Replik zum Gastkommentar

von Tierarzt Ralph Rückert, Ulm, im VetJournal 12/2019–01/2020

VR Univ.-­Prof. Dr. Norbert Kopf
Konsiliarius der Anicura Kleintierklinik Breitensee

Es ist schon eigentümlich, welch breiter Raum dem Blog eines deutschen Kollegen eingeräumt wird, um eine Entwicklung, die ihm nicht passt, schlechtzumachen. Die ­Rufschädigung einer ganzen Gruppe von Kolleginnen und Kollegen, die eine Alternative ergriffen haben, um den Trampelpfad unserer traditionellen Organisationsform der tierärztlichen Berufsausübung zu verlassen, ist sein unverhohlenes Ziel. Mit Befremden ist festzuhalten, dass die Beihilfe zur Geschäftsstörung nicht zu den Aufgaben unseres Berufsorgans gehört.
Das Vetjournal ist sicherlich als Diskussionsforum unseres Berufsstandes über neue Lösungsansätze bei der Berufsausübung berufen. Es ist aber schon zu fordern, dass Beiträge, die ehrenrührige Verdächtigungen und Beschimpfungen enthalten, zurückgewiesen werden. Der Hinweis darauf, dass es sich „ausschließlich um die persönliche Meinung des Autors“ handle, darf nicht als Persilschein für solche Artikel gelten.

Die Intention des Gastautors ist die Abschreckung aller, die an der Therapie und Prophylaxe von Kleintierpatienten Interesse haben (man könnte es auch als Aufwiegelung bezeichnen). Er wendet sich an:

1. An erster Stelle stehen die TierbesitzerInnen, die besser die Dienste freier Praxen und Kliniken in Anspruch nehmen sollten, da es den Konzernen auf Kosten der Berufsethik nur um die Gewinnoptimierung ginge. Er benützt dazu natürlich auch einschlägige Diskussionsforen, damit seine Thesen auch auf jeder Hundewiese verbreitet werden.

2. Die „noch“ freien Kolleginnen und Kollegen der Überweisungspraxen, die von den Kliniken der Corporates anstatt angemessenen Engagements für die Tierpatienten und -besitzer nur Schlendrian erwarten dürfen. (Die Überweiser würden quasi auch Schaden erleiden, wenn sie an den Kliniken der „Verräter“ des Berufsstandes auch nur anstreifen würden.)

3. Die jüngeren – mehrheitlich weiblichen – ­KollegInnen, die sich als Unselbstständige in den Dienst der „­Totengräber unseres Berufsstandes“ anheuern lassen. Sie werden verdächtigt, dem Risiko und dem Arbeitsaufwand Selbstständiger „ein gemütliches, kuscheliges Angestelltenverhältnis“ vorzuziehen.

Seine Sorge um die Berufsethik geht so weit, dass er die Kolleginnen und Kollegen, die sich den Corporates verdungen haben, als Totengräber der Berufsethik bezeichnet, welche das Erbe des Tierärztestandes verspielen. Vorverurteilungen sind immer schlecht. Sein Wider­streben drückt Rückert aus, wenn er schreibt, dass er nur „zähne­knirschend“ die Dienste solcher Kliniken in Anspruch nimmt.

Der Autor möchte mit solchen populistischen Aufrufen zur „Verteidigung des freien Berufsstandes“ vielleicht ­unterschwellige Gemütslagen – Stichwort „Neidgenossen­schaft“– mobilisieren.

In manchen Passagen scheint der Autor um Objektivität bemüht:

• Für die Klinikbesitzer, die oft „händeringend“ um Nachfolger bemüht gewesen seien, zeigt er Verständnis.

• Dass sie ihr „Lebenswerk“ an eine Kette verkaufen, weil sich keine Nachfolgerin/kein Nachfolger findet, und dass ihnen am Ende ein angemessener Betrag zusteht …

• Dass aus „Selbstaufopferung und Prinzipientreue“ auf diesen zu verzichten zu viel verlangt wäre.

• Er sieht auch ein, dass sich junge Kolleginnen und Kollegen der Übernahme großer Kliniken oder Praxen nicht gewachsen fühlen, und dass es vor allem deshalb so schwierig sei, Nachfolger zu finden …

• Und dass „frühere GründerInnen und InhaberInnen, für die es vormals ganz normal gewesen sei, 60 bis 80 Stunden die Woche zu arbeiten, um alle Kunden und Überweisungspraxen zufriedenzustellen“, für präsumtive NachfolgerInnen nicht unbedingt ein leuchtendes Vorbild darstellen würden.

