Miriam Baumgartner 1, Theresa Boisson 1, Michael H. Erhard 2, Margit H. Zeitler-Feicht 1
1 Technische Universität München
TUM School of Life Sciences Weihenstephan
Lehrstuhl für Ökologischen Landbau und Pflanzenbausysteme
Arbeitsgruppe Ethologie, Tierhaltung und Tierschutz
Liesel-Beckmann-Str. 2, 85354 Freising
m.baumgartner@tum.de
2 Ludwig-Maximilians-Universität München
Veterinärwissenschaftliches Department
Lehrstuhl für Tierschutz, Verhaltenskunde, Tierhygiene und Tierhaltung
Tierärztliche Fakultät, Veterinärstr. 13 / Gebäude R, 80539 München
Ausgabe 07-08/2020
Vorliegende Untersuchung zeigt, dass bei Pferden erzwungene Fresspausen von durchschnittlich neun Stunden in der Nacht üblich sind – und dass diese das Tierwohl ernsthaft beeinträchtigen und nicht tiergerecht sind.
Die Aufenthaltsdauer von Pferden in Einzelhaltung kann unerträglich lange werden – besonders dann, wenn nichts zu fressen vorhanden ist. Fütterungspraktiken sollten daher das natürliche Futteraufnahmeverhalten von Pferden berücksichtigen. Das bedeutet, dass auch unsere Pferde – wie ihre Vorfahren in freier Wildbahn – nach wie vor das Bedürfnis haben, durchschnittlich zwölf Stunden über den 24-Stunden-Tag verteilt zu fressen. Dabei teilen sie ihr Futter in etwa zehn Mahlzeiten auf und legen weder tagsüber noch nachts zwischen den Mahlzeiten freiwillig Pausen, die länger als drei bis vier Stunden am Stück andauern, ein (u. a. Ellis 2010, Zeitler-Feicht 2015).
Die hohe Motivation, fast ununterbrochen Futter aufzunehmen, ist entwicklungsgeschichtlich bedingt und begründet sich u. a. in einer nur schwach ausgeprägten Regulation zur Begrenzung der Nahrungsaufnahme im zentralen Nervensystem. Ein fehlendes Sättigungsempfinden ermöglicht es Pferden, trotz ihres rohfaserreichen, energiearmen Nahrungsspektrums ausreichend Energie aufzunehmen (u. a. Ralston 1984, Harris 2007). Unter Haltungsbedingungen können Pferde, die kein Heu zur freien Verfügung erhalten, denen jedoch Stroh bereitgestellt wird (als Einstreu oder in Futterraufen), ihrem Bedürfnis nach kontinuierlicher Futteraufnahme nachkommen. Insbesondere in der Einzelhaltung ist eine rationierte Fütterung mit Vorlage von Heu bzw. anderen Raufutterquellen zwei- oder dreimal täglich gängig. Die Pferde, die auf nicht fressbarer Einstreu aufgestallt sind, werden jedoch durch die rationierte Fütterung in ihrem artgemäßen Futteraufnahmeverhalten stark beeinträchtigt, wie vorliegende Studie herausfinden konnte.
Untersucht wurde das Futteraufnahmeverhalten von 104 Pferden auf zehn Praxisbetrieben bei praxisüblichen Fütterungsintervallen von zwei- oder dreimaliger Futtervorlage je Tag auf fressbarer (Stroh) und nicht fressbarer Einstreu (Späne). Die Pferde auf Spänen zeigten Änderungen im Futteraufnahmeverhalten im Vergleich zu denen auf Stroh: Sie legten weniger Pausen während der Aufnahme der Abendheuration ein, benötigten weniger Zeit für die Abendheuration und pausierten öfter gar nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt als Pferde auf fressbarer Einstreu.
Das veränderte Futteraufnahmeverhalten kann als Zeichen für ein angestautes Fressbedürfnis angesehen werden (s. Foto oben). Denn der Großteil der Pferde auf nicht fressbarer Einstreu (74,32 %, 55/74) musste in der Nacht durchschnittlich knapp neun Stunden (8:50 ± 1:25 h, Median: 8:45 h, Minimum: 6:45 h, Maximum: 13:23 h) ohne Raufutter ausharren. Damit wird die unter gesundheitlichen Aspekten maximal zulässige Fresspausendauer von vier Stunden deutlich überschritten, sodass hier eine nicht tiergerechte und damit inakzeptable Fütterungspraktik festgestellt werden muss. Denn bereits mehrfach konnte nachgewiesen werden, dass zu kurze Fressdauern bzw. zu lange Fresspausen für Pferde Stress bedeuten. Wird Heu rationiert gefüttert, zeigen Pferde auf Sägespänen im Vergleich zu Pferden auf Stroheinstreu häufiger Verhaltensabweichungen (Marsden 1993, Baumgartner et al. 2015, Lesimple et al. 2016, Ruet et al. 2019). Darüber hinaus leidet die Gesundheit der Pferde durch lange Fresspausen. Lange Raufutterpausen können die Dickdarmfermentation empfindlich stören (Coenen und Vervuert 2010, Zeyner et al. 2011) sowie Magengeschwüre (Hammond 1986; Nadeau et al. 2000) und Obstipationen (Gieselmann 1994) verursachen.
Im Sinne des Tierwohls ist es daher für Tierärzte wichtig, Fresspausen – insbesondere die längste Fresspause, die häufig diejenige in der Nacht darstellt – in Erfahrung zu bringen. Werden zu lange Fresspausen festgestellt, gilt es, die Fütterungspraktiken des jeweiligen Pferdes oder sogar des gesamten Pferdebestandes zu verbessern. Als Maßnahmen empfehlen sich Stroheinstreu, Strohraufen oder andere fresszeitverlängernde Maßnahmen wie Heu in engmaschigen Netzen. Zusätzlich können Tierärzte in naher Zukunft auf ein digitales Beratungstool („BestTUPferd“) verweisen, welches aktuell an der Technischen Universität München in Kooperation mit weiteren Partnern entwickelt wird. Es hat zum Ziel, Berater auszubilden und in der Anwendung mittels einer Software zu unterstützen, die Tiergerecht-heit und die Umweltwirkungen von Pferdehaltungen (alle Einzel- und Gruppenhaltungsverfahren) einheitlich und umfassend zu überprüfen. U. a. kann damit die verhaltensgerechte Fütterung erstmals objektiv analysiert werden. Betriebsleiter von Pferdehaltungen werden mithilfe von „BestTUPferd“ individuelle und praxistaugliche Verbesserungsvorschläge an die Hand bekommen.
Das Literaturverzeichnis kann auf Nachfrage zur Verfügung gestellt werden.