Oozysten das klinische Durchfallbild durch eine Entzündung der Submukosa, eine Atrophie und Verschmelzung der Darmzotten und eine Schädigung der Mikrovilli. Das Wesen einer Kryptosporidieninfektion ist der Befall tieferer Schichten der Darmschleimhaut. Die entstehende Entzündung verursacht diffusen Bauchschmerz mit Bewegungsunlust und aufgezogenem Abdomen. Aus den tieferen Läsionen austretendes Blut und der aus der entzündlichen Reaktion der Schleimhaut gebildete Schleim sind teilweise im Durchfallkot nachweisbar.

Therapeutisch gelten die oben genannten Behandlungsgrundsätze. Zusätzlich kann die Applikation diverser Analgetika eine Linderung der abdominalen Beschwerden bringen. Wiederholte Behandlungen können jedoch wegen möglicher unerwünschter Nebenwirkungen auf den Magen-Darm-Trakt nicht empfohlen werden. Als ätiologische Therapie wird der Einsatz von Halofuginon empfohlen, wobei ein therapeutischer Erfolg in der Praxis eher unbefriedigend ist. In Problembetrieben sollte das Mittel als Metaphylaxemaßnahme in den ersten Lebenstagen der Kälber eingesetzt werden.

Frühdurchfall durch E. coli
Aus der Vielzahl der in der Umwelt der Kälber vorkommenden coliformen Keime spielt als bakterieller Durchfallerreger ein enterotoxischer E.-coli-Stamm (ETEC) mit dem Fimbrienantigen K99 die Hauptrolle. Über spezifische Oberflächenhaftantigene heften diese Bakterien an den Enterozyten der Darmschleimhaut an, ohne die Funktionalität der Darmzellen zu schädigen. Erst durch die exprimierten enterotoxischen Toxine, die auf dem Villus der Darmzellen gebunden werden, kommt es zu einer Hypersekretion von Chloridionen und einer verminderten Aufnahme von Natriumchlorid durch die Enterozyten, was letztlich durch osmotisch bedingten H2O-Einstrom zu hohem Wasserverlust führt.

Häufig haben diese Tiere Fieber. In der Praxis erscheinen sie dann schon am Beginn des Durchfalls als krank und verweigern die Futteraufnahme. Diese Saufunlust ist jedoch nicht durch eine fortgeschrittene Exsikose, wie im Falle einer rein virusbedingten Erkrankung, verursacht. Die Bedeutung der Colidiarrhoe wurde in früheren Jahren wesentlich überschätzt – der Anteil liegt bei weit unter zehn Prozent. Therapeutisch ist neben dem bereits bekannten durchfallspezifischen Vorgehen auch die Applikation entsprechender Antibiotika indiziert.

Zusammenfassend muss zum Thema Frühdurchfall unbedingt erwähnt werden, dass sowohl die Inzidenz als auch der Verlauf der Durchfälle, im Besonderen der Virus- und Colidurchfälle, wesentlich von der immunologischen Ausstattung der Kälber abhängig ist. Vaccinationsversuche deuten auch auf einen Einfluss auf die Infektion mit Kryptosporidien hin. Die Kolostrumversorgung mit den Aspekten Kolostrumqualität, Menge und Zeitpunkt der Verabreichung ist der wichtigste Schritt in der Prophylaxe von Durchfällen junger Kälber. Andere Maßnahmen sind zweitrangig und ohne funktionierende Immunität wirkungslos! Häufig passieren auch Fehler durch ungeeignete, mit pflanzlichen Substanzen versetzte Milchzusatzstoffe sowie mit dem frühzeitigen Einsatz billiger sogenannter Nullaustauscher. Das junge Kalb hat eine zum adulten Tier unterschiedliche enzymatische Ausstattung und kann viele der Milch beigemengte Substanzen oder für dieses Alter ungeeignete Milchaustauscher nicht verdauen. Unverdaute Bestandteile binden Wasser und führen zu einer osmotischen Diarrhoe.