• Die Vermutung, dass ständige Überlastung des Teams von künftigen GeschäftsführerInnen nicht als ganz ­normale Arbeitsweise angesehen werden könnte, mag stimmen – doch geht es polemisierend weiter, dass sich diese für den Profit eines Konzerns wohl kaum „einen Wolf arbeiten“ – ins Österreichische übersetzt: „keinen Haxen ausreißen“ – würden.

Dieses „Verständnis“ würde ich gelten lassen, wenn beim Kollegen Rückert nicht ständig die unverhohlene Absicht zu erkennen wäre, dass er geradezu missionarisch bemüht ist, die Anicura-Kliniken durch Schlechtreden geschäftlich zu schädigen. Dabei nimmt er als Kollateralschaden in Kauf, den Enthusiasmus einer ganzen Generation junger Kolleginnen und Kollegen infrage zu stellen bzw. zu beschädigen. Denn auch um die geht es, wenn Arbeitsplätze schlechtgeredet werden, die ­verloren gingen, wenn der Klinikinhaber am Ende die Klinik zusperren müsste, und die so mithilfe des geschmähten Fremdkapitals erhalten bleiben können.

Dem sei ein ganz persönliches Beispiel entgegen­gesetzt:
Als betroffener ehemaliger Betreiber einer rund um die Uhr zur Verfügung stehenden Unfall-, Notfall- und Überweisungsklinik habe ich jahrelang am eigenen Leib erfahren, was ein 150-prozentiger Einsatz bedeutet. Durch Einsatz, Expertise und hoch motivierte MitarbeiterInnen wuchs die Anzahl der Überweiser, die in Notfällen an uns überwiesen, auf circa 450 Kolleginnen und Kollegen an. Sehr viele Zuweisungen von Unfall- und Schockpatienten erfolgten am Abend und in der Nacht. Unsere treuen Zuweiser waren und sind – wie mir noch oft beteuert wird – froh, wenn sie kritische Patienten unverzüglich überweisen können und gut versorgt wissen. Sie schätzen es, dass sie regelmäßig ihre Patienten nach der Operation bzw. nach Ablauf der kritischen Phase selbstverständlich mit Informationsschreiben wieder zurücküberwiesen bekommen.   
Diese wachsenden Anforderungen waren die Triebfeder für die Steigerung der Anzahl der AssistentInnen und des Hilfspersonals, für laufende Fortbildung und die ständige Verbesserung unserer Gerätschaften, die bauliche Erweiterung der Klinik sowie die Errichtung einer CT-Station und eines eigenen Gesundheits- und Operationstrainingszentrums. Zum Zeitpunkt meiner Übergabe an ­Anicura war das Team auf circa 20 Tierärzte und Tierärztinnen und insgesamt über 50 Personen angewachsen. Früher waren alle angestellt und bekamen zu ihrem Gehalt (in Österreich 14 Mal pro Jahr) auch Prämien, die aus dem Umsatz der persönlichen Leistung errechnet wurden. Das machte allen AssistentInnen die unternehmerische Komponente unserer Zusammenarbeit bewusst. Die Ausbildung von Anfangsassistenten und Studienabgängern erfolgte schon während der Praktika und im Rahmen von Hospitanzen und freiwilliger Mitarbeit. Fortbildungen der AssistentInnen wurden selbstverständlich in der Freizeit, an Wochenenden und im Urlaub absolviert. Insofern waren die MitarbeiterInnen mit dem Klinikchef auf gleicher Augenhöhe …
Dieses System unserer harmonischen Zusammenarbeit wurde durch behördliche Auflagen zerstört: Anstatt der Prämien wurde die Stundenaufzeichnungspflicht angeordnet (welche vom Arbeitsinspektor kontrolliert und bei Unregelmäßigkeiten mit drakonischen Strafen belegt  wurde). Außerdem werden nun die Arbeitszeiten, die Überstunden, die Ruhepausen, die Urlaube und der Zeitausgleich, die Entgeltfortzahlungspflicht im Urlaub und im Krankenstand (auch für die durchschnittlich geleisteten Überstunden) und das widersinnige Verbot für schwangere Mitarbeiterinnen eines Kontakts zu Tieren schon ab dem ersten positiven Schwangerschaftstest amtlich geregelt. Alles Auflagen, die die Tendenz zur „Verbeamtung“ in sich haben und die der tierärztlichen Arbeitswelt nicht gerecht werden, weil Kliniken bekanntlich anders ticken als eine Hutfabrik, d. h., als Produktionsstätten materieller Güter.
 
Diese Entwicklung, die durch horrende, ruinöse Nachforderungen durch die gesetzlichen Sozial­ver­sicherungsanstalten eingeläutet wurde, führte – ­neben einer Reduktion der Marge – logischerweise auch …

• zu erheblicher Steigerung der Betriebskosten von Kliniken und größeren Praxen – denen nur zum kleineren Teil durch Steigerung der Honorare entsprochen werden kann.

• zur Notwendigkeit der Personalaufstockung, um dem Auftrag zum jederzeitigen Einsatz gerecht zu werden, welcher den Kliniken durch das Tierärztegesetz auferlegt wird (aber auch, um die Erwartungen unserer Überweisungskolleginnen und -­kollegen nicht zu enttäuschen).

Einige hoch spezialisierte Kollegen, vornehmlich Chirurgen, haben angesichts dieser Entwicklung ihren Klinikstatus abgemeldet, die Anzahl der AssistentInnen und sonstigen MitarbeiterInnen reduziert und führen ihren Betrieb als reine Überweisungspraxis (ohne die bürokratischen Hemmnisse und Kosten) weiter, während die Versorgung der Notfälle einigen wenigen überlassen wird, die wie wir versuchen, diesen Spagat zu bewältigen. Das wirtschaftliche Risiko, einen solchen Betrieb zu führen, stieg also erheblich an, wodurch der Veräußerungswert einer Klinik wie der meinen erheblich einbrach.
Jungen Kolleginnen und Kollegen könnte man so einen Betrieb nicht einmal schenken, ohne sie der Gefahr auszusetzen, dass sie scheitern, wenn die Auslastung – was ja nicht unwahrscheinlich wäre – auch nur um einige Prozent einbrechen würde.  

Bemerkung: Dieses „Experiment“ habe ich ungebetenermaßen schon hinter mir, als vor Jahren ein „genialer“ Finanzminister auf die Idee kam, die Umsatzsteuer vom Jänner des nächsten Jahres (normale Fälligkeit Mitte März) im Dezember vorzuschreiben. Was es bedeutet, diese große Summe am Jahresausgang, an dem soeben die „doppelten Gehälter“ (in Österreich die sog. Weihnachtsremuneration, die einem zusätzlichen ­Monatsgehalt entspricht) bezahlt werden mussten, aufbringen zu müssen, kann sich jeder ausmalen.

Ich habe mich im oben Gesagten über die betriebswirtschaftlichen Probleme einer großen Rund-­um-­die-­Uhr-­Notfallklinik verbreitert, um der Kollegenschaft und den Kunden klarzumachen, was es heißt, so einen Betrieb auf eigenes Risiko zu führen. Gleichzeitig möchte ich betonen, dass wir unseren Beruf lieben und ihn als wertvoll ansehen; dass es für das ganze Team eine Erfüllung darstellt, als Retter in der Not präsent zu sein – denn nur eine ständige Verfügbarkeit ist im Fall der Fälle die Garantie, ein ebensolcher Retter sein zu können.
Nicht ohne Grund habe ich ab meinem 60. Geburtstag nach geeigneten Partnern bzw. Nachfolgern gesucht. ­Viele Interessenten, auch aus dem gut eingearbeiteten Stab meiner MitarbeiterInnen, stellten Überlegungen an, wie sie in Zukunft auch ohne den Chef diese Aufgabe stemmen könnten. Wir fanden keine adäquate Lösung … Es dauerte bis zu meinem 73. Geburtstag, als sich durch das Angebot von Anicura eine Chance zur Übergabe eröffnete – nicht nur für mich als Betreiber, sondern auch für das Weiterbestehen unserer Klinik.
Hier war die aus Schweden stammende Formel, dass große Tierkliniken durch den Zusammenschluss und das dahinterstehende Kapital von Investoren und Teilhabern die nötige wirtschaftliche Standfestigkeit erlangen, um auch weiterhin den geschilderten Anforderungen gerecht zu werden, für uns die Lösung, um unseren Standard zu halten.
Die Ansprüche und Erwartungen der Tierbesitzer (die sich z. T. an der Humanmedizin orientieren), aber auch der überweisenden Kollegen hat zur Notwendigkeit geführt, in immer teurere Geräte zu investieren bzw. diese auf dem letzten Stand zu halten. Zudem haben sich die Anforderungen durch behördliche Vorschriften laufend erhöht.

• Nicht zuletzt muss – nolens volens – auf die Veränderung der Lebenseinstellung unserer nachfolgenden Tierärztegeneration Rücksicht genommen werden, denen man ja objektiv recht geben kann, wenn sie nicht (mehr) die (von Koll. Rückert zitierte) 60-bis-80-Stunden-Woche als selbstverständliche Anforderung unseres Berufes ansehen.  

Hier seien noch einige kritische Bemerkungen zur (primär ablehnenden) Haltung unserer Standes­vertretung in ihrer Rolle als Verteidigerin des freien ­Berufs Tierarzt angebracht:
In Österreich sind zurzeit etwa 70 Tierärztinnen und Tierärzte in Anicura-­Kliniken beschäftigt. Als Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen fungieren freiberufliche, fachlich eigenverantwortliche Tierärzte und Tierärztinnen, welche die Hausapotheke führen und die Kliniken der ÖTK und den Behörden gegenüber vertreten. Für sie alle bildet der Tierpatient an erster Stelle den ­Fokus ihrer Tätigkeit.

Sie haben weder Schelte noch Herabsetzung verdient.
Es steht die fachliche Herausforderung, dem Tier zur Zufriedenheit seines Besitzers bestmöglich zu helfen, im Zentrum der Bemühungen. Diese Motivation ist bei Anicura-­MitarbeiterInnen genauso vorhanden wie bei Selbstständigen und Angestellten in anderen Praxen und Kliniken.
Kollegialität ist ein unteilbares Gut und sollte für uns alle gelten, die wir an einem Strang ziehen – nämlich der Gesunderhaltung unserer Tierpatienten und dem Ansehen unseres Berufs in der Öffentlichkeit in allen  seinen Facetten zu dienen.
Ich kann nicht nachvollziehen, dass Anicura als „Toten­gräber unseres Berufs“ gebrandmarkt wird: Auch in Zukunft bleibt die Erfüllung unseres selbst gesteckten Ziels – nämlich unser Service ständig zu verbessern, sei es in den Einzelpraxen von bewundernswerten Allroundern, sei es bei Fachtierärzten, bei kleineren Gruppenpraxen und größeren Kliniken – zentral. Jede/r kann eine Nische ­finden, in der er/sie sich wohlfühlt und bewähren kann – ob als selbstständiger oder dienstnehmender Tierarzt oder als teilzeitbeschäftigte Tierärztin mit Familienpflichten.

Es lassen sich viele Beispiele erfolgreicher tierärztlicher Kooperation anführen, darunter auch die neue Möglichkeit durch die geschmähten Corporates, die zur Stabilität (zu) groß gewordener Kliniken ohne Nachfolger – und das ist der Punkt – beitragen. Ich bin in freundschaftlicher Verbindung mit vielen Kolleginnen und Kollegen, die mir als Kenner der Situation recht geben, dass sich durch das Auftauchen der „Ketten“ eine neue Perspektive für unsere Berufsausübung mit Reduktion des wirtschaftlichen Drucks ergeben hat. Dass dabei die „Althasen“ auch noch eine adäquate Entschädigung für Jahrzehnte geleisteter Aufbauarbeit bekommen, wird niemand als Schädigung unseres Berufs ansehen können, außer er macht diese Entwicklung – aus prophetischem Sendungsbewusstsein oder einfach aus falsch verstandenem Konkurrenzdenken – in einschlägigen Blogs im Internet und Gastkommentaren zum negativ besetzten Thema.  
Ich sehe Anicura überhaupt nicht als wettbewerbsverzerrende Konkurrenz zu anderen „Chirurgie-­Freunden“, die ebenfalls große Kliniken betreiben und ihren Betrieb aus eigener Kraft für die Zukunft sichern konnten oder können – sei es, dass sie das Glück haben, dass ihre Kinder Veterinärmedizin studieren oder studiert haben und den Betrieb nahtlos weiterführen können, wenn der Alte/die Alten in den Ruhestand treten wollen (bevor sie gesundheitlich dazu gezwungen werden), sei es, weil es ihnen gelang, GesmbHs zu gründen, die für die Zukunft durch altersmäßige Staffelung der nachfolgenden Betreiber gerüstet sind.
 
Ich fühle mich durch den Gastbeitrag des Kollegen Rückert gekränkt! Auch, weil durch die Verbreitung, ja, den Aufruf zum Boykott, eine ganze Gruppe von Kollegen und Kolleginnen diskriminiert wird und entmutigt werden soll. Das kann nicht die Aufgabe unserer Berufszeitung sein.

An die Adresse des Herrn Kollegen Rückert: Kollegialität ist unteilbar. Statt der Verbreitung von unreflektierten (und nicht ganz uneigennützigen) Prophezeiungen, um uns Tierärzte auseinanderzudividieren, sollten wir in einen sachlichen Dialog eintreten, wie wir die Synergismen neuerer Entwicklungen nützen können.