Bettina Kristof
Ausgabe 09/2020
Diabetes mellitus ist eine weitverbreitete Stoffwechselerkrankung im Kleintierbereich. Über Ursachen, Therapie und mögliche Gefahren dieser Erkrankung sprachen wir mit Dr. Melanie Hutter von der Tierklinik St. Pölten.
Dr. Melanie Hutter hat sich auf die Bereiche Innere Medizin, Endokrinologie und Kardiologie spezialisiert und behandelt in der Tierklinik St. Pölten die vierbeinigen Patienten mit Diabetes mellitus.
Frau Doktorin Hutter, welche Formen von Diabetes mellitus treten bei Hunden auf?
Bei Diabetes mellitus werden drei Typen unterschieden: Typ-1-Diabetes-mellitus betrifft Hunde. Man kann sagen, dass etwa einer von 100 Hunden im Laufe seines Lebens an Typ-1-Diabetes erkrankt, wobei hauptsächlich mittelalte bis alte Tiere betroffen sind. Eine genetische Rasseprädisposition ist unter anderem bei Beagle, Cairn Terrier und Samojeden beschrieben. Bei Typ-1-Diabetes handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der es in den Langerhans-Inseln des Pankreas durch Ablagerung von Antikörpern an die Betazellen zu einer Entzündung kommt und diese in weiterer Folge zerstört werden. Dadurch wird kein Insulin mehr produziert, sodass ein absoluter Insulinmangel besteht. Der Zelluntergang kann zu einer Pankreatitis führen; jede Pankreatitis kann aber umgekehrt auch einen Diabetes auslösen. Typ-2-Diabetes mellitus betrifft Katzen und ist dem Altersdiabetes beim Menschen ähnlich. Bei Hunden hat diese Form des Diabetes keine Bedeutung. Der sekundäre Diabetes mellitus ist der dritte Typ dieser Stoffwechselerkrankung: Diese Form wird sekundär – also durch weitere Ursachen – ausgelöst und kommt ebenfalls bei Hunden vor.
Was sind die Ursachen für Diabetes mellitus?
Die primäre Ursache für die Entstehung eines Diabetes Typ 1 beim Hund ist eine genetisch bedingte autoimmune Komponente. Sekundäre Faktoren können jegliche Entzündungen im Körper, wie Zahnerkrankungen oder auch eine Pankreatitis, sein, aber auch andere Erkrankungen wie Morbus Cushing können die Entstehung von Diabetes fördern. Nicht kastrierte Hündinnen können ebenfalls einen sekundären Diabetes mellitus entwickeln: Im Metöstrus nach der Läufigkeit ist der Progesteronspiegel erhöht. Progesteron und Cortisol – bei Morbus Cushing – sind Insulinantagonisten, welche zu einer Insulinresistenz und in weiterer Folge Hyperglykämie führen können.
Welche Risikofaktoren können die Entstehung von Diabetes begünstigen?
Übergewicht kann ein Auslöser sein, weil es durch die Fette im Blut zu einer Insulinresistenz kommen kann. Jegliche chronische Erkrankungen, Entzündungen, Niereninsuffizienz oder eine Hypothyreose stellen einen gewissen Risikofaktor dar. Medikamente wie Steroide, Progesteron oder Cyclosporine können ebenfalls die Entstehung von Diabetes begünstigen.
Gibt es im Sinne der Früherkennung erste Anzeichen für diese Stoffwechselerkrankung?
Polyurie, Polydipsie und Polyphagie sind die klassischen Anzeichen dafür, dass ein Hund an Diabetes mellitus erkrankt sein kann. Die ersten Symptome treten erst dann auf, wenn eine dauerhafte Hyperglykämie vorhanden ist. Beim Hund muss der Blutzucker dauerhaft über 180 bis 200 mg/dl liegen – ab diesem Wert kommt es zu einer Glukosurie und daraus resultierenden Polyurie. Hunde zeigen oftmals ein gutes Fressverhalten, aber verlieren trotzdem an Gewicht, da die Glukose als Energielieferant verloren geht. Bei einem chronischen Verlauf kann ein Katarakt entstehen. Wenn sich der Ernährungszustand verschlechtert, kann das Tier abmagern; das Fell erscheint fettig oder auch struppig.
Welche Folgeerkrankungen kann es geben, wenn Diabetes nicht rechtzeitig erkannt wird?
Wenn der Diabetes länger unerkannt bleibt, könnte sich bei Hunden ein Katarakt, also eine Linseneintrübung, bilden, welche oftmals nicht reversibel ist. Bei chronischem Krankheitsverlauf ohne Insulingabe entsteht eine Ketoazidose, bei der der Körper in ein metabolisches Ungleichgewicht gerät, welches tödlich enden kann.
Wie behandeln Sie Diabetes mellitus beim Hund in Ihrer Ordination?
Bei der Behandlung eines Diabetes mellitus setzen wir auf drei Säulen. Die wichtigste ist die Insulinbehandlung, die bei Hunden immer notwendig ist. Orale Diabetika wie Acarbose werden nur in Ausnahmefällen zusätzlich zum Insulin ergänzt. Regelmäßige Bewegung für einen moderaten Gewichtsverlust sowie die entsprechende Ernährung stellen die weiteren Säulen der Therapie dar. Die Insulininjektionen muss der Tierhalter zu Hause durchführen.
Das Insulin wird zweimal täglich im Zwölf-Stunden-Rhythmus subkutan gespritzt. Um den Hund gut einzustellen, empfehle ich ein Home-Monitoring zur Blutzuckermessung. Der Besitzer sollte während der Einstellungsphase regelmäßig Tagesprofile erstellen. Wenn das nicht möglich ist, kann man auch beim Tierarzt ein Blutglukose-Tagesprofil ausarbeiten lassen. Wichtig ist, dass der Tierhalter einen Glukometer verwendet, der für die Veterinärmedizin kalibriert ist, da Humanglukometer zu niedrige Werte anzeigen und man oft fälschlicherweise von einer Hypoglykämie ausgeht.
Wie erstellt man ein Blutglukose-Tagesprofil?
Vor der Insulininjektion ermittelt man den Nüchternwert, dann erfolgt die erste Injektion. 30 Minuten nach Insulingabe, also unter Einhaltung des Spritz-Ess-Abstandes, bekommt der Hund sein Futter, danach wird alle zwei Stunden der Blutglukosewert bestimmt – nach zwei, vier, sechs, acht Stunden … Das ist natürlich aufwendig, bringt aber die besten Voraussetzungen, um das Tier optimal einzustellen.
Welche Ernährungsempfehlung geben Sie bei Diabetes?
Es kommt auf das Körpergewicht und den Gesamtzustand des Hundes an. Bei Übergewicht ist das Ziel eine Gewichtsabnahme, damit eine Insulinsensitivität wieder hergestellt werden kann. Es gibt kommerzielle Diäten, die auf das jeweilige Tier abgestimmt werden müssen. Bei einem übergewichtigen Tier wird man eine fettarme, proteinreiche und kohlenhydratarme Diät mit einem hohen Rohfaseranteil empfehlen. Man muss bei der Ernährung auch allfällige weitere Erkrankungen berücksichtigen. Eine Nierendiät zum Beispiel wird man füttern, wenn zusätzlich eine chronische Niereninsuffizienz vorhanden ist.
Worauf müssen Tierhalter besonders achten, wenn ihr Hund Diabetes hat?
Tierhalter sollten zu Hause die Trink- und Fressgewohnheiten ihres Tieres und die Urinabsatzmenge beobachten. Wenn der Hund gut eingestellt ist, sollten die Trinkmenge und der Harnabsatz abnehmen. Wenn der Hund aber trotz Therapie Polyurie bzw. Polydipsie hat, ist das ein Indiz dafür, dass er nicht gut eingestellt ist. Es ist wichtig, den Tierhalter darüber aufzuklären, dass eine Hypoglykämie unbedingt zu vermeiden ist. Er sollte darauf geschult werden, frühzeitig die Zeichen einer Unterzuckerung zu erkennen, und bei Symptomen wie Apathie, Zittern oder erweiterten Pupillen sofort einen Tierarzt aufsuchen.
Ist das für die Tierhalter einfach umzusetzen oder treten da Probleme auf?
Die meisten Probleme gibt es bei der Anwendung mit der Injektion. Manche Tierhalter spritzen falsch, sodass das Insulin nicht wirken kann, beispielsweise, wenn die Stellen, in die injiziert wird, nicht gewechselt werden; oder es wird das Insulin ungenau mit der Spritze aufgezogen. Es gibt auch Tierhalter, die die Insulindosis eigenständig verändern, was natürlich ganz schlecht ist. Beim Tier muss man eine konstante Menge an Insulin spritzen. Dosis-änderungen sollten nur durch den Tierarzt erfolgen, weil die Auswirkungen gefährlich sein können.
Möchten Sie als Expertin in Sachen Diabetes mellitus den niedergelassenen Tierärztinnen und Tierärzten noch eine Botschaft übermitteln?
Weil es sich bei Diabetes-mellitus-Patienten vor allem um mittelalte bis alte Hunde handelt, ist es wichtig, bei der Diagnosestellung mehrere Untersuchungen durchzuführen. Dies umfasst ein komplettes Blutbild mit Blutchemie inklusive T4-Wert, eine bakteriologische Untersuchung des Harns, weil der Zucker im Harn einen guten Nähr-boden für Bakterien darstellt; ein Abdomenultraschall hilft, strukturelle Veränderungen an der Bauchspeicheldrüse oder andere mögliche Tumore zu erkennen.
Ganz wichtig ist natürlich die richtige Dosierung des Insulins. Als Grundregel gilt, dass das Insulin zweimal täglich injiziert wird. Man beginnt mit einer Anfangsdosierung von 0,25 Einheiten pro Kilo Körpergewicht, bei kleinen Hunden bis zu 0,5 Einheiten zweimal täglich. Der Spritz-Ess-Abstand muss unbedingt eingehalten werden, und man darf keinesfalls nachspritzen, wenn man sich unsicher ist, ob die Injektion erfolgreich war. Eine Dosiserhöhung darf frühestens alle drei bis vier Tage vorgenommen werden, nicht täglich! Man kann die Insulindosis um zehn Prozent, bei großen Hunden um bis zu 20 Prozent erhöhen oder erniedrigen. Wenn das an Diabetes erkrankte Tier nicht frisst, dann darf man nur 50 Prozent der Insulindosis spritzen, weil sonst die Gefahr einer Hypoglykämie besteht. Wenn man Sorge hat, dass es zu Unterzucker kommen könnte, sollte man dem Tierhalter einen Glukosesirup als Notfallmedikament mitgeben. Das Ziel des Home-Monitorings ist es, Hypoglykämiephasen zu vermeiden. Alle Werte sollten unter 250 mg/dl liegen, der niedrigste Wert sollte zwischen 80 und 150 mg/dl sein. Wenn die Tiere gut eingestellt sind, reicht es, alle zwei Monate ein Blutzucker-Tagesprofil zu erstellen. Zwischendurch empfiehlt es sich, einzelne Spotmessungen – Nüchternwert und Wert nach sechs Stunden – ein- bis zweimal pro Woche vorzunehmen. Beim Home-Monitoring ist darauf zu achten, an den richtigen Stellen zu messen: Man nimmt einen Blutstropfen am Ohr oder am Pfotenballen. Es gibt eine Studie, die besagt, dass man das Blut auch von der Maulschleimhaut gewinnen kann, aber da können die Werte verfälscht werden.
Das Monitoring der Blutzuckerwerte bei den tierischen Patienten klingt recht aufwendig. Gibt es da noch keine einfachere Methode, um den Blutzucker zu Hause zu messen?
Ja, es gibt eine neuere Methode, bei der die Glukose -dauerhaft über einen Sensor gemessen wird. Diese Technik ist eigentlich für den Humanbereich gedacht, kann aber auch sehr gut bei Hunden verwendet werden. Dabei implantiert man den Sensorchip in die Halsmuskulatur und erhält dann bis zu zwei Wochen lang konstante Blutglukosemessungen. Dieses System ist für die Einstellung von Diabetes sehr gut geeignet. Die Daten können über ein entsprechendes Gerät oder eine spezielle App angezeigt werden. Der Chip wird ambulant und bei wachem Zustand des Patienten implantiert. Die Methode ist relativ schmerzfrei, vergleichbar mit einer intramuskulären Injektion. Der Chip speichert die Daten bis zu acht Stunden lang. Weil der Sensor-chip an sich auf den Menschen ausgerichtet ist, kann es beim tierischen Patienten zu Ungenauigkeiten oder Problemen in der Anwendung kommen. Die aktuelle Datenlage ist aber sehr vielversprechend, sodass wir diesen neuen Sensor sehr gerne bei uns zum Einsatz bringen.