2. Kokzidiose

Betroffen sind Tiere in einem Alter von zwei bis vier Monaten, die meist in die Gruppenhaltung umgestallt wurden. Auch bei Einzelhaltung in verschmutzten -Boxen kann es zu Erkrankungen kommen. Holzbauteile, an denen die Kälber liebend gerne nagen, scheinen in der Praxis als Erregerreservoir eine nicht unbedeutende Rolle zu spielen.

Ziemlich genau drei Wochen nach der Umstallung und der Aufnahme von Oozysten in den Gruppenboxen kommt es zu klinischen Symptomen. Bei der Kokzidiose des Rindes überwiegen Dickdarmläsionen, die tiefere Gewebeschichten erfassen. Durchfälle mit und ohne Blutbeimengungen sind die Folge. Durch die Läsionen kann es auch zu einem mehr oder weniger starken Tenesmus kommen.

Von großer ökonomischer Bedeutung ist der am häufigsten vorkommende subklinische Verlauf mit nur leicht veränderten Kotkonsistenzen. Die Frequenz des Kotabsatzes ist erhöht und es kommt zu typischen Verschmutzungen mit verklebten Schwänzen. Wichtig ist, zu betonen, dass ein „gesunder“ Kälberschwanz absolut sauber ist und vor allem in der Mitte keine Verklebungen und Verschmutzungen aufweist. Bedeutsam ist der subklinische Verlauf deshalb, weil diese Tiere meist übersehen und nicht behandelt werden. Schlechte Futteraufnahme, schlechte Zunahme bzw. Gewichtsverlust treten sowohl bei klinischem als auch bei subklinischem Verlauf auf. Unbehandelte oder schwer erkrankte Tiere entwickeln sich oft zu ausgesprochenen Kümmerern.

Zur Therapie ist der Einsatz von Toltrazuril zu empfehlen. Das Medikament kann auch erfolgreich metaphylaktisch zehn bis 14 Tage nach dem Umstallen eingesetzt werden. Krankheitsausbruch und Oozystenausscheidung werden damit verhindert. Ein vorliegender Tenesmus wird durch eine Behandlung nicht beeinflusst. Diese Tiere sind nur durch eine epidurale Injektion mit 96-prozentigem Alkohol zu retten. Über Wochen werden damit die für den Tenesmus verantwortlichen Nerven gelähmt. Für dieselbe Zeitdauer kommt es auch zur Lähmung des Schwanzes (Hammelschwanz).

Von bisher unterschätzter Bedeutung ist, dass Durchfälle in der Kälberaufzucht in die Phase der metabolischen Programmierung fallen. Ein optimales Körperwachstum mit entsprechender Organentwicklung in den ersten Lebensmonaten ist die Basis für das weitere Leistungsvermögen eines Rindes. Negative Einflüsse hemmen die Organentwicklung in dieser so wesentlichen Lebensphase und können im späteren Leben nicht mehr aufgeholt werden. Ein Zusammenhang zwischen Fruchtbarkeit und Kokzidiose wird in der Praxis schon lange beobachtet. Bei unfruchtbaren Kalbinnen kann immer wieder eine zurückliegende Kokzidiose anamnestisch erfragt werden.

3. Winterdysenterie

Diese meist in den Herbst- und Wintermonaten auftretende Durchfallerkrankung wird durch ein bovines Coronavirus verursacht. Innerhalb des Bestandes hat die Erkrankung einen seuchenhaften Verlauf mit einer oft 100-prozentigen Durchseuchung. Die klinischen Erscheinungen sind jedoch sehr mild und reichen von Durchfall und Leistungsabfall bis zu respiratorischen Symptomen mit leichtem Husten. Therapien sind in der Regel nicht notwendig. Die Erkrankung des Einzeltiers dauert in der Regel zwei bis drei Tage; die Durchseuchung des Gesamtbestands kann zwei bis drei Wochen dauern.

Diese drei „Durchfallblöcke“ haben im Praxisalltag und bezüglich ökonomischer Relevanz eine wesentliche Bedeutung für den praktizierenden Tierarzt. Es gibt eine Menge weiterer Durchfälle, die aus diesen Gründen unerwähnt bleiben. Bewusst ausgegliedert wurde auch die Auflistung der Paratuberkulose.