„Breites Wissen ist die Basis"

Physikalische Tiermedizin und Rehabilitation

Tierärztin Tanja Warter

Die physikalische Tiermedizin – mit Pionierarbeit an der Vetmeduni – gewinnt stetig an Bedeutung. Neben Physiotherapie und Rehabilitation zählen Sportmedizin und Prävention zu den wichtigsten Säulen. Über ein multidisziplinäres Fachgebiet.

Physikalische Medizin und Rehabilitation hat sich in den ­vergangenen Jahren als eigenständige Therapieform für Tiere etabliert. Weltweit wird in zahlreichen Forschungs­einrichtungen daran gearbeitet, die Wirkungsmechanismen der angewendeten Methoden zu klären und diese weiter­zuentwickeln – so auch an der Vetmeduni Wien, wo Barbara Bockstahler zu den Pionierinnen zählt.

Was hat vor über 20 Jahren Ihr Interesse an physikalischer Medizin geweckt?
Ich war am Anfang meiner beruflichen Laufbahn in einer Praxis tätig, in der Akupunktur eine wichtige Rolle gespielt hat. So kam ich auf das Thema und auch schon bald an die Ambulanz für Physikalische Medizin und Rehabilitation. Mir war gleich klar, dass in diesem Bereich noch so viel fehlte, das es zu erarbeiten und zu ergründen galt. Dass wir jetzt dreieinhalb tierärztliche Stellen haben und ein so umfassendes Service anbieten können, damit hätte vor 21 Jahren wohl keiner gerechnet. Wir arbeiten heute parallel mit zwei Unterwasserlaufbändern und haben von fast jedem Gerät zwei Ausführungen, dazu vier Behandlungsräume und die Bewegungsanalyse – das ist schon sehr cool.

Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist, der Sie staunen ließ?
Ein konkretes Beispiel kann ich jetzt nicht aus dem Ärmel schütteln. Ich sehe so viele Hunde, die über Jahre hinweg bei uns sind und denen wir über so lange Zeiträume eine hohe Lebensqualität sichern können. Auf solchen Dingen begründet sich meine Freude an der Tätigkeit, das sind wunderbare Erfolgserlebnisse.

Woran leiden Patienten, wenn sie zu Ihnen kommen?
Der typische Hund, der zu uns kommt, hat Arthrose oder Rückenprobleme; hinzu kommen Hunde, die von der Chirurgie oder von externen Tierärzten überwiesen werden und eine postoperative Therapie bekommen. Manchmal melden sich Patientenbesitzer auch selber, weil sie etwas machen wollen.

In Ihre Arbeit muss der Tierbesitzer eingebunden werden. Klappt das? Konsequenz ist für Menschen ja nicht immer einfach.
Die Besitzer müssen mitmachen, das ist klar. Und die meisten sind wirklich ambitioniert und begeistert davon, dass sie auch selbst etwas beitragen können, damit es ihrem Tier wieder besser geht. Also bekommen die Besitzer genaue Anleitungen für Übungen, die sie daheim durchführen sollen. Natürlich kann man nicht genau sagen, wer wann nicht mehr so konsequent mitmacht – das ist bei uns Menschen ja nicht anders: Wenn wir jeden Tag bestimmte Übungen für die Krankengymnastik machen sollen, kommt bei vielen auch einmal eine Phase, in der man mehr Energie aufwenden muss, um sich aufzuraffen. Aber wir haben im Großen und Ganzen immer gute Erfahrungen gemacht.

Und die Tiere – wie gut kooperieren die?
Wir haben viele verschiedene Methoden zur ­Verfügung: Thermotherapie, Elektrotherapie, Laser- und Ultraschall­behandlungen, Unterwasser- und ­Bewegungstherapie, Massagen, Chiropraktik und einiges mehr. Die große Kunst ist es, ganz individuell für das einzelne Tier – seine Eigenschaften und sein Krankheitsbild – die jeweils beste Therapieform ausfindig zu machen.

Sprechen die Hunde unterschiedlich gut auf die Therapien an?
Nun, wir verwenden ja nichts, was nicht funktioniert. Es ist eben diese individuelle Abstimmung, mit der sich das beste Ergebnis erzielen lässt.

Wie schafft man es, dass auch Katzen kooperieren?
Man kann nicht pauschal sagen, Katzen wären un­kooperativ. Es gibt ebenso unkooperative Hunde wie Katzen. Aber wir machen mit Katzen wirklich gute Erfahrungen, auch wenn sie seltener vertreten sind als Hunde.

Womit werden Katzen bei Ihnen vorgestellt?
Viele leiden auch unter Arthrosen, manche benötigen Reha nach einem Fenstersturz oder nach einer Operation. Man muss sich eben auf die Tierart einstellen. Einmal hatten wir sogar ein Minischwein hier – den Moritz, der mit Verdacht auf einen traumatisch bedingten Bandscheibenvorfall zu uns kam und sich kaum auf den Beinchen halten konnte. Er hat hervorragend auf dem Unterwasserlaufband mitgearbeitet und konnte bald auf eigenen Füßen wieder nach Hause.

Wie oft sind Sie mit Übergewicht konfrontiert?
Viele der Tiere sind übergewichtig, mehr Bewegung wäre oft wichtig. Wenn der Hund aber eine Arthrose hat, kann ich ihm nicht einfach einen Trainingsplan zum Abnehmen verordnen – auch das muss individuell angepasst werden.

Apropos Trainingsplan: Auch die Veterinary Sports Medicine gehört zu Ihrem Kompetenzbereich. Wie hat sich das entwickelt?
Immer mehr Hunde machen Sport, und Sport und Reha gehören zusammen. 1999 habe ich noch nicht daran gedacht, einmal Hunde zu betreuen, die sportliche Leistungen erbringen, aber Hundesportarten wie Agility boomen. Da ist es wichtig, dass nicht nur die Spitze, die Weltmeister, hervorragende medizinische Versorgung bekommen, sondern auch die privaten Hobbysportlerhunde.

Spüren Besitzer, wann sie ihrem Tier zu viel zumuten?
Der überwiegende Teil möchte es auf jeden Fall gut machen, insgesamt weiß man aber noch wenig über die Belastbarkeit der Hunde im Sport – da ist der Pferdesport viel weiter. Bei Hunden gibt es noch viel zu erforschen.

Haben Sie eigentlich viele Herz-Kreislauf-Patienten?
Derzeit sind es vorwiegend orthopädische und neurologische Fälle, aber ich sehe das als großen Zukunftsbereich.

Was muss ein Tierarzt mitbringen, um mit der physikalischen Medizin die besten Erfolge zu erzielen?
Leute, die in diesem Feld arbeiten, brauchen ein breites Wissen: Orthopädische Kenntnisse, Operationsmethoden, Wissen über Neurologie und Leistungsphysiologie sind ausschlaggebend, dann die Biomechanik und dazu die ganzen Methoden. Breites Wissen ist die Basis